25.08.2022

Belastung der Dividenden von inländischen Kapitalgesellschaften bei steuerbefreiten öffentlich-rechtlichen Versorgungswerken

Es verletzt nach der im Jahr 2010 geltenden Rechtslage nicht den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG, dass Dividenden, die ein öffentlich-rechtliches Versorgungswerk von inländischen Kapitalgesellschaften in seinem gem. § 5 Abs. 1 Nr. 8 KStG steuerbefreiten BgA bezieht, für Körperschaftsteuerzwecke gem. § 5 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 32 Abs. 1 Nr. 1 KStG einem abgeltenden Kapitalertragsteuerabzug von den Bruttoeinnahmen mit einer teilweisen Abstandnahme auf drei Fünftel des Steuerabzugs unterliegen.

Kurzbesprechung
BFH v. 17.5.2022 - VIII R 2/18

AO § 37 Abs. 2, § 115 Abs. 1 Satz 3 Alt. 1
EStG § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 43 Abs. 1 Satz 3, § 43a Abs. 1, § 44a Abs. 4, § 44a Abs. 7, § 44a Abs. 8
KStG § 1 Abs. 1 Nr. 6, § 4 Abs. 1, § 5 Abs. 1 Nr. 8, § 5 Abs. 1 Nr. 9 S 1, § 5 Abs. 2 Nr. 1, § 8b Abs. 1, § 8b Abs. 5, § 32 Abs. 1 Nr. 1, § 32 Abs. 3
InvStG § 7 Abs. 1 Satz 2, § 7 Abs. 3, § 15 Abs. 1 Satz 7
GG Art. 3 Abs. 1, Art. 19 Abs. 3


Die Steuerpflichtige, ein öffentlich-rechtliches berufsständisches Versorgungswerk, beantragte für Kapitalerträge und Wertpapierleiherträge, soweit diese dem Kapitalertragsteuereinbehalt und dem besonderen Steuerabzug für Wertpapierleiherträge unterlegen hatten, die Erteilung eines Bescheids über die Freistellung von Kapitalertragsteuer und Solidaritätszuschlag (§ 155 Abs. 1 Satz 3 Alt. 1 AO) mit dem Ziel, sich die Abzugsbeträge erstatten zu lassen. Die sich aus der abgeltenden Besteuerung ergebende Belastung der streitigen Kapital- und Wertpapierleiherträge verstoße unter verschiedenen Gesichtspunkten gegen das Gebot der Besteuerung nach der finanziellen Leistungsfähigkeit.

Das FA lehnte den Antrag ab. Auch die nachfolgend eingelegte Klage blieb ohne Erfolg.

Der BFH bestätigte die Entscheidung der Vorinstanz und entschied, dass der Steuerpflichtigen der Bescheid über die Freistellung von der Kapitalertragsteuer und dem Solidaritätszuschlag für die streitigen Kapitalerträge auf der Grundlage der einfachgesetzlichen Regelungen nicht zu erteilen ist. Außerdem ist der BFH nicht davon überzeugt, dass die von der Steuerpflichtigen geltend gemachten Gleichheitsverstöße vorliegen, sodass das Verfahren nicht gem. § 74 FGO auszusetzen und eine Entscheidung des BVerfG gem. Art. 100 Abs. 1 GG einzuholen war.

Die Steuerpflichtige stützt ihren Freistellungsanspruch ausschließlich darauf, dass die maßgeblichen Regelungen zum Steuereinbehalt und -abzug mit Abgeltungswirkung für die Körperschaftsteuer (§ 7 InvStG i.V.m. § 5 Abs. 2 Nr. 1, § 32 Abs. 2 Nr. 1 KStG; § 15 Abs. 1 Satz 7 InvStG i.V.m. § 32 Abs. 3 KStG) und zum Umfang der Abstandnahme vom Steuerabzug (§ 44a Abs. 8 Satz 1 Nr. 1 EStG) für die streitigen Kapital- und Wertpapierleiherträge und zur Nichtberücksichtigung der damit im Zusammenhang stehenden Aufwendungen nicht mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar sind.

Der BFH teilt die vorgebrachten Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Regelungen insbesondere aus folgenden Gründen nicht:
  • Soweit die Steuerpflichtige Verstöße der im Rahmen des Steuerabzugs maßgeblichen Regelungen gegen den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG darin sieht, dass die inländischen Dividenden, die sie als Bestandteil der Fondsausschüttungen im Betrieb gewerblicher Art (BgA) vereinnahmt hat, im Rahmen des abgeltenden Kapitalertragsteuerabzugs höher als bei Vereinnahmung durch eine unbeschränkt steuerpflichtige Kapitalgesellschaft belastet werden und ihre mit den Fondsausschüttungen und Vergütungen aus partiarischen Darlehen im Zusammenhang stehenden Verwaltungsaufwendungen im BgA nicht steuermindernd berücksichtigt werden, ist der BFH von einer Verfassungswidrigkeit der maßgeblichen einfachgesetzlichen Regelungen i.S. des Art. 100 Abs. 1 GG nicht überzeugt.
    Die unterschiedliche Besteuerung auf der einfachgesetzlichen Ebene führt nicht zu einer Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes des Art. 3 Abs. 1 GG. Der Gesetzgeber hat die Steuerpflichtige als partiell unbeschränkt steuerpflichtige Körperschaft des öffentlichen Rechts ‑‑anders als eine unbeschränkt steuerpflichtige veranlagte Kapitalgesellschaft‑‑ innerhalb des KStG in ein besonderes Subsystem der Besteuerung öffentlich-rechtlicher Körperschaften eingebunden und bei diesen Steuersubjekten von einer Veranlagung für Zwecke der Körperschaftsteuer (vgl. § 31 Abs. 1, § 32 Abs. 1 Nr. 1 KStG) abgesehen. Die Steuerpflichtige wird hinsichtlich des steuerpflichtigen Teils ihres Einkommens, der abzugspflichtigen Kapitalerträge (und Wertpapierleiherträge), für Zwecke der Körperschaftsteuer durch den Kapitalertragsteuerabzug (§ 5 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 32 Abs. 1 Nr. 1 KStG) und den besonderen Steuerabzug gem. § 32 Abs. 3 KStG abgeltend besteuert. Diese Grundentscheidung des Gesetzgebers ist weder willkürlich noch sachwidrig.
  • Es ist weder willkürlich noch sachwidrig, dass der Gesetzgeber die Steuerpflichtige für die Körperschaftsteuer im Wege des Kapitalertragsteuerabzugs mit Abgeltungswirkung ohne eine Veranlagung besteuert, da es sich bei der Steuerpflichtigen um eine partiell steuerpflichtige Körperschaft des öffentlichen Rechts handelt.
  • Die Steuerpflichtige wird nicht in ihrem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG verletzt, weil der Gesetzgeber ihr im Rahmen des Kapitalertragsteuerabzugs von inländischen Dividenden die sachliche Steuerbefreiung in § 8b Abs. 1 und 5 KStG nicht gewährt, sondern gem. § 44a Abs. 8 Satz 1 Nr. 1 EStG nur teilweise vom Steuerabzug Abstand zu nehmen ist. Die mit der teilweisen Abstandnahme vom Steuerabzug gem. § 44a Abs. 8 Satz 1 Nr. 1 EStG für inländische Dividenden i.H.v. 15 % des zugeflossenen Ausschüttungsbetrags (zuzüglich Solidaritätszuschlag) bei der Steuerpflichtigen eintretende Endbelastung ist auch der Höhe nach nicht zu beanstanden.
  • Es liegt in der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers, im Rahmen des Kapitalertragsteuerabzugs keine pauschale Minderung der Bemessungsgrundlage für Verwaltungsaufwendungen der Steuerpflichtigen vorzusehen, sondern die Kapitalertragsteuer von den Bruttoeinnahmen einzubehalten. Der Gesetzgeber darf im Rahmen des Kapitalertragsteuerabzugs aus Vereinfachungsgründen von einer pauschalen oder einzelfallabhängigen Minderung der Bemessungsgrundlage zugunsten der Steuerpflichtigen absehen. Denn für den steuerentrichtungspflichtigen Schuldner der jeweiligen Kapitalerträge (im Streitfall: die ausschüttenden Investmentfonds und die Schuldner der Vergütungen aus den partiarischen Darlehen) ist nicht aufklärbar, in welchem Umfang Verwaltungsaufwendungen der Steuerpflichtigen durch steuerfreie Einkünfte des BgA, durch steuerpflichtige Kapitalerträge oder gemischt veranlasst sind. Der Gesetzgeber durfte im Hinblick auf diesen nicht aufklärbaren Veranlassungszusammenhang von der Berücksichtigung eines Abzugsbetrags für solche Aufwendungen im Rahmen des Steuerabzugs zugunsten der Steuerpflichtigen absehen.
  • Der BFH ist nicht davon überzeugt, dass die aufgrund der unterschiedlichen Abstandnahme vom Steuerabzug eintretende höhere Belastung der streitigen Kapitalerträge bei der Steuerpflichtigen im Vergleich zur Belastung bei einer gemeinnützigen (nach § 5 Abs. 1 Nr. 9 Satz 1 KStG steuerbefreiten) Körperschaft gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verstößt.
  • Der BFH ließ offen, ob die vollständige Abstandnahme vom abgeltenden Kapitalertragsteuerabzug bei gemeinnützigen Körperschaften im Sinne des obigen Maßstabs eine für die gleichheitsgerechte Belastung durch die Körperschaftsteuer übergreifende Bedeutung haben könnte. Auch wenn der BFH dies zugunsten der Steuerpflichtigen annehmen würde, ist es weder willkürlich noch sachwidrig, dass der Gesetzgeber gemeinnützigen Körperschaften für im gem. § 5 Abs. 1 Nr. 9 Satz 1 KStG steuerbefreiten Bereich bezogene Kapitalerträge anders als der Steuerpflichtigen eine vollständige Abstandnahme vom Steuerabzug zugesteht.
  • Soweit die Steuerpflichtige einen weiteren Gleichheitsverstoß darin sieht, dass inländische Dividenden im Rahmen des abgeltenden Steuerabzugs einer Kapitalertragsteuerbelastung in Höhe von drei Fünfteln des Steuerabzugs (§ 44a Abs. 8 Satz 1 Nr. 1 EStG) zzgl. Solidaritätszuschlag unterliegen und diese Erträge im Vergleich zu anderen Kapitalerträgen der Steuerpflichtigen mit einer vollständigen Abstandnahme vom Steuerabzug (§ 44a Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 EStG) höher belastet werden, verletzt diese Ungleichbehandlung ebenfalls nicht Art. 3 Abs. 1 GG.
Verlag Dr. Otto Schmidt
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