13.07.2016

Zwei unzulässige Verfassungsbeschwerden gegen das Tarifeinheitsgesetz

Das Bundesverfassungsgericht hat die Verfassungsbeschwerden von zwei kleinen Spartengewerkschaften gegen das Tarifeinheitsgesetz mangels Zulässigkeit nicht zur Entscheidung angenommen. Es sei nicht ersichtlich, dass die Beschwerdeführerinnen durch das angegriffene Gesetz in ihrem Recht auf kollektive Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG gegenwärtig betroffen seien.

BVerfG 16.6.2016, 1 BvR 1707/15 u.a.
+++ Der Sachverhalt:
In dem Verfahren mit dem Aktenzeichen 1 BvR 1707/15 hatte die 2011 gegründete Deutsche Feuerwehr-Gewerkschaft (DFeuG) geltend gemacht, durch § 4a Abs. 2 Satz 2 TVG n.F., wonach im Fall einer Tarifkollision nur der Tarifvertrag der mitgliedsstärksten Gewerkschaft im Betrieb anwendbar ist, in ihrem Recht auf kollektive Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG verletzt zu sein. Sie trug vor, sich in Tarifverhandlungen zu befinden; am Abschluss eines Tarifvertrags beteiligt war sie bislang noch nicht.

Im Verfahren 1 BvR 2257/15 wandte sich die im November 2010 gegründete und noch im Aufbau befindliche Neue Assekuranz Gewerkschaft (NAG) ebenfalls gegen § 4a Abs. 2 Satz 2 TVG n.F. Durch Entscheidungen der Arbeitsgerichte war ihr die Tariffähigkeit zum rechtswirksamen Abschluss von Tarifverträgen abgesprochen worden.

Das Bundesverfassungsgericht nahm die Verfassungsbeschwerden nicht zur Entscheidung an.

+++ Die Gründe:
Die Verfassungsbeschwerden sind unzulässig, da ihnen nicht entnommen werden kann, dass die Beschwerdeführerinnen von der angegriffenen Vorschrift des Tarifeinheitsgesetzes gegenwärtig betroffen und damit beschwerdebefugt sind.

Eine gegenwärtige Betroffenheit setzt voraus, dass die angegriffene Vorschrift auf die Rechtsstellung des Beschwerdeführers aktuell und nicht nur virtuell einwirkt und dass dieser durch das Gesetz mit Blick auf seine künftig eintretenden Wirkungen zu später nicht mehr korrigierbaren Entscheidungen gezwungen wird; allein die vage Aussicht, irgendwann einmal in Zukunft von der Regelung betroffen sein zu können, genügt nicht.

In beiden Verfahren ist mangels substantiierter Ausführungen zur Tariffähigkeit nicht ersichtlich, dass die Beschwerdeführerinnen derzeit oder in naher Zukunft von der Kollisionsregel des § 4a Abs. 2 Satz 2 TVG erfasst werden, weil von ihnen wirksam abgeschlossene Tarifverträge verdrängt werden könnten.

Soweit die Beschwerdeführerin im Verfahren 1 BvR 2257/15 geltend macht, sie habe aufgrund des noch nicht abgeschlossenen Statusverfahrens keine Tarifverträge abschließen können, ist ein hinreichend konkreter Zusammenhang mit dem Tarifeinheitsgesetz nicht erkennbar. Darüber hinaus trägt auch ihr Einwand nicht, eine positive Prognose für ihre Tariffähigkeit werde verhindert, weil das Tarifeinheitsgesetz es unmöglich mache, Tarifverträge abzuschließen. Ein solcher Ursachenzusammenhang ist nicht hinreichend dargelegt. Die Tariffähigkeit entsteht nicht etwa mit dem Abschluss von Tarifverträgen, sondern ist eine Voraussetzung für deren Wirksamkeit.

+++ Der Hintergrund:
Im Oktober 2015 hatte das Bundesverfassungsgericht Eilanträge des Marburger Bunds, der Pilotengewerkschaft Cockpit und des Deutschen Journalistenverbands mangels Eilbedürftigkeit abgelehnt und angekündigt, bis Ende 2016 in der Hauptsache entscheiden zu wollen (BVerfG, Beschl. v. 6.10.2015 - 1 BvR 1571/15 u.a., ArbRB 2015, 328 [Rütz]).

Jetzt teilte die Pressestelle des Gerichts gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters mit, dass aktuell nicht absehbar sei, ob es eine mündliche Verhandlung geben und wann die Entscheidung in der Hauptsache fallen werde. Sollte es eine mündliche Verhandlung geben, ist wegen des regelmäßigen Zeitabstands zwischen der Verhandlung und der Urteilsverkündung zweifelhaft, ob eine Entscheidung noch in diesem Jahr fallen wird.

+++ Linkhinweis:
Die Entscheidungen sind auf der Homepage des Bundesverfassungsgerichts veröffentlicht:

  • Für die Entscheidung mit dem Aktenzeichen 1 BvR 1707/15 klicken Sie bitte hier.
  • Die Entscheidung mit dem Aktenzeichen 1 BvR 2257/15 finden Sie hier.
BVerfG PM Nr. 39/16 vom 13.7.2016
Zurück