20.02.2020

Aufrechnung des FA mit Erstattungsansprüchen aus Umsatzsteuer bei nicht erkannter Organschaft im Insolvenzverfahren

Der Rechtsgrund für eine Erstattung von Umsatzsteuer wird auch dann im insolvenzrechtlichen Sinne bereits mit der Leistung der entsprechenden Vorauszahlungen gelegt, wenn diese im Fall einer nicht erkannten Organschaft zunächst gegen die Organgesellschaft festgesetzt und von dieser auch entrichtet worden sind.

Kurzbesprechung
BFH v. 15.10.2019 - VII R 31/17

InsO § 96 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 3
AO § 37 Abs. 2, § 226
BGB §§ 387 ff.
ZPO § 241 Abs. 1


Nach § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO ist die Aufrechnung unzulässig, wenn ein Insolvenzgläubiger erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens etwas zur Insolvenzmasse schuldig geworden ist. Ob ein Insolvenzgläubiger vor oder nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens etwas zur Insolvenzmasse schuldig geworden ist, bestimmt sich danach, ob der Tatbestand, der den betreffenden Anspruch begründet, nach den steuerrechtlichen Vorschriften bereits vor oder erst nach Insolvenzeröffnung vollständig verwirklicht und damit abgeschlossen ist. Entscheidend ist, ob sämtliche materiell-rechtlichen Tatbestandsvoraussetzungen für die Entstehung eines Erstattungsanspruchs im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bereits erfüllt waren.

Ein Erstattungsanspruch nach § 37 Abs. 2 AO aufgrund zu hoher bzw. nicht geschuldeter Vorauszahlungen entsteht (§ 38 AO) bereits im Zeitpunkt der Entrichtung der jeweiligen Vorauszahlung unter der aufschiebenden Bedingung, dass am Ende des Besteuerungszeitraums die geschuldete Steuer geringer ist als die Vorauszahlung. Dementsprechend wird der Rechtsgrund für eine Erstattung von Einkommensteuer (auch) im insolvenzrechtlichen Sinne bereits mit der Leistung der entsprechenden Vorauszahlungen gelegt.

Erst recht muss dies für solche Vorauszahlungen gelten, die von vornherein ohne (materiellen) Rechtsgrund geleistet worden sind; denn in diesem Fall steht der Erstattungsanspruch noch nicht einmal unter einer aufschiebenden Bedingung.

Die (verfahrensrechtliche) Festsetzung des Erstattungsanspruchs und ebenso dessen Änderung oder Aufhebung sind für den Zeitpunkt der insolvenzrechtlichen Entstehung nicht maßgeblich. Ebenfalls nicht maßgeblich ist der Zeitpunkt, zu dem die den zu erstattenden Zahlungen zugrunde liegenden Steuerfestsetzungen oder -anmeldungen aufgehoben worden sind. Es ist daher insolvenzrechtlich ausreichend, dass der Sachverhalt, der zu der Entstehung des Erstattungsanspruchs führt, verwirklicht ist.

An diesen Grundsätzen hat sich durch die Rechtsprechung des BFH zu §§ 14c, 17 UStG und zu § 16 GrEStG nichts geändert; denn diese Regelungen gewähren allesamt eigenständige Berichtigungsansprüche mit jeweils eigenen materiell-rechtlichen Tatbestandsvoraussetzungen, an die sich besondere Rechtsfolgen knüpfen, denen keine Rückwirkung zukommt. Auf den Fall eines Erstattungsanspruchs nach § 37 Abs. 2 AO aufgrund zu hoher bzw. materiell-rechtlich nicht geschuldeter Vorauszahlungen ist diese Rechtsprechung nicht anwendbar.

Vor diesem rechtlichen Hintergrund war der streitige Erstattungsanspruch des Steuerpflichtigen materiell-rechtlich bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden. Das streitige Guthaben aus der Umsatzsteuer für 2011 beruhte auf Vorauszahlungen, die von der GmbH bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens geleistet wurden, ohne dass hierfür --wegen des Bestehens einer Organschaft mit der GmbH als Organgesellschaft-- ein (materieller) Rechtsgrund bestand. Das FA ist somit in Bezug auf diesen Erstattungsanspruch bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens i.S. von § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO "etwas zur Insolvenzmasse schuldig" geworden.

Die Aufrechnung war auch nicht nach § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO unzulässig. Eine Aufrechnung ist nach § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO unzulässig, wenn ein Insolvenzgläubiger die Möglichkeit der Aufrechnung durch eine anfechtbare Rechtshandlung erlangt hat. Gemäß § 129 InsO kann der Insolvenzverwalter Rechtshandlungen, die vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen worden sind und die Insolvenzgläubiger benachteiligen, nach Maßgabe der §§ 130 bis 146 InsO anfechten. "Rechtshandlung" in diesem Sinne ist jedes Tun oder Unterlassen (§ 129 Abs. 2 InsO), das eine rechtliche Wirkung nach außen auslöst; erfasst werden hierbei nicht nur Willenserklärungen, sondern auch Realakte --wie z.B. Zahlungen-- und Prozess- und Vollstreckungshandlungen.

Dass der Erstattungsanspruch des Steuerpflichtigen auf Zahlungen beruhte, die die GmbH in dem nach §§ 130 ff. InsO maßgeblichen Zeitraum geleistet hätte, hatte das FG nicht festgestellt. Es wäre Aufgabe des Steuerpflichtigen gewesen, der sich auf § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO beruft, konkret vorzutragen, welche Zahlungen von der GmbH wann geleistet worden sind; denn die Beweislast für die Voraussetzungen des § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO trifft den Insolvenzverwalter. Dies war im Streitfall jedoch nicht erfolgt.
Verlag Dr. Otto Schmidt
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