14.12.2023

Anwendung des 90 %-Einstiegstests bei Handelsunternehmen

§ 13b Abs. 2 Satz 2 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) ist dahingehend auszulegen, dass bei Handelsunternehmen, deren begünstigungsfähiges Vermögen aus Finanzmitteln im Sinne des § 13b Abs. 4 Nr. 5 ErbStG besteht und nach seinem Hauptzweck einer Tätigkeit im Sinne des § 15 Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes dient, für den dort verankerten sogenannten 90 %-Einstiegstest die betrieblich veranlassten Schulden von den Finanzmitteln in Abzug zu bringen sind.

Kurzbesprechung
BFH v. 13.9.2023 - II R 49/21

ErbStG § 13a Abs 1, § 13a Abs 2, § 13b Abs 2 S 2, § 13b Abs 4 Nr. 5 S 1, § 13b Abs 4 Nr. 5 S 4
EStG § 15 Abs 1 S 1 Nr. 1
GG Art 3 Abs 1
AO § 42


Nach § 13a Abs. 1 Satz 1 ErbStG bleibt begünstigtes Vermögen im Sinne des § 13b Abs. 2 ErbStG grundsätzlich zu 85 % steuerfrei (Verschonungsabschlag), wenn der Erwerb begünstigten Vermögens im Sinne des § 13b Abs. 2 ErbStG zuzüglich der Erwerbe im Sinne des § 13a Abs. 1 Satz 2 ErbStG insgesamt 26 Mio. € nicht übersteigt. Gemäß § 13a Abs. 2 Satz 1 ErbStG bleibt der nach Anwendung von § 13a Abs. 1 ErbStG verbleibende Teil des begünstigten Vermögens außer Ansatz, soweit der Wert dieses Vermögens insgesamt 150.000 € nicht übersteigt (Abzugsbetrag).

Nach § 13b Abs. 2 Satz 1 ErbStG ist das begünstigungsfähige Vermögen jedoch nur begünstigt, soweit sein gemeiner Wert den um das unschädliche Verwaltungsvermögen im Sinne des Absatzes 7 gekürzten Nettowert des Verwaltungsvermögens im Sinne des Absatzes 6 übersteigt (begünstigtes Vermögen). Dies gilt nach § 13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG jedoch nicht, wenn das Verwaltungsvermögen nach Absatz 4 vor der Anwendung des Absatzes 3 Satz 1, soweit das Verwaltungsvermögen nicht ausschließlich und dauerhaft der Erfüllung von Schulden aus durch Treuhandverhältnisse abgesicherten Altersversorgungsverpflichtungen dient und dem Zugriff aller übrigen nicht aus diesen Altersversorgungsverpflichtungen unmittelbar berechtigten Gläubiger entzogen ist, sowie der Schuldenverrechnung und des Freibetrags nach Absatz 4 Nummer 5 sowie der Absätze 6 und 7 mindestens 90 % des gemeinen Werts des begünstigungsfähigen Vermögens beträgt.

Der BFH hat nun entschieden, dass § 13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG dahingehend auszulegen ist, dass bei Handelsunternehmen, deren begünstigungsfähiges Vermögen aus Finanzmitteln im Sinne des § 13b Abs. 4 Nr. 5 ErbStG besteht und deren Hauptzweck einer Tätigkeit im Sinne des § 15 Abs. 1 Satz 1 EStG dient, für den dort verankerten 90 %-Einstiegstest die betrieblich veranlassten Schulden von den Finanzmitteln in Abzug zu bringen sind. Er hält dies aus systematischen und verfassungsrechtlichen Gründen für geboten und und sieht auch keinen Widerspruch in dem Anliegen/Ziel des Gesetzgebers, durch den 90 %-Einstiegstest den Missbrauch der Begünstigung von Betriebsvermögen nach § 13a ErbStG zu verhindern.

§ 13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG trifft die Entscheidung, ob nach § 13b Abs. 2 Satz 1 ErbStG grundsätzlich begünstigungsfähiges Vermögen vollständig nicht begünstigt ist, durch eine Berechnung im Rahmen einer mathematischen Formel mit Zähler und Nenner. Der Wortlaut des § 13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG muss wohl dahingehend verstanden werden, dass er als maßgeblichen Zähler das Verwaltungsvermögen nach § 13b Abs. 4 ErbStG unter anderem "vor" der Schuldenverrechnung und des 15%igen Freibetrags nach § 13b Abs. 4 Nr. 5 ErbStG festlegt.

Die wortlautgetreue Anwendung dieser in § 13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG verankerten Berechnungsformel führt dazu, dass grundsätzlich begünstigungsfähiges Betriebsvermögen von Handelsunternehmen, deren Hauptzweck in einer gewerblichen Tätigkeit besteht und die am Tag der Entstehung der Steuer zur Aufrechterhaltung ihrer unternehmerischen Tätigkeit über einen hohen Bestand an Finanzmitteln ‑ insbesondere Forderungen aus Lieferungen und Leistungen ‑ verfügen, wegen der Fallbeilwirkung der Regelung in vollem Umfang von der erbschaft- und schenkungsteuerrechtlichen Begünstigung ausgeschlossen ist.

Gleichzeitig und dazu widersprüchlich könnte das Verwaltungsvermögen im Sinne des § 13b Abs. 4 ErbStG solcher Handelsunternehmen deutlich niedriger - gegebenenfalls sogar mit 0 € - festzustellen sein, weil die grundsätzlich als steuerschädliches Verwaltungsvermögen einzustufenden betriebsnotwendigen Finanzmittel, nach Abzug des üblicherweise bei solchen Handelsunternehmen ebenfalls hohen Bestands an Forderungen aus Lieferungen und Leistungen, regelmäßig weniger als 15 % des anzusetzenden Betriebsvermögens betragen, sie mithin keine steuerschädlichen Finanzmittel darstellen und damit im Ergebnis nicht als steuerschädliches Verwaltungsvermögen zu berücksichtigen sind und auch darüber hinaus kein steuerschädliches Verwaltungsvermögen gegeben ist.

Der BFH hält eine den Wortlaut eingrenzende Auslegung des § 13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG dahingehend für geboten, dass zumindest bei typischen Handelsunternehmen für den 90 %-Einstiegstest die betrieblich veranlassten Schulden von den Finanzmitteln im Sinne des § 13b Abs. 4 Nr. 5 ErbStG in Abzug zu bringen sind. Bei dem 90 %-Einstiegstest ist daher bei Finanzmitteln entsprechend der Regelung des § 13b Abs. 4 Nr. 5 ErbStG der gemeine Wert der betrieblich veranlassten Schulden abzuziehen.

Diese erweiternde Auslegung ist dadurch zu begrenzen, dass das begünstigungsfähige Vermögen nach seinem Hauptzweck einer gewerblichen Tätigkeit im Sinne des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG dient. Denn § 13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG nimmt die Gesetzessystematik des § 13b Abs. 4 ErbStG auf, indem er in seinem ersten Nebensatz auf diese Vorschrift verweist. Es ist deshalb erforderlich, den Hauptzweckansatz des § 13b Abs. 4 Nr. 5 ErbStG auch im Rahmen des 90 %-Einstiegstests heranzuziehen, um zu verhindern, dass Erwerber von Cash-Gesellschaften Steuerbegünstigungen erhalten, die nur für originär betriebliche Tätigkeiten vorgesehen sind.

Dieser Auslegung steht auch § 42 AO nicht entgegen, da es sich bei § 13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG um eine besondere Missbrauchsvermeidungsvorschrift handelt.
Zurück