12.05.2022

Auskunftsanspruch nach der Datenschutz-Grundverordnung

Es besteht kein Anspruch auf Auskunft über die bei der Informationszentrale für steuerliche Auslandsbeziehungen gespeicherten Daten.

Kurzbesprechung
BFH v. 17.11.2021 - II R 43/19

AO §§ 2a, 32a, 32b, 32c, 32i, 85, 88a, FGO § 33 Abs 1 Nr 4, § 86 Abs 3, § 123 Abs 1 Satz 1, EUV 2016/679 Art 2, 3, 4, 6, 13, 14, 15, 16, 17, 23, BDSG §§ 19, 58, FVG § 1 Nr 2, § 4 Abs 2, § 4 Abs 3, § 5 Abs 1 Satz 1 Nr. 6, FGO § 155 Satz 1, ZPO § 254, GG Art. 19 Abs. 4, Art. 2 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3, Art. 1 Abs. 1

Die Klägerin ist eine im Ausland registrierte Gesellschaft. Das Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung führte für 2006 bis 2012 eine Fahndungsprüfung durch, die zu geänderten Bescheiden und in ein Klageverfahren führte. Zentraler Streitpunkt war die Frage, wo die geschäftliche Oberleitung der Klägerin tatsächlich ansässig war. Die Finanzverwaltung meinte, dies sei in der Bundesrepublik Deutschland (Deutschland) gewesen. Im Rahmen einer mündlichen Verhandlung vor dem Finanzgericht (FG) kam es zu einer tatsächlichen Verständigung dahin, dass die geschäftliche Oberleitung sich bis 2008 im Inland, ab 2009 ausschließlich in A befunden habe.

Kurz darauf beantragte die Klägerin unter Hinweis auf diese Verständigung erstmals bei dem Beklagten (Bundeszentralamt für Steuern - BZSt -) die Änderung der über sie bei der Informationszentrale für steuerliche Auslandsbeziehungen (IZA) gespeicherten Daten. Sie legte dafür ein Firmenprofil der IZA über sie vor. Darin wurde sie als Briefkastenfirma und Offshore-Gesellschaft bezeichnet, die nach Ermittlungen des FA keine inländische Betriebsstätte unterhalte. Auf dem Auszug hatte die Klägerin Löschungs- und Änderungswünsche vermerkt, die sich im Wesentlichen gegen eine Ansässigkeit in Deutschland richteten. Den Antrag der Klägerin lehnte das BZSt schriftlich ab. Im Rahmen eines Einspruchs reichte die Klägerin ein aktuelles Firmenprofil der IZA ein, auf dem sie wiederum Löschungs- und Änderungswünsche vermerkt hatte. Die Klägerin erläuterte, dass sie die sie betreffenden Datenauszüge auch ohne eigenen Anspruch zu gegebener Zeit von ihren Geschäftspartnern erhalten werde. Würden diese wegen einer angeblich ausländischen Geschäftsleitung der Klägerin mit ungerechtfertigten Umsatzsteuerforderungen überzogen, müssten spätestens im jeweiligen Finanzgerichtsverfahren die vermeintlichen Erkenntnisse über die Klägerin offengelegt werden.

Mit ihrer Klage beantragte die Klägerin die Korrektur der über sie bei der IZA gespeicherten Datensätze. Sie ergänzte, in der Praxis prüften die Finanzbehörden die Auskünfte der IZA nicht selbständig.

Das FG hat die Klage abgewiesen. Es bestehe kein Anspruch auf Auskunft über den durch das BZSt nicht preisgegebenen aktuellen Datenbestand, so dass keine Grundlage für einen Korrekturanspruch gegeben sei. Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung stehe hinter dem Interesse des Staats an einer ordnungsgemäßen Aufgabenerfüllung in Bezug auf die gleichmäßige Festsetzung und Erhebung von Steuern zurück. Frühzeitige Auskunftserteilung mache die gesammelten Daten weitgehend wertlos, während der Betroffene zu einem späteren Zeitpunkt Rechtsschutz erhalte. Die Informations- und Berichtigungspflicht aus Art. 12-22 DSGVO sei in zulässiger Weise auf Grundlage von Art. 23 Abs. 1 Buchst. e DSGVO durch § 58 BDSG wie auch die §§ 32a ff. AO, insbes. § 32b, § 32c Abs. 1 Nr. 1 und § 32f Abs. 5 AO, eingeschränkt worden. Selbst in Bezug auf bekannt gewordene und etwa fehlerhafte Daten bestehe kein Korrekturanspruch, da den Informationen der IZA keine Bindungswirkung zukomme.

Auch die Revision war erfolglos. Das FG hat zu Recht erkannt, dass die Klägerin weder einen Anspruch auf Auskunft noch auf Änderung der Datensätze bei der IZA besitzt. Ansprüche aus der DSGVO sind in zulässiger Weise durch die AO eingeschränkt worden.

Nach Art. 23 Abs. 1 DSGVO können durch Rechtsvorschriften der Union oder der Mitgliedstaaten, denen der Verantwortliche oder der Auftragsverarbeiter unterliegt, die Pflichten und Rechte gemäß Art. 12-22 DSGVO im Wege von Gesetzgebungsmaßnahmen beschränkt werden, sofern eine solche Beschränkung den Wesensgehalt der Grundrechte und Grundfreiheiten achtet und in einer demokratischen Gesellschaft eine notwendige und verhältnismäßige Maßnahme darstellt, die u.a. den Schutz sonstiger wichtiger Ziele des allgemeinen öffentlichen Interesses der Union oder eines Mitgliedstaats, insbes. eines wichtigen wirtschaftlichen oder finanziellen Interesses der Union oder eines Mitgliedstaats sicherstellt. Die nationalen Rechtsvorschriften müssen der Verfassungsordnung des betreffenden Mitgliedstaats entsprechen.

Die Datensammlung durch die IZA ist als solche formell und materiell rechtmäßig. Dies hat zur Folge, dass ein Löschungsanspruch jedenfalls nicht allein deswegen besteht, weil die Datensammlung ungeachtet des Inhalts der gesammelten Daten selbst unrechtmäßig wäre.

Die Befugnis des BZSt zur Verarbeitung der Daten folgt aus § 88a AO. Danach dürfen die Finanzbehörden, soweit es zur Sicherstellung einer gleichmäßigen Festsetzung und Erhebung der Steuern erforderlich ist, nach § 30 AO geschützte Daten auch für Zwecke künftiger Verfahren i.S. des § 30 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a und b AO, insbes. zur Gewinnung von Vergleichswerten, in Dateisystemen verarbeiten. Nach § 88a Satz 2 AO ist eine Verarbeitung nur für solche Verfahren zulässig. Gleichmäßige Festsetzung und Erhebung der Steuern in diesem Sinne ist nur unter Einbeziehung der steuerrechtlichen Verhältnisse mit Auslandsbezug zu gewährleisten.

Diese Vorschriften entsprechen den Anforderungen des Art. 6 Abs. 1 Buchst. e DSGVO. Die gleichmäßige Festsetzung und Erhebung der Steuern ist nach § 85 Satz 1 AO zentrale Aufgabe der Finanzbehörden, liegt im öffentlichen Interesse und erfolgt in Ausübung öffentlicher Gewalt. § 88a AO sowie § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 FVG i.V.m. dem auf dieser Rechtsgrundlage ergangenen konkretisierenden IZA-Erlass stellen spezifischere Bestimmungen nach Maßgabe von Art. 6 Abs. 2-4 DSGVO dar.

Nach § 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a AO besteht die Pflicht der Finanzbehörde zur Information der betroffenen Person gem. Art. 14 Abs. 1, 2 und 4 DSGVO nicht, soweit die Erteilung der Information die ordnungsgemäße Erfüllung der in der Zuständigkeit der Finanzbehörden oder anderer öffentlicher Stellen liegenden Aufgaben i.S.d. Art. 23 Abs. 1 Buchst. d-h DSGVO gefährden würde und deswegen das Interesse der betroffenen Person an der Informationserteilung zurücktreten muss.

Gemäß § 32b Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32a Abs. 2 Nr. 1 AO wird die ordnungsgemäße Erfüllung der in der Zuständigkeit der Finanzbehörden liegenden Aufgaben i.S.d. Art. 23 Abs. 1 Buchst. d-h DSGVO insbes. gefährdet, wenn die Erteilung der Information die betroffene Person oder Dritte in die Lage versetzen könnte, steuerlich bedeutsame Sachverhalte zu verschleiern (§ 32a Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a AO), steuerlich bedeutsame Spuren zu verwischen (§ 32a Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b AO) oder Art und Umfang der Erfüllung steuerlicher Mitwirkungspflichten auf den Kenntnisstand der Finanzbehörden einzustellen (§ 32a Abs. 2 Nr. 1 Buchst. c AO) und damit die Aufdeckung steuerlich bedeutsamer Sachverhalte wesentlich erschwert würde. § 32b Abs. 3 AO schreibt für solche Fälle geeignete Schutzmaßnahmen vor.

Den Grundsätzen der Notwendigkeit und der Verhältnismäßigkeit nach Art. 23 Abs. 1 DSGVO ist genügt. § 32b Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32a Abs. 2 Nr. 1 AO konkretisiert das in einer Auskunftserteilung liegende Gefährdungspotential und beschränkt so die Verweigerung einer Auskunft auf das zur Verfolgung der staatlichen Zwecke Notwendige. § 32b Abs. 1 Satz 1 letzter Halbsatz AO enthält eine Abwägung zwischen den Interessen der Finanzbehörden und den Interessen der betroffenen Person und wahrt so den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

Es entspricht diesen Grundsätzen, der betroffenen Person über die nicht bei ihr erhobenen und bei der IZA gespeicherten Daten keine Auskunft zu erteilen. Die Auskunftsansprüche aus Art. 15 DSGVO sind nach § 32c Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a AO ausgeschlossen.

Eine Auskunftserteilung über die bei der IZA gesammelten Daten gefährdete die ordnungsgemäße Erfüllung der Aufgaben der Finanzbehörden aus Art. 23 Abs. 1 Buchst. e DSGVO i.V.m. § 85 Satz 1 AO. Der Senat verweist auf die vom BVerfG in dem Beschluss v. 10.3.2008 - 1 BvR 2388/03, BVerfGE 120, 351, BStBl. II 2009, 23 gebilligten Ausführungen des VII. Senats des BFH in dessen Urteil vom 30.7.2003 - VII R 45/02 (BFHE 202, 425, BStBl. II 2004, 387), denen er sich vollen Umfangs anschließt und an denen er festhält.

Es existiert kein selbständiger Berichtigungsanspruch aus Art. 16 DSGVO, der von einem vorgängigen Auskunftsanspruch unabhängig wäre, ebenso wenig wie ein selbständiger Löschungsanspruch aus Art. 17 DSGVO. § 32c AO ist in der Weise auszulegen, dass der Ausschluss des Auskunftsanspruchs auch einen Ausschluss des Berichtigungs- und Löschungsanspruchs beinhaltet.

Ein von einem vorgängigen Auskunftsanspruch unabhängiger Berichtigungs- oder Löschungsanspruch implizierte, dass das BZSt bzw. im Klageverfahren das FG im Rahmen seiner Sachaufklärungspflicht die Richtigkeit der bei der IZA gespeicherten Daten überprüfen müsste. Das ist nicht auf verfassungskonforme Weise möglich, ohne die Beschränkungen des § 32c AO gegenstandslos zu machen. Könnte ein selbständiger Korrekturanspruch im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren geltend gemacht werden, wäre dem Anspruchsteller rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) hinsichtlich der Feststellungen zu den gespeicherten Daten und deren Richtigkeit zu gewähren, womit ihm diejenige Auskunft erteilt wäre, auf die er nach § 32c AO gerade keinen Anspruch hat. Eine Rechtsanwendung, mit der eine Vorschrift, hier § 32c AO, funktionslos würde, ist offenkundig falsch.
Verlag Dr. Otto Schmidt
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