07.06.2021

BVerfG-Vorlage: BFH hält Verlustverrechnungsbeschränkung für Aktienveräußerungsverluste für verfassungswidrig

Der BFH hat dem BVerfG die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG i.d.F. des UntStRefG 2008 vom 14.8.2007 insoweit mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar ist, als Verluste aus der Veräußerung von Aktien nur mit Gewinnen aus der Veräußerung von Aktien verrechnet werden dürfen.

BFH v. 17.11.2020 - VIII R 11/18
Der Sachverhalt:
Streitig ist, ob Verluste aus der Veräußerung von Aktien mit Einkünften aus Kapitalvermögen ausgeglichen werden können, die nicht aus Aktienveräußerungen resultieren. Die Kläger sind Eheleute und werden für das Streitjahr 2012 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger erzielte neben freiberuflichen Einkünften Kapitalerträge i.H.v. 2.092 € sowie Verluste aus der Veräußerung von Aktien i.H.v. 4.819 €, über die ihm die depotführende Bank eine Verlustbescheinigung gem. § 43a Abs. 3 Satz 4 EStG ausstellte. Die Klägerin erzielte ebenfalls Kapitalerträge i.H.v. 1.289 €. Unter den Kapitalerträgen der Kläger befanden sich keine Aktienveräußerungsgewinne. Sämtliche Kapitalerträge hatten dem Kapitalertragsteuerabzug unterlegen.

Im Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr legte das Finanzamt aufgrund des Antrags der Kläger zur Überprüfung des Steuereinbehalts gem. § 32d Abs. 4 EStG im Rahmen der Veranlagung der Kapitaleinkünfte zum gesonderten Tarif gem. § 32d Abs. 1, Abs. 4 i.V.m. Abs. 3 Satz 2 EStG nach Abzug des Sparer-Pauschbetrags Einkünfte aus Kapitalvermögen des Klägers i.H.v. 1.291 € und der Klägerin i.H.v. 488 € zugrunde. Die Verluste aus der Veräußerung von Aktien behandelte das Finanzamt gem. § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG als nicht ausgleichsfähig. Die auf die Kapitaleinkünfte der Kläger entfallende Steuer i.S.d. § 2 Abs. 6 Satz 1 i.V.m. § 32d Abs. 3 und Abs. 4 EStG betrug 445 €. Das Finanzamt stellte den verbleibenden Verlustvortrag zur Einkommensteuer für die Einkünfte aus Kapitalvermögen (Veräußerung von Aktien) zum 31.12.2012 auf 4.819 € fest. Im Rahmen ihres Einspruchs beantragten die Kläger, die von ihnen erzielten Kapitalerträge mit den Verlusten aus der Veräußerung von Aktien des Klägers zu verrechnen. Der Einspruch wurde als unbegründet zurückgewiesen.

Das FG wies die Klage ab. Dagegen wenden sich die Kläger mit ihrer Revision. Der BFH setzte das Verfahren aus und legte dem BVerfG die Frage zur Entscheidung vor, ob § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG i.d.F. des UntStRefG 2008 vom 14.8.2007 insoweit mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar ist, als Verluste aus der Veräußerung von Aktien nur mit Gewinnen aus der Veräußerung von Aktien verrechnet werden dürfen.

Die Gründe:
Nach Überzeugung des BFH verstößt § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG insoweit gegen Art. 3 Abs. 1 GG, als Verluste aus der Veräußerung von Aktien nur mit Gewinnen aus der Veräußerung von Aktien und nicht mit anderen Kapitaleinkünften verrechnet werden dürfen.

Das Unternehmensteuerreformgesetz 2008 hat die Besteuerung von Kapitalanlagen, die dem steuerlichen Privatvermögen zuzurechnen sind, grundlegend neu gestaltet. Durch die Zuordnung von Gewinnen aus der Veräußerung von Kapitalanlagen (u.a. Aktien) zu den Einkünften aus Kapitalvermögen (§ 20 Abs. 2 Sätze 1 und 2 EStG) unterliegen die dabei realisierten Wertveränderungen (Gewinne und Verluste) in vollem Umfang und unabhängig von einer Haltefrist der Besteuerung. Da Einkünfte aus Kapitalvermögen grundsätzlich abgeltend mit einem speziellen Steuersatz von 25% besteuert werden, sieht § 20 Abs. 6 Satz 2 EStG vor, dass Verluste aus Kapitalvermögen nur mit sonstigen positiven Einkünften aus Kapitalvermögen ausgeglichen werden dürfen. Eine zusätzliche Verlustverrechnungsbeschränkung gilt für Verluste aus der Veräußerung von Aktien (§ 20 Abs. 6 Satz 5 EStG). Diese dürfen nicht mit anderen positiven Einkünften aus Kapitalvermögen, sondern nur mit Gewinnen, die aus der Veräußerung von Aktien entstehen, ausgeglichen werden. Nach der Gesetzesbegründung sollen dadurch Risiken für den Staatshaushalt verhindert werden.

Nach Auffassung des BFH bewirkt § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung, weil sie Steuerpflichtige ohne rechtfertigenden Grund unterschiedlich behandelt, je nachdem, ob sie Verluste aus der Veräußerung von Aktien oder aus der Veräußerung anderer Kapitalanlagen erzielt haben. Eine Rechtfertigung für diese nicht folgerichtige Ausgestaltung der Verlustausgleichsregelung für Aktienveräußerungsverluste ergibt sich weder aus der Gefahr der Entstehung erheblicher Steuermindereinnahmen noch aus dem Gesichtspunkt der Verhinderung missbräuchlicher Gestaltungen oder aus anderen außerfiskalischen Förderungs- und Lenkungszielen.
BFH PM Nr. 21 vom 4.6.2021
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