14.07.2022

Bedeutung des Neutralitätsgrundsatzes für Steuersatzermäßigungen

1. Ein Mitgliedstaat, der auf der Grundlage von Art. 122 MwStSystRL einen ermäßigten Steuersatz für Lieferungen von Brennholz schafft, kann dessen Anwendungsbereich anhand der KN auf bestimmte Kategorien von Lieferungen von Brennholz begrenzen, sofern der Grundsatz der steuerlichen Neutralität beachtet wird (Folgeentscheidung zum EuGH-Urteil Finanzamt A vom 03.02.2022 - C-515/20, EU:C:2022:73 - Änderung der Rechtsprechung).
2. Daher können Holzhackschnitzel auch dann nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG i.V.m. der Anlage 2 Nr. 48 Buchst. a zum UStG der Steuersatzermäßigung unterliegen, wenn sie bei richtlinienkonformer Auslegung entsprechend Art. 122 MwStSystRL Brennholz im Sinne der Warenbeschreibung der Anlage 2 Nr. 48 Buchst. a zum UStG sind. Dem steht das Fehlen der hierfür erforderlichen zolltariflichen Voraussetzung nicht entgegen, wenn die Holzhackschnitzel und das die zolltarifliche Voraussetzung erfüllende Brennholz austauschbar sind.

Kurzbesprechung
BFH v. 21. 4. 2022 - V R 2/22 (V R 6/18)

UStG § 12 Abs 2 Nr. 1, § 12 Abs 2 Nr. 1 Anl. 2 Nr. 48 Buchst a
EGRL 112/2006 Art 122
GG Art 100
BVerfGG § 80
FGO § 11 Abs 3 S 1


§ 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG ordnet i.V.m. der Anlage 2 Nr. 48 Buchst. a zum UStG eine Steuersatzermäßigung für die Lieferung von Brennholz entsprechend den dort in der zweiten und dritten Spalte genannten Bedingungen an. Danach bezieht sich die Steuersatzermäßigung entsprechend der Warenbezeichnung der zweiten Spalte auf "Brennholz in Form von Rundlingen, Scheiten, Zweigen, Reisigbündeln oder ähnlichen Formen", das entsprechend der Verweisung auf den "Zolltarif" in der dritten Spalte in die "Unterposition 4401 10 00" der KN einzureihen ist.

Bei richtlinienkonformer Auslegung der Anlage 2 Nr. 48 Buchst. a zum UStG ist das im Streitfall ergangene EuGH-Urteil Finanzamt A (EU:C:2022:73) zu beachten. Danach kann ein Mitgliedstaat, der auf der Grundlage von Art. 122 MwStSystRL einen ermäßigten Steuersatz für Lieferungen von Brennholz schafft, dessen Anwendungsbereich anhand der KN auf bestimmte Kategorien von Lieferungen von Brennholz begrenzen, sofern der Grundsatz der steuerlichen Neutralität beachtet wird.

An der bisherigen Rechtsprechung des BFH, nach der einer zolltariflichen Einreihung Vorrang gegenüber dem Neutralitätsgrundsatz zukam, da Gegenstände, die in unterschiedliche Unterpositionen der KN einzureihen sind, als "nicht gleichartig" angesehen wurden, auch wenn sie über einen "identischen Anwendungsbereich" und "Verwendungszweck" verfügen und die "gleiche ... Wirkung haben" und "zum gleichen Zweck ... verwendet" werden hält der BFH daher nicht mehr fest (Änderung der Rechtsprechung).

Holzhackschnitzel können auch dann nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG i.V.m. der Anlage 2 Nr. 48 Buchst. a zum UStG der Steuersatzermäßigung unterliegen, wenn sie bei richtlinienkonformer Auslegung entsprechend Art. 122 MwStSystRL Brennholz im Sinne der Warenbeschreibung der Anlage 2 Nr. 48 Buchst. a zum UStG sind. Dem steht das Fehlen der hierfür erforderlichen zolltariflichen Einreihung in die Unterposition 4401 10 00 KN nicht entgegen, da die Holzhackschnitzel und das diese zolltarifliche Voraussetzung erfüllende Brennholz im Streitfall austauschbar waren.

Die sich aus dem Neutralitätsgrundsatz ergebenden Anforderungen sind im Rahmen einer umsatzsteuerrechtlichen Auslegung der in der Anlage 2 zum UStG enthaltenen Warenbezeichnungen zu berücksichtigen.

Im Streitfall hatte das FG zutreffend entschieden, dass die Holzhackschnitzel Brennholz i.S. der Anlage 2 Nr. 48 Buchst. a zum UStG sind. Denn die Holzhackschnitzel sind nach ihren objektiven Eigenschaften und dabei nach ihrem Trocknungsgrad ausschließlich zum Verbrennen bestimmt.

Liegt somit Brennholz in der von der Anlage 2 Nr. 48 Buchst. a zum UStG erfassten Art vor, kann es von einer auf bestimmte Formen von Brennholz beschränkten Steuersatzermäßigung nur ausgeschlossen werden, wenn die beiden Arten des Brennholzes für den Durchschnittsverbraucher nicht austauschbar sind. Im Streitfall hat das FG zutreffend die erforderliche Austauschbarkeit der Holzhackschnitzel mit dem die zolltarifliche Voraussetzung erfüllenden Brennholz zutreffend damit bejaht, dass es einem Verbraucher in erster Linie auf den jeweiligen Brennwert des Holzes und somit auf den gleichartigen Inhalt der verschiedenen Brennholzformen ankommt.

Die Bejahung der Steuersatzermäßigung für Holzhackschnitzel nach Maßgabe des Neutralitätsgrundsatzes führt nicht zu einer unzulässigen Ausweitung des Geltungsbereichs einer Steuerbegünstigung "ohne eindeutige Bestimmung". Denn die Steuersatzermäßigung ergibt sich aus dem richtlinienkonform auslegbaren Wortlaut der zweiten Spalte der Anlage 2 Nr. 48 Buchst. a zum UStG ("oder ähnlichen Formen") und beruht damit auf einer "eindeutigen Bestimmung".

Im Streitfall unterlag die gegenüber einer Gemeinde erbrachte Leistung dem Regelsteuersatz. Das FG hatte zutreffend entschieden, dass sich im Streitfall eine wirtschaftlich einheitliche Leistung aus der Bezeichnung des Leistungsgegenstands im Vertrag ergab, wobei neben der Abrechnung nach der produzierten Wärmemenge auch die Menge der gelieferten Hackschnitzel dokumentiert werden sollte. Das FG konnte hierfür weiter anführen, dass die Klägerin den Gesamtpreis in Abhängigkeit von der vereinbarten Wärmeabgabemenge kalkuliert hatte, und dass Betrieb, Wartung und Reinigung der Anlage nicht nur Nebenleistungen zum Bezug des Brennstoffs waren, da diese zur Gewinnung von Wärme unverzichtbar und damit nicht nur ein Mittel waren, um eine Holzlieferung unter optimalen Bedingungen in Anspruch zu nehmen, zumal nach der Preisgleitklausel nicht nur die Entwicklung des Holzpreises, sondern auch die der Lohnkosten und die des Heizölpreises Berücksichtigung finden sollten.
Verlag Dr. Otto Schmidt
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