23.06.2022

§ 14 Abs. 3 Satz 1 KStG umfasst keine außerorganschaftlichen Mehrabführungen

Das Tatbestandsmerkmal "vororganschaftlich" in § 14 Abs. 3 Satz 1 KStG ist nur in zeitlicher, nicht auch in sachlicher Hinsicht zu verstehen; außerorganschaftlich verursachte Mehrabführungen in organschaftlicher Zeit sind nicht erfasst.

Kurzbesprechung
BFH v. 21. 2. 2022 - I R 51/19

KStG § 14 Abs 3 S 1, § 14 Abs 4
AEUmwStG 2006 Tziff Org.33


Verpflichtet sich eine GmbH mit Geschäftsleitung und Sitz im Inland (Organgesellschaft) durch einen Gewinnabführungsvertrag i.S. des § 291 Abs. 1 AktG, ihren ganzen Gewinn an ein einziges anderes gewerbliches Unternehmen abzuführen, ist nach § 14 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 17 Satz 1 KStG bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen des § 14 Abs. 1 Satz 1 KStG das Einkommen der Organgesellschaft dem Träger des Unternehmens (Organträger) zuzurechnen. Das Einkommen der Organgesellschaft unterliegt damit ausschließlich auf der Ebene des Organträgers der Besteuerung; die Abführung des Gewinns der Organgesellschaft an den Organträger bleibt hingegen ohne steuerliche Folgen. Nach § 14 Abs. 3 Satz 1 und 3 KStG gelten allerdings Mehrabführungen, die ihre Ursache in vororganschaftlicher Zeit haben (sog. vororganschaftliche Mehrabführungen), als Gewinnausschüttungen der Organgesellschaft an den Organträger zum Ende des Wirtschaftsjahrs der Organgesellschaft.

Vororganschaftliche Mehrabführungen i.S. von § 14 Abs. 3 Satz 1 KStG unterliegen demzufolge der Dividendenbesteuerung. Für Mehrabführungen, die ihre Ursache in organschaftlicher Zeit haben (sog. organschaftliche Mehrabführungen), ist in der Steuerbilanz des Organträgers hingegen lediglich ein besonderer passiver Ausgleichsposten in Höhe des Betrags zu bilden, der dem Verhältnis der Beteiligung des Organträgers am Nennkapital der Organgesellschaft entspricht (§ 14 Abs. 4 Satz 1 KStG) und der im Zeitpunkt der Veräußerung der Organbeteiligung gewinnerhöhend aufzulösen ist (§ 14 Abs. 4 Satz 2 KStG).

Gemäß § 14 Abs. 4 Satz 6 KStG liegt eine Mehrabführung im Sinne des Satzes 1 insbesondere dann vor, wenn der an den Organträger abgeführte Gewinn von dem Steuerbilanzgewinn der Organgesellschaft abweicht (diesen übersteigt) und diese Abweichung in organschaftlicher Zeit verursacht ist. Zwar gilt die Regelung ihrem Wortlaut nach nur für organschaftliche Mehrabführungen nach § 14 Abs. 4 Satz 1 KStG. Was unter einer Mehrabführung i.S. von § 14 Abs. 3 Satz 1 KStG zu verstehen ist, muss daher wegen fehlender klarer gesetzlicher Vorgaben durch Auslegung ermittelt werden.

Der BFH geht davon aus, dass der Begriff "Mehrabführung" in § 14 Abs. 3 Satz 1 KStG und in § 14 Abs. 4 Satz 1 KStG inhaltlich deckungsgleich verwendet wird. Für eine Mehrabführung i.S. von § 14 Abs. 3 Satz 1 KStG genügt daher im Regelfall eine rechnerische Differenz zwischen (höherem) handelsbilanziellen Jahresüberschuss und (niedrigerem) Steuerbilanzgewinn der Organgesellschaft. Dabei können beide Werte auch als negative Werte verstanden werden, so dass eine "Minderverlustübernahme" ebenfalls eine Mehrabführung darstellt.

Soweit das FA im Streitfall im Anschluss an Rz Org.33 des BMF-Schreibens in BStBl I 2011, 1314 meint, das in § 14 Abs. 3 Satz 1 KStG enthaltene Tatbestandsmerkmal "vororganschaftlich" sei nicht nur in zeitlicher, sondern auch in sachlicher Hinsicht zu verstehen und erfasse auch eine sog. außerorganschaftliche Verursachung, so dass auch solche Mehrabführungen erfasst würden, die sich daraus ergäben, dass das Vermögen einer anderen Gesellschaft durch Umwandlung oder Einbringung auf eine Organgesellschaft übergehe und die übernehmende Organgesellschaft das auf sie übergehende Vermögen in der Steuerbilanz mit den Buchwerten, handelsrechtlich jedoch mit den Verkehrswerten ansetze, folgt der BFH dieser Rechtsauffassung nicht.

Eine vororganschaftliche Mehrabführung i.S. von § 14 Abs. 3 Satz 1 KStG liegt vor, wenn die Mehrabführung "ihre Ursache in vororganschaftlicher Zeit" hat. Der Gesetzeswortlaut spricht insoweit eindeutig für ein rein zeitliches Verständnis, denn der Passus "Ursache in vororganschaftlicher Zeit" kann sprachlich und in seinem Kontext nur so verstanden werden, dass die Ursache der Mehrabführung zeitlich vor dem Wirksamwerden der Organschaft liegen muss Der Gesetzeswortlaut lässt eine Auslegung, wonach "vororganschaftlich verursacht" im Sinne von "außerhalb des konkreten Organschaftsverhältnisses verursacht" auszulegen ist nicht zu.

Für die vorgenannte Auslegung spricht auch der Zweck des § 14 Abs. 3 Satz 1 KStG, Gewinne, die bei der Organgesellschaft bereits vor Begründung des Organschaftsverhältnisses besteuert wurden, handelsrechtlich aber erst nach der Begründung des Organschaftsverhältnisses entstehen und an den Organträger abgeführt werden, der Dividendenbesteuerung beim Organträger zuzuführen.

Es liegt auch keine Regelungslücke vor, die im Wege richterlicher Rechtsfortbildung zu schließen wäre. § 14 Abs. 3 Satz 1 und Abs. 4 Satz 1 KStG differenzieren Mehrabführungen allein danach, ob sie "in vororganschaftlicher Zeit" oder "in organschaftlicher Zeit" verursacht sind. Nach dieser Systematik wird ausnahmslos jede Mehrabführung von einer der beiden Bestimmungen erfasst und ist eine eigene Kategorie von "außerorganschaftlich" verursachten Mehrabführungen weder im Gesetz angelegt noch erforderlich.
Verlag Dr. Otto Schmidt
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