03.08.2011

EuGH-Vorlage zum Reverse-Charge-Verfahren bei Bauleistungen

Der BFH hat dem EuGH Zweifelsfragen zur Vereinbarkeit der Regelung zum sog. Reverse-Charge-Verfahren vorgelegt. Es bestehen insbes. unionsrechtliche Zweifel, ob die Ermächtigung 2004/290/EG "bei der Erbringung von Bauleistungen an einen Steuerpflichtigen" nur Baudienstleistungen (sonstige Leistungen), nicht dagegen (Werk-)Lieferungen betrifft.

BFH 30.6.2011, V R 37/10
Der Sachverhalt:
Gegenstand des Unternehmens der Klägerin ist der Erwerb, die Erschließung und die Bebauung von Grundstücken. Die Klägerin ist Unternehmerin i.S.v. § 2 UStG 2005 und Steuerpflichtige i.S.v. Art. 4 der im Streitjahr geltenden Sechsten Richtlinie des Rates vom 17.5.1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerliche Bemessungsgrundlage 77/388/EWG.

Im September 2004 beauftragte die Klägerin die Beigeladene als Generalunternehmerin mit der Erstellung eines Wohnhauses mit sechs Wohnungen zu einem Pauschalpreis. Für ihre Leistung erteilte die Beigeladene am 17.11.2005 eine Schlussrechnung ohne Umsatzsteuerausweis, in der sie auf die Steuerschuldnerschaft der Klägerin als Leistungsempfängerin hinwies.

Die Klägerin versteuerte zunächst die von ihr im Streitjahr 2005 bezogene Leistung als Steuerschuldnerin, machte später aber geltend, dass die Voraussetzungen für eine in ihrer Person entstandene Steuerschuld nicht vorlägen. Das Finanzamt folgte dem nicht, sondern ging davon aus, dass die Klägerin nach § 13b Abs. 1 S. 1 Nr. 4 i.V.m. Abs. 2 S. 2 UStG Steuerschuldnerin sei.

Der BFH setzt das Revisionsverfahren aus und legt dem EuGH folgende Fragen zur Auslegung der Ermächtigung 2004/290/EG des Rates vom 30.3.2004 (Amtsblatt der EU 2004, Nr. L 94, 59 - Ermächtigung 2004/290/EG -) zur Vorabentscheidung vor:

  • 1. Umfasst der Begriff der Bauleistungen i.S.v. Art. 2 Nr. 1 der Ermächtigung 2004/290/EG neben Dienstleistungen auch Lieferungen?
  • 2. Falls sich die Ermächtigung zur Bestimmung des Leistungsempfängers als Steuerschuldner auch auf Lieferungen erstreckt: Ist der ermächtigte Mitgliedstaat berechtigt, die Ermächtigung nur teilweise für bestimmte Untergruppen wie einzelne Arten von Bauleistungen und für Leistungen an bestimmte Leistungsempfänger auszuüben?
  • 3. Falls der Mitgliedstaat zu einer Untergruppenbildung berechtigt ist: Bestehen für den Mitgliedstaat Beschränkungen bei der Untergruppenbildung?
  • 4. Falls der Mitgliedstaat zu einer Untergruppenbildung allgemein (siehe Frage 2) oder aufgrund nicht beachteter Beschränkungen (siehe Frage 3) nicht berechtigt ist:
    a) Welche Rechtsfolgen ergeben sich aus einer unzulässigen Untergruppenbildung?
    b) Führt eine unzulässige Untergruppenbildung dazu, dass die Vorschrift des nationalen Rechts nur zugunsten einzelner Steuerpflichtiger oder allgemein nicht anzuwenden ist?

Die Gründe:
Während im Regelfall der leistende Unternehmer die Umsatzsteuer abzuführen hat, schuldet für Leistungen, die der Herstellung, Instandsetzung, Instandhaltung, Änderung oder Beseitigung von Bauwerken dienen, mit Ausnahme von Planungs- und Überwachungsleistungen, der Leistungsempfänger die Umsatzsteuer, wenn er selbst ebenfalls solche Leistungen erbringt.

Die Regelung beruht auf der Ermächtigung 2004/290/EG zum Reverse-Charge-Verfahren "bei der Erbringung von Bauleistungen an einen Steuerpflichtigen". Unionsrechtliche Zweifel bestehen, ob diese Ermächtigung nur Baudienstleistungen (sonstige Leistungen), nicht dagegen (Werk-)Lieferungen betrifft. Denn nach der maßgeblichen Richtlinie (77/388/EWG) können die Mitgliedstaaten "als Lieferungen die Erbringung bestimmter Bauleistungen betrachten." Dies könnte darauf hindeuten, dass unter Bauleistungen nur (Bau-)Dienstleistungen zu verstehen sind.

Falls die Ermächtigung sich auch auf Lieferungen erstreckt, ist weiter zu klären, ob der Mitgliedstaat von der Ermächtigung abweichen und Untergruppen bilden kann. Denn während der Rat die Einführung des Reverse-Charge-Verfahrens erlaubt, wenn der Leistungsempfänger "Steuerpflichtiger" (d.h. Unternehmer) ist, tritt nach dem deutschen Umsatzsteuergesetz die Umkehr der Steuerschuld nur ein, wenn der Leistungsempfänger ein Unternehmer ist, der selbst Bauleistungen erbringt.

Dies war Anlass für das vorliegende Verfahren; denn die Finanzverwaltung geht insoweit davon aus, dass der Leistungsempfänger beim Bezug einer Bauleistung nur dann Steuerschuldner ist, wenn zumindest 10 Prozent seines "Weltumsatzes" im Vorjahr aus derartigen Bauleistungen besteht. Ob die Klägerin die "10-Prozent-Grenze" überschritten hat, war Ausgangspunkt des Rechtsstreits.

Hintergrund:
Die Entscheidung hat nicht nur für die Vergangenheit Bedeutung. Die Ermächtigung wurde zwar mit Wirkung zum 1.1.2008 durch eine Regelung zur Umkehr der Steuerschuldnerschaft in der Richtlinie selbst ersetzt (inzwischen Art. 199 der Richtlinie 2006/112/EG). Auch diese Regelung verwendet den Begriff "Bauleistungen" und nimmt ausdrücklich auf Art. 5 S. 5 der Richtlinie 77/388/EWG (jetzt Art. 14 Abs. 3 der Richtlinie 2006/112/EG) Bezug, wonach die Mitgliedstaaten "die Erbringung bestimmter Bauleistungen" als Lieferungen betrachten können.

Linkhinweis:

  • Die Volltexte sind auf der Homepage des BFH veröffentlicht.
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BFH PM Nr. 60 vom 3.8.2011
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