25.11.2021

Erneute Änderung des AO-Anwendungserlasses

Mit BMF-Schreiben v. 1.11.2021 hat die Finanzverwaltung diverse Regelungen des AO-Anwendungserlasses mit sofortiger Wirkung geändert und an die aktuelle Rechtslage angepasst.

BMF-Schreiben
BMF-Schreiben v. 1.11.2021 - IV A 3 - S 0062/21/10002 :001, DOK 2021/0981874

Abgabenordnung

Die wesentlichen Änderungen:

§ 30 AO
Nr. 11.13 zu § 30 AO wurde um den Zusatz "zur gröblichen Verletzung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht i.S.d. § 171 StGB"

Ergänzt.

§ 108 AO
In Nr. 2 zu § 108 AO wurde ergänzt, dass § 108 Abs. 3 AO u.a. auch für die Steuererklärungsfrist (§ 149 AO) gilt.

§ 122a AO
Die Anwendungsregelungen zu § 122a AO wurden komplett neu gefasst. Bestreitet die zum Abruf berechtigte Person den Zugang der Benachrichtigung, trägt die Finanzbehörde die Beweislast für deren Zugang. Trägt die abrufberechtigte Person substantiiert und unwiderlegbar vor, die Benachrichtigung erst nach dem in § 122a Abs. 4 Satz 1 AO fingierten Bekanntgabetag erhalten zu haben, wurden die Daten von der abrufberechtigten Person aber tatsächlich abgerufen, gilt der Verwaltungsakt an dem Tag als bekannt gegeben, an dem der Datenabruf tatsächlich erfolgt ist. Gelingt der Finanzbehörde der Nachweis des Zugangs der Benachrichtigung nicht und wurden die Daten auch von keiner dazu berechtigten Person abgerufen, gilt der Verwaltungsakt als nicht zugegangen. In diesem Fall ist die Bekanntgabe - vorzugsweise im schriftlichen Verfahren - zu wiederholen.

Eine elektronische Bekanntgabe nach § 122a AO an im Ausland ansässige Empfänger ist auch in den Fällen zulässig, in denen der Ansässigkeitsstaat in der Negativliste der Nr. 3.1.4.1 des AEAO zu § 122 aufgeführt ist.

§ 150 AO
Die neu eingefügten Nrn. 4 - 4.2 betreffen die Härtefallregel des § 150 Abs. 8 AO (wirtschaftliche und persönliche Unzumutbarkeit) auf der Basis der aktuellen BFH - Rechtsprechung.

§ 171 Abs. 3 AO
Die bisherigen Nummern 2 und 2a wurden durch die neuen Nummern 2 bis 2.5 ersetzt. Neu ist die Regelung, dass einem vor Ablauf der Festsetzungsfrist bei dem zuständigen Finanzamt ausdrücklich gestellten Antrag auf Steuerfestsetzung oder auf Aufhebung oder Änderung einer Steuerfestsetzung die Rechtswirkung des § 171 Abs. 3 AO nur dann zukommt, wenn sich das vom Steuerpflichtigen verfolgte Begehren seinem sachlichen Gehalt nach zumindest in groben Zügen bereits aus dem Antrag selbst ergibt. Angaben zur betragsmäßigen Auswirkung sind für die Bestimmtheit des Antrags für sich genommen nicht ausreichend. Soweit dem Steuerpflichtigen - z. B. wegen insolvenzbedingt fehlender Unterlagen - genaue Angaben objektiv (noch) nicht möglich sind, muss er zur Konkretisierung seines Antrags eine substantiierte eigene Schätzung anhand der ihm zugänglichen Erkenntnisquellen vornehmen (BFH v. 23.9.2020 - XI R 1/19, BStBl II 2021, 341).

§ 173 AO
Die Nummer 10 wird durch die Nummern 10 bis 10.2. 2 ersetzt und neu strukturiert. Anpassungen an die aktuelle Rechtsprechung des BFH erfolgen in Nummer 10.2.1. Erfolgt eine gesonderte Feststellung auch einheitlich (§ 179 Abs. 2 Satz 2 AO), ist hierbei nicht auf die Verhältnisse der Gesellschaft/Gemeinschaft insgesamt, sondern auf die Verhältnisse jedes einzelnen Feststellungsbeteiligten individuell abzustellen. Danach ist ein Bescheid über eine gesonderte und einheitliche Feststellung aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die entweder zu einer Erhöhung oder - bei fehlendem groben Verschulden des Steuerpflichtigen - zu einer Minderung der Besteuerungsgrundlagen bei jedenfalls einem Feststellungsbeteiligten führen (BFH-Urteile vom 16.4.2015 - IV R 2/12, BFH/NV 2015, 1331, und vom 10.9.2020 - IV R 6/18, BStBl. II 2021, 197).

§ 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 AO ist nach § 181 Abs. 1 Satz 1 AO bei Bescheiden über eine gesonderte und einheitliche Feststellung sinngemäß anzuwenden (BFH v. 24.6.2009 - IV R 55/06, BStBl II 2009, 950). Die sinngemäße Anwendung von § 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 AO ist nicht auf Fälle beschränkt, in denen gegenläufige Änderungen von Besteuerungsgrundlagen innerhalb des nämlichen Feststellungsbescheids vorzunehmen sind. Die Regelung ist auch anzuwenden, wenn sich eine mit der steuermindernden neuen Tatsache zusammenhängende gegenläufige steuererhöhende Änderung aus einem anderen (Feststellungs- oder Steuer-) Bescheid ergibt (BFH v.10.9.2020 - IV R 6/18, BStBl. II 2021, 197). Der Zusammenhang zwischen steuererhöhenden und steuermindernden Tatsachen im Sinne von § 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 AO ist nämlich bereits gegeben, wenn der steuererhöhende Vorgang nicht ohne den steuermindernden Vorgang denkbar ist.

§ 224 AO
Die neu angefügte Nr. 3 betrifft den Übergang der örtlichen Zuständigkeit nach § 26 AO auf ein anderes Finanzamt, wenn eine Zahlung auf eine von dem vormals zuständigen Finanzamt festgesetzte Steuer an die vormals zuständige Finanzkasse geleistet wird. In diesem Fall erlischt der Steueranspruch, sobald die Zahlung bei der unzuständigen Finanzkasse eingegangen ist und die neu zuständige Finanzkasse dem nach § 362 Abs. 2 i. V. m. § 185 BGB zustimmt. Die Zustimmung der neu zuständigen Finanzkasse nach § 362 Abs. 2 i. V. m. § 185 BGB gilt allgemein als auf den Zeitpunkt des Zahlungseingangs bei der vormals zuständigen Finanzkasse erteilt.

§ 223a AO
In Nr. 70.2.3 wurde die bislang vorhandene Vertrauensschutzregelung, die bis zum 22.12.2009 galt, aufgehoben.

§ 234 AO
Zur Stundung von Rückforderungsansprüchen wurde Nr. 12 um den Satz ergänzt, das die Erhebung von Stundungszinsen auch für gestundete Einkommen- oder Körperschaftsteueransprüche gilt, die auf einem Rückforderungsanspruch von Forschungszulage aus einer nach § 10 Abs. 3 FZulG geänderten Anrechnung beruhen.

§ 235 AO
Nr. 5.1.2
zur Vermeidung einer Doppelverzinsung wurde um folgenden Satz ergänzt:
"Im Falle der Hinterziehung von Forschungszulage sind Zinsen nach § 11 FZulG auf Hinterziehungszinsen nach § 235 AO hinsichtlich solcher Einkommen - oder Körperschaftsteueransprüche, die auf einem Rückforderungsanspruch von Forschungszulage aus einer nach § 10 Abs. 3 FZulG geänderten Anrechnung beruhen, anzurechnen, soweit sie für denselben Zeitraum auf den Rückzahlungsanspruch der Forschungszulage festgesetzt wurden."

§ 251 AO
Der drittletzte Absatz der Nummer 6.1 wird wie folgt gefasst:

"Der Insolvenzverwalter haftet nach §§ 191, 69 i. V. m. § 34 Abs. 3 AO bei schuldhafter Verletzung seiner steuerlichen Pflichten."

Der dritte Absatz der Nummer 6.1 wurde dahingehend ergänzt, dass die Ausnahme von den als Masseverbindlichkeiten entstehenden Abgabenansprüchen, die durch Steuerbescheid geltend zu machen sind, das Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung darstellt. Hier werden die Masse betreffende Verwaltungsakte durch Bekanntgabe an den Schuldner wirksam. Steuerliche Erklärungspflichten sind insoweit vom Schuldner zu erfüllen (vgl. AEAO zu § 251, Nr. 13.3).

Nr. 9.1und 9.1.2 wurden im Hinblick auf die BFH-Entscheidung v. 27.10.2020, VIII R 19/18 dahingehend ergänzt, dass der Altersentlastungsbetrag gem. § 24a EStG quotal bei den entsprechenden Einkünften abgezogen wird.

Zum Aufrechnungsrecht wurde Nr. 11 im vorletzten Absatz zu dem Fall ergänzt, dass der Steuererstattungsanspruch erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entsteht. In diesem Fall kann gegen ihn bei vorbehaltslosen Insolvenzplänen lediglich bis zum Erreichen der Planquote mit Insolvenzforderungen unter den allgemeinen Voraussetzungen des § 226 AO aufgerechnet werden.

Im dritten Absatz der Nummer 12.1 und im achten Absatz der Nummer 12.2 wird jeweils auf das aktuelle BMF - Schreiben v. 27.1.2021, BStBl I 2021, 152 zu den Grundsätzen bei der Bearbeitung von Anträgen auf außergerichtliche Schuldenbereinigung verwiesen.

Die Nummern 12.3 bis 13.2 wurden durch die neu gefassten Nummern 12.3 bis 13.3 ersetzt:
  • Nr. 13.1 beschreibt das vorläufige Eigenverwaltungsverfahren. Hier ist zu beachten, dass in Insolvenzverfahren, die ab dem 1.1.2021 beantragt wurden, bestimmte Steuerverbindlichkeiten des Insolvenzschuldners, die vom Schuldner nach Bestellung eines vorläufigen Sachwalters begründet worden sind, nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens als Masseverbindlichkeit (§ 55 Abs. 4 InsO) gelten.
  • Nr. 13.2 betrifft die Besonderheiten bei der Vorbereitung einer Sanierung nach § 270d InsO (Schutzschirm). Hier kann das Insolvenzgericht auf Antrag des Schuldners eine Frist zur Vorlage eines Insolvenzplans bestimmen (§ 270d Abs. 1 Satz 1 InsO). Die Frist darf höchstens drei Monate betragen. Stimmt das Gericht dem Antrag des Schuldners zu, hat es einen vorläufigen Sachwalter (§ 270b Abs. 1 InsO) zu bestellen und vorläufige Maßnahmen nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 InsO anzuordnen, wenn der Schuldner dies beantragt (§ 270d
  • Abs. 3 InsO).
  • Nr. 13.3 betrifft die Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Auf Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung, die vor dem 1.1.2021 beantragt worden sind, sind die bis dahin geltenden Vorschriften der InsO weiter anzuwenden. Insoweit ist der AEAO zu § 251 in der Fassung des BMF-Schreibens vom 21.1.2014 (BStBl I 2014, 290), zuletzt geändert durch das BMF-Schreiben vom 28.1.2021 (BStBl I 2021, 145), anzuwenden. Wenn die Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung des Schuldners auf die COVID-19-Pandemie zurückzuführen ist, sind auf Eigenverwaltungsverfahren, die in 2021 beantragt worden sind, die §§ 270 bis 285 InsO in der bis zum 31.12.2020 geltenden Fassung weiter anzuwenden.
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