22.11.2011

Ernstliche Zweifel an Steuerpflicht von Erstattungszinsen

Es bestehen erhebliche Zweifel an der durch das JStG 2010 rückwirkend angeordneten Besteuerung von Zinsen, die der Fiskus auf Steuererstattungen zahlt (sog. Erstattungszinsen). Neben der Frage eines möglichen Verstoßes gegen das aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) folgende Rückwirkungsverbot ist zu monieren, dass der Gesetzgeber auf eine umfassende gesetzgeberische Neuregelung zur steuerlichen Behandlung von Erstattungs- und Nachzahlungszinsen verzichtet hat.

FG Münster 27.10.2011, 2 V 913/11 E
Der Sachverhalt:
Zu entscheiden ist, ob ernstliche Zweifel an der Erfassung von Erstattungszinsen i.S.v. § 233a AO gem. § 20 Abs. 1 Nr. 7 S. 3 EStG i.d.F. des JStG 2010 vom 8.12.2010 bestehen. Die Antragstellerin erhielt im Jahr 2008 Erstattungszinsen (§ 233a AO) für die Jahre 2001 bis 2003. Das Finanzamt besteuerte die Zinsen nach Maßgabe des § 20 Abs. 1 Nr. 7 S. 3 EStG i.d.F. des JStG 2010 als Einkünfte aus Kapitalvermögen.

Es begründet dies damit, dass die durch das JStG geänderte Fassung des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG gem. § 52a Abs. 8 S. 2 EStG auf alle Fälle anwendbar sei, in denen die Steuer - wie im Streitfall - noch nicht rechtskräftig festgesetzt sei. Die Antragstellerin sah dies anders und beantragte beim FG, die Vollziehung der streitigen Steuer für die Erstattungszinsen auszusetzen. Die durch das JStG 2010 angeordnete Rückwirkung der Neuregelung stehe nicht im Einklang mit dem GG.

Das FG gab dem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung statt. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache wurde die Beschwerde zum BFH zugelassen.

Die Gründe:
Nach summarischer Prüfung bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Einkommensteuerbescheids, soweit der Antragsgegner die im Jahr 2008 zugeflossenen Erstattungszinsen für die Einkommensteuer der Jahre 2001 bis 2003 erfasst und gem. § 20 Abs. 1 Nr. 7 S. 3 EStG n.F. als Einnahmen aus Kapitalvermögen angesetzt hat.

Es stellt sich nicht nur ernstlich die Frage, ob die Regelung des § 52a Abs. 8 S. 2 EStG gegen das aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) folgende Rückwirkungsverbot verstößt. Es ist zudem zu monieren, dass der Gesetzgeber auf eine umfassende gesetzgeberische Neuregelung zur steuerlichen Behandlung von Erstattungs- und Nachzahlungszinsen verzichtet hat. Zwar ist der Gesetzgeber befugt, grundlegende Systemwechsel herbeizuführen. Allerdings bedarf es hierfür eines "wirklich neuen Regelwerks" mit einem Mindestmaß von Ansätzen neuer Prinzipien- oder Systemorientierung.

Hebt der Gesetzgeber durch die im JStG geregelte isolierte Begründung der Steuerpflicht für Erstattungszinsen die nach der bis dahin geltenden gesetzgeberischen Grundentscheidung möglicherweise gebotene Gleichbehandlung von Erstattungs- und Nachzahlungszinsen auf, so bedarf es hierfür wohl einer systematischen Klarstellung, Ergänzung oder Änderung weiterer Vorschriften. Unklar ist insbes., welche Bedeutung der Regelung des § 12 Nr. 3 EStG, die (weiterhin) die Nichtabzugsfähigkeit von Nachzahlungszinsen festschreibt, im Hinblick auf das Leistungsfähigkeits-, das Netto- und das Veranlassungsprinzip zukommen soll.

Linkhinweis:

FG Münster PM vom 18.11.2011
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