11.05.2023

Antidumpingzoll auf die Einfuhren von Schuhen mit Oberteil aus Leder aus der Volksrepublik China und Vietnam

1. Soweit die VO 1472/2006 und die DVO 1294/2009 durch den EuGH für ungültig erklärt wurden, weil die Europäische Kommission nicht über die Anträge einzelner ausführender Hersteller auf Marktwirtschafts- und individuelle Behandlung entschieden hatte, war die Europäische Kommission berechtigt, das Antidumpingverfahren wiederaufzunehmen, die Prüfung der Anträge nachzuholen und neue Antidumpingzollverordnungen zu erlassen. Die aufgrund der VO 1472/2006 und der DVO 1294/2009 entrichteten Abgaben blieben daher gesetzlich geschuldet i.S. von Art. 236 Abs. 1 ZK.
2. Eine nochmalige Mitteilung des festzusetzenden Antidumpingzolls ist nach Erlass der neuen Antidumpingzollverordnungen (DVO 2016/1647 und DVO 2016/2257) nicht erforderlich, weil die Rechtsgrundlage für die Festsetzung des Antidumpingzolls nicht vollständig entfallen war, die Europäische Kommission gemäß Art. 266 AEUV zur Umsetzung des EuGH-Urteils verpflichtet war und die Höhe des Antidumpingzollsatzes auch nach nochmaliger Prüfung durch die Europäische Kommission unverändert geblieben ist.

Kurzbesprechung
BFH v. 13.12.2022 - VII R 13/20

ZK Art 236 Abs 1
EWGV 2913/92 Art 236 Abs 1
EGV 1472/2006
EUV 1294/2009, 2016/1647, 2016/2257,
EGV 384/96 Art 2 Abs 7 Buchst b, 384/96 Art 9 Abs 5
AEUV Art 267 Abs 3


Nach Art. 236 Abs. 1 ZK werden Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben insoweit erstattet, als nachgewiesen wird, dass der Betrag im Zeitpunkt der Zahlung nicht gesetzlich geschuldet war oder entgegen Art. 220 Abs. 2 ZK buchmäßig erfasst wurde. Die geltenden Zollvorschriften und somit auch Art. 236 Abs. 1 ZK sind gemäß Art. 1 Abs. 4 VO 1472/2006 bzw. Art. 1 Abs. 5 DVO 1294/2009 auf die in diesen Verordnungen festgelegten Antidumpingzölle anzuwenden.

Im Streitfall schuldete die Steuerpflichtige den entrichteten Antidumpingzoll, weil die von ihr im April 2010 aus China und Vietnam eingeführten und zum zollrechtlich freien Verkehr (vgl. Art. 201 Abs. 1 Buchst. a, Abs. 2 ZK) angemeldeten Schuhe sowohl im Zeitpunkt der buchmäßigen Erfassung (Art. 217 Abs. 1 Unterabs. 1 ZK) als auch der Zahlung einem Antidumpingzoll nach der VO 1472/2006, verlängert um einen Zeitraum von 15 Monaten durch Art. 2 DVO 1294/2009 bis 31.03.2011, unterlagen. Die Steuerpflichtige ist als Anmelderin nach Art. 201 Abs. 3 Satz 1 ZK Schuldnerin des Antidumpingzolls.

Das HZA hatte der Berechnung des Antidumpingzolls zu Recht den allgemeinen Antidumpingzollsatz in Höhe von 16,5 % für die aus China eingeführten Schuhe und in Höhe von 10 % für die aus Vietnam eingeführten Schuhe auf den Nettopreis frei Grenze der Union, unverzollt, zugrunde gelegt (Art. 1 Abs. 3 VO 1472/2006, Art. 1 Abs. 3 VO 1294/2009). Ein unternehmensspezifischer Antidumpingzollsatz war für die beiden ausführenden Hersteller A und B nicht vorgesehen, weil die Kommission für die nicht in die Stichprobe einbezogenen Ausführer keine individuelle Entscheidung über MWB-Anträge nach Art. 2 Abs. 7 Buchst. b GrundVO i.d.F. nach der Verordnung (EG) Nr. 2117/2005 des Rates vom 21.12.2005 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 384/96 über den Schutz gegen gedumpte Einfuhren aus nicht zur Europäischen Gemeinschaft gehörenden Ländern (ABlEU 2005, Nr. L 340, 17) getroffen (Erwägungsgründe 60 ff. VO 1472/2006) und auch keine individuelle Behandlung nach Art. 9 Abs. 5 GrundVO gewährt hatte (Erwägungsgründe 82 ff. VO 1472/2006).

Der BFH entschied, dass für die Entstehung des streitgegenständlichen Antidumpingzolls eine Rechtsgrundlage besteht. Denn der Rechtsgrund für die Zahlung des Antidumpingzolls ist nicht infolge der Beanstandung der VO 1472/2006 und der DVO 1294/2009 durch den EuGH und der anschließenden Wiederaufnahme des Antidumpingverfahrens durch die Kommission nachträglich entfallen.

Die Wiedereinführung der Antidumpingzölle verstößt auch nicht gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes und das Rückwirkungsverbot. Die Kommission hat die DVOen 2016/1647 und 2016/2257 erlassen, um ihrer Pflicht zur Umsetzung des EuGH-Urteils C & J Clark International und Puma (EU:C:2016:74, ZfZ 2016, 212) gemäß Art. 266 AEUV nachzukommen. Denn die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union, denen das für nichtig erklärte Handeln zur Last fällt oder deren Untätigkeit als vertragswidrig erklärt worden ist, sind gemäß Art. 266 AEUV verpflichtet, die sich aus einem EuGH-Urteil ergebenden Maßnahmen zu ergreifen. Für betroffene Ausführer und Einführer wie die Steuerpflichtige war daher absehbar, dass die bisher zu Unrecht nicht geprüften MWB- und IB-Anträge nun geprüft werden würden und korrigierte Antidumpingverordnungen zu erwarten waren.

Ein schutzwürdiges Vertrauen dahingehend, dass die Beanstandung der Antidumpingverordnungen durch die EuGH - Rechtsprechung zu einer vollständigen Erstattung des gezahlten Antidumpingzolls führen würde, konnte die Steuerpflichtige somit nicht haben.

Das HZA war nach Erlass der DVOen 2016/1647 und 2016/2257 auch nicht zu einer erneuten Festsetzung des Antidumpingzolls durch Erlass eines neuen Einfuhrabgabenbescheids gegenüber der Klägerin verpflichtet. Denn es hatte der Steuerpflichtigen den Antidumpingzoll mit mittlerweile bestandskräftigem Einfuhrabgabenbescheid innerhalb der Frist nach Art. 221 Abs. 3 ZK mitgeteilt. Anhaltspunkte für eine Nichtigkeit des Einfuhrabgabenbescheids i.S. von § 125 AO bestanden nicht. Eine nochmalige Mitteilung des auf die Einfuhren der Steuerpflichtigen entfallenden Antidumpingzolls war aufgrund der besonderen Umstände des vorliegenden Streitfalls nach Überzeugung des BFH nicht geboten.

Die Steuerpflichtige hatte im Streitfall auch keinen Anspruch auf Verzinsung, weil ihr bereits kein Anspruch auf Erstattung des entrichteten Antidumpingzolls zustand.

Ein Anlass zur Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH bestand nicht, weil der BFH die hier zu beurteilenden Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Einführung und Ergänzung der Antidumpingzölle durch die EuGH-Entscheidungen als geklärt ansieht.
Verlag Dr. Otto Schmidt
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