05.08.2020

Im Veranlagungszeitraum abstrakt bestehender Kindergeldanspruch maßgebend für die Vergleichsberechnung

Entgegen der Auffassung des Hessischen FG ist eine verfassungskonforme Auslegung des § 31 Satz 5 EStG dergestalt, dass die Regelung stets dann zur Anwendung kommt, wenn der Kindergeldantrag nicht rechtzeitig gestellt wird und die Auszahlung des Kindergelds zeitlich begrenzt wird, was eine Rückwirkung bis zur erstmaligen Anwendung des § 66 Abs. 3 EStG bedeuten würde, nicht geboten. Es fehlt schon an einer dafür erforderlichen planwidrigen Regungslücke.

FG Köln v. 5.2.2020 - 14 K 1612/19
Der Sachverhalt:
Der 1995 geborene Sohn des Klägers ging im Streitjahr 2017 einem Studium (Erstausbildung) nach. Der Kläger hatte für die Monate Januar und Februar 2017 Kindergeld i.H.v. 384 € bezogen. Mit Bescheid vom 8.1.2019 setzte die Familienkasse ab dem Monat März 2017 weiterhin Kindergeld fest. Unter Bezugnahme auf den damals geltenden § 66 Abs. 3 EStG lehnte die Familienkasse die nachträgliche Auszahlung des Kindergeldes für die Monate vor Juni 2018 ab, da der Kindergeldantrag erst am 10.12.2018 eingegangen sei. Der Bescheid ist bestandskräftig geworden.

In der Einkommensteuererklärung 2017 wurde ein Kinderfreibetrag unter Anrechnung des tatsächlich ausgezahlten Kindergeldes von 384 € beantragt. Mit Bescheid vom 9.4.2019 berücksichtigte das Finanzamt den Kinderfreibetrag antragsgemäß, rechnete aber den gesamten Kindergeldanspruch des Jahres 2017 i.H.v. 2.304 € hinzu. Das Finanzamt war der Ansicht, § 31 Satz 4 EStG stelle auf den Kindergeldanspruch und nicht auf das tatsächlich bezogene Kindergeld ab. Es sei auf den Kindergeldanspruch für den Veranlagungszeitraum abzustellen, nicht hingegen, ob ein Kindergeldantrag gestellt oder eine Zahlung erfolgt sei.

Das FG wies die hiergegen gerichtete Klage ab. Allerdings wurde die Revision zugelassen. Das Verfahren ist beim BFH unter dem Az. III R 18/20 anhängig.

Die Gründe:
Dem Kläger stand im Streitjahr ein Kindergeldanspruch zu, der gem. § 31 Satz 4 EStG in die Vergleichsrechnung einzubeziehen war, ohne dass es dabei darauf ankommt, ob das Kindergeld ausgezahlt worden ist.

Auf die Neuregelung in § 31 Satz 5 EStG der Fassung von Art. 9 Nr. 3 des Gesetzes gegen illegale Beschäftigung und Sozialleistungsmissbrauch vom 11.7.2019 können die Kläger sich nicht stützen, weil der Gesetzgeber die Regelung nicht rückwirkend auf alle noch offenen Fälle erstreckt hat. Nach § 31 Satz 5 EStG bleibt bei der Prüfung der Steuerfreistellung und Hinzurechnung nach Satz 4 der Anspruch auf Kindergeld für Kalendermonate unberücksichtigt, in denen durch Bescheid der Familienkasse ein Anspruch auf Kindergeld festgesetzt, aber wegen der neuen (mit dem aufgehobenen § 66 Abs. 3 EStG inhaltsgleichen) Regelung in § 70 Abs. 1 Satz 2 EStG nicht ausgezahlt wird. § 31 Satz 5 EStG soll als Folge der Regelung in § 70 Abs. 1 Satz 2 EStG gewährleisten, dass bei der Hinzurechnung nach § 31 Satz 4 EStG auf das ausgezahlte Kindergeld abgestellt wird. Im Gesetz gegen illegale Beschäftigung und Sozialleistungsmissbrauch vom 11.7.2019 wurde ein In-Kraft-Treten der Neuregelung des § 31 Satz 5 EStG zum 18.7.2019 angeordnet, was nach der allgemeinen Regelung in § 52 Abs. 1 Satz 1 EStG in der für das Jahr 2019 geltenden Fassung zu einer erstmaligen Anwendung im Veranlagungszeitraum 2019 führt. Angesichts dessen kann § 31 Satz 5 EStG keine weitergehende Rückwirkung beigemessen werden.

Entgegen der Auffassung des Hessischen FG (Urteil vom 17.9.2019, 6 K 174/19) ist eine verfassungskonforme Auslegung des § 31 Satz 5 EStG dergestalt, dass die Regelung stets dann zur Anwendung kommt, wenn der Kindergeldantrag nicht rechtzeitig gestellt wird und die Auszahlung des Kindergelds zeitlich begrenzt wird, was eine Rückwirkung bis zur erstmaligen Anwendung des § 66 Abs. 3 EStG bedeuten würde, nicht geboten. Es fehlt schon an einer dafür erforderlichen planwidrigen Regungslücke. § 31 Satz 5 EStG geht auf eine Beschlussempfehlung des Finanzausschusses zurück und soll nach der Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 19/10683, Seite 51) Folgeänderung zu der neuen Regelung in § 70 Abs. 1 Satz 2 EStG sein. Der Gesetzgeber wollte damit keine gänzlich andere - weitergehend rückwirkende - Änderung anordnen. § 70 Abs. 1 Satz 2 EStG und § 31 Satz 5 EStG wurden zeitgleich verabschiedet und hierbei bewusst aufeinander abgestimmt.

Der allgemeine gesetzgeberische Ansatz, zu verhindern, dass in Fällen, in denen der Kindergeldantrag nicht rechtzeitig gestellt wird, bei der Einkommensteuer infolge der Hinzurechnung des Anspruchs auf Kindergeld nach § 31 Satz 4 EStG das Existenzminimum des Kindes nicht vollständig freigestellt wird, reicht nicht aus, eine planwidrige Regelungslücke für Fälle des § 66 Abs. 3 EStG anzunehmen. Ein Ruhen des Verfahrens bis zum Ausgang des beim BFH zum Aktenzeichen III R 50/19 anhängigen Revisionsverfahrens erschien den Senat nicht angezeigt. Das Hessische FG (Urteil vom 17.9.2019, 6 K 174/19) hatte sich nicht mit dem Anwendungsbereich der Neuregelung des § 31 Satz 5 EStG auseinandergesetzt. Der Senat hält dies aber für klärungsbedürftig hält, weshalb die Revision zugelassen wurde.
FG Köln online
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