11.06.2012

Gegenleistung für die Übertragung eines Arbeitsentgeltanspruchs als Insolvenzgeld

In Fällen, in denen Insolvenzgeld, das nach § 188 Abs. 1 SGB III einem Dritten zusteht, vorfinanziert wird, ist die Gegenleistung für die Übertragung des Arbeitsentgeltanspruchs als Insolvenzgeld i.S.d. § 32b Abs. 1 Nr. 1a EStG anzusehen. An die Arbeitnehmer gezahlte Entgelte haben diese i.S.d. § 32b Abs. 1 Nr. 1a EStG bezogen, wenn sie ihnen nach den Regeln über die Überschusseinkünfte zugeflossen sind.

BFH 1.3.2012, VI R 4/11
Der Sachverhalt:
Der Kläger bei einer Arbeitgeberin beschäftigt, die sich im Jahr 2006 in wirtschaftlichen Schwierigkeiten befand. Deshalb übernahm ein Kreditinstitut die Vorfinanzierung der Arbeitslöhne. Wie vereinbart erwarb das Kreditinstitut dazu durch gesonderte Forderungskaufverträge u.a. die Arbeitslohnforderungen des Klägers gegen Auszahlung eines Betrages in Höhe des jeweiligen Nettolohns für die Monate Oktober und November des Jahres 2006. Diese Beträge wurden noch im Jahr 2006 an den Kläger überwiesen. Die Arbeitgeberin verpflichtete sich gegenüber dem Kreditinstitut, die Eröffnung des Insolvenzverfahrens bis zum 1.1.2007 sicherzustellen.

Nachdem das Insolvenzverfahren eröffnet worden war, bewilligte die Agentur für Arbeit im Februar 2007 Insolvenzgeld für die Monate Oktober bis Dezember 2006. Wegen des entgeltlichen Erwerbs der klägerischen Arbeitslohnforderungen überwies die Agentur die Beträge für Oktober und November 2006 an das Kreditinstitut. Der Teilbetrag für den Monat Dezember 2006 wurde dem Kläger im Februar 2007 überwiesen. Ihm wurde eine Bescheinigung über den Bezug des Insolvenzgeldes für den Insolvenzgeldzeitraum vom 1.10. bis 31.12.2006 zur Vorlage beim Finanzamt ausgestellt.

Der Kläger gab in seiner Einkommensteuererklärung für 2006 Insolvenzgeld in Höhe der Nettoauszahlungsbeträge der Monate Oktober und November 2006 an. Das Finanzamt erfasste allerdings das gesamte Insolvenzgeld im Streitjahr 2007. Das FG wies die hiergegen gerichtete Klage ab. Auf die Revision des Klägers hob der BFH das Urteil auf und gab der Klage statt.

Die Gründe:
Das FG hatte das Insolvenzgeld im Streitjahr 2007 zu Unrecht der Einkommensteuer unterworfen.

Soweit Insolvenzgeld vorfinanziert wird, das nach § 188 Abs. 1 SGB III einem Dritten zusteht, ist die Gegenleistung für die Übertragung des Arbeitsentgeltanspruchs als Insolvenzgeld i.S.d. § 32b Abs. 1 Nr. 1a EStG anzusehen. Eine Abtretung kann bereits vor dem Insolvenzereignis und mithin vor der Entstehung des Insolvenzgeldanspruchs erfolgen. Der zukünftig entstehende Anspruch auf Insolvenzgeld verschafft dem Arbeitnehmer eine zusätzliche Sicherung, die im Fall der Abtretung dem Zessionar zu Gute kommt. Kommt es zur Insolvenz, ist der Vorfinanzierende durch den auf ihn übergegangenen Insolvenzgeldanspruch gesichert. Dementsprechend wird ein solcher Vorgang auch als "Vorfinanzierung des Insolvenzgeldes" bzw. als "Vorfinanzierung des Insolvenzgeldanspruchs" bezeichnet.

Die an den Arbeitnehmer gezahlten Entgelte hat dieser i.S.d. § 32b Abs. 1 Nr. 1a EStG bezogen, wenn sie ihm nach den Regeln über die Überschusseinkünfte zugeflossen sind. Abzustellen ist insoweit also auf den Zuflusszeitpunkt i.S.d. § 11 Abs. 1 EStG. Da die vorfinanzierten Beträge als Insolvenzgeld im Sinne der Vorschrift anzusehen sind, hat der Arbeitnehmer im Zeitpunkt der Erlangung der Verfügungsmacht über die Auszahlungsbeträge Insolvenzgeld i.S.d. § 32b Abs. 1 Nr. 1a EStG bezogen. Nichts anderes ergibt sich aus der durch Art. 1 Nr. 12c des Steueränderungsgesetzes 2003 eingeführten verfahrensrechtlichen Regelung des § 32b Abs. 4 S. EStG. Auf § 32b Abs. 1 Nr. 1a EStG finden §§ 11 Abs. 1 S. 4, 38a Abs. 1 S. 2 EStG weder unmittelbare noch analoge Anwendung.

Die Auszahlung des einem Dritten zustehenden Insolvenzgeldanspruchs an den Dritten bewirkt entgegen der Ansicht des FG keinen gleichzeitigen Zufluss von Insolvenzgeld beim Arbeitnehmer. Denn bei einem gesetzlichen Forderungsübergang gem. § 115 Abs. 1 SGB X fließt der übergegangene Arbeitslohn dem Arbeitnehmer - steuerrechtlich im abgekürzten Zahlungsweg - in dem Zeitpunkt zu, in dem der Arbeitslohn durch eine Zahlung des Arbeitgebers beim Zessionar eingeht. Mit dem Zufluss des Arbeitslohns geht wirtschaftlich jedoch die Rückzahlung der zuvor an den Arbeitnehmer geleisteten Sozialleistungen einher. Durch diese Erstattung des Arbeitnehmers wird das mit dem gesetzlichen Forderungsübergang verbundene Ziel der Rückzahlung der gewährten Sozialleistungen erreicht. Die aus dieser Rückzahlung folgende geringere steuerliche Leistungsfähigkeit wird über einen negativen Progressionsvorbehalt nach § 32b EStG berücksichtigt. Davon sind allerdings die Fälle zu unterscheiden, in denen ein Arbeitnehmer seinen Arbeitsentgeltanspruch im Hinblick auf zukünftig zu erwartende Leistungen eines Sozialleistungsträgers an einen Dritten entgeltlich überträgt und sie dadurch wirtschaftlich verwertet.

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