25.02.2021

Insolvenzordnung; Kriterien für die Entscheidung über einen Einigungsversuch zur außergerichtlichen Schuldenbereinigung (§ 305 Abs. 1 Nr. 1 InsO)

Mit BMF-Schreiben v. 27.1.2021 hat die Finanzverwaltung ihren bisherigen Anweisungen zur Entscheidung über einen Einigungsversuch zur außergerichtlichen Schuldenbereinigung neu gefasst.

BMF-Schreiben
BMF-Schreiben v. 27.1.2021 - IV A 3 -S 0550/20/10008 :001, DOK 2021/0076958

InsO

Bevor ein Schuldner einen Antrag auf Eröffnung eines Verbraucherinsolvenzverfahrens stellen kann, muss er versuchen, eine außergerichtliche Einigung mit den Gläubigern über die Schuldenbereinigung herbei zu führen (§ 305 Abs. 1 Nr. 1 InsO). Das BMF - Schreiben beschäftigt sich mit den Regularien für ein solches außergerichtliches Schuldenbereinigungsverfahren und ersetzt das bisherige BMF-Schreiben vom 11. Januar 2002 - IV A 4-S 0550-1/02 - (BStBl. I 2002, 132).

Anwendungsbereich

Das außergerichtliche Schuldenbereinigungsverfahren findet Anwendung auf natürliche Personen, die keine selbständige wirtschaftliche Tätigkeit ausüben oder ausgeübt haben; nur sie können das Verbraucherinsolvenzverfahren nach §§ 304 ff. InsO beantragen. Personen, die eine selbständige Tätigkeit ausgeübt haben, gehören dazu, wenn ihre Vermögensverhältnisse überschaubar sind und gegen sie keine Forderungen aus Arbeitsverhältnissen bestehen. Überschaubar sind Vermögensverhältnisse, wenn der Schuldner zu dem Zeitpunkt, zu dem der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt wird, weniger als 20 Gläubiger hat.

Verfahren

Die außergerichtliche Schuldenbereinigung erfolgt im Wege von freigestalteten Verhandlungen auf der Grundlage eines vorzulegenden Planes. Als Rechtsgrundlage für einen Verzicht auf Abgabenforderungen kann jedoch nur das Abgabenrecht unter Einbeziehung der Zielsetzung der Insolvenzordnung herangezogen werden. Die Frage, ob die Finanzbehörde einem außergerichtlichen Schuldenbereinigungsplan zustimmen kann, ist deshalb nach den gesetzlichen Bestimmungen der AO über die abweichende Festsetzung (§ 163 AO), die Stundung (§ 222 AO), den Vollstreckungsaufschub (§ 258 AO) sowie den Erlass (§ 227 AO) zu beurteilen.

Wegen der angestrebten Schuldenbereinigung unter Beteiligung sämtlicher Gläubiger ist bei der Anwendung der §§ 163, 227 AO im außergerichtlichen Schuldenbereinigungsverfahren zu beachten, dass der Begriff "persönliche Unbilligkeit" in diesem Verfahren anders als in anderen Billigkeitsverfahren nach der AO definiert ist. Das bedeutet, dass die Rechtsprechung zu §§ 163, 227 AO insoweit nicht uneingeschränkt angewendet werden kann.

Bei der Zustimmung oder Ablehnung eines außergerichtlichen Schuldenbereinigungsplanes durch die Finanzbehörde handelt es sich um einen Verwaltungsakt. Hat die Prüfung des Antrags ergeben, dass der Schuldner dem Grunde nach erlassbedürftig ist und im außergerichtlichen Schuldenbereinigungsverfahren erlasswürdig ist, kann der Erlass im Hinblick auf § 287a InsO zunächst nur verbindlich für den Fall in Aussicht gestellt werden, dass alle erforderlichen Bedingungen erfüllt werden. Dies ist z. B. der Fall, wenn
 
  • die übrigen Gläubiger noch nicht zugestimmt haben,
  • der Schuldner noch eine Teilzahlung oder Ratenzahlungen zu leisten hat,
  • Zahlungseingänge durch Verwertung u. a. von Pfandrechten, Sicherheiten oder Inanspruchnahme Dritter zu erwarten sind oder
  • etwaige Aufrechnungsmöglichkeiten wahrgenommen werden sollen.


Wenn der Erlass verbindlich in Aussicht gestellt wird, treten die Wirkungen eines solchen zu diesem Zeitpunkt noch nicht ein; dies geschieht erst mit Eintritt aller Bedingungen (Verwaltungsakt mit aufschiebender Bedingung, § 120 Abs. 2 Nr. 2 AO).

Während der Laufzeit einer Ratenzahlungsvereinbarung ist die Erfüllung der laufenden steuerlichen Verpflichtungen weitere Voraussetzung für die Erlassbewilligung.

Ist der Schuldenbereinigungsplan erfüllt, erlöschen die Ansprüche aus dem Steuerschuld-verhältnis, ohne dass es eines weiteren Verwaltungsaktes bedarf.

Bei der Ablehnung handelt es sich um einen anfechtbaren Verwaltungsakt (Ablehnung eines Antrags auf Gewährung einer Billigkeitsmaßnahme). Der Finanzrechtsweg ist eröffnet. Die Entscheidung über die Zustimmung oder Ablehnung zu einem außergerichtlichen Schuldenbereinigungsplanes erledigt sich, sobald ein Gläubiger nach Aufnahme der Verhandlungen Vollstreckungsmaßnahmen ergreift (§ 305a InsO). Gleiches gilt, wenn bekannt wird, dass das außergerichtliche Schuldenbereinigungsverfahren auf andere Weise gescheitert ist.

Sachverhaltsermittlung

Zur Prüfung des außergerichtlichen Schuldenbereinigungsplanes sind der Finanzbehörde grundsätzlich die Unterlagen vorzulegen, die auch im gerichtlichen Schuldenbereinigungs-verfahren (§ 305 Abs. 1 Nrn. 3 und 4 InsO) einzureichen sind. Dies sind insbesondere
 

  • ein Nachweis über die Beteiligung am Erwerbsleben (z. B. Beschäftigungsverhältnis, Eintritt ins Rentenalter),
  • ein Verzeichnis des vorhandenen Vermögens und des Einkommens (Vermögensverzeichnis),
  • eine Zusammenfassung des wesentlichen Inhalts des Vermögensverzeichnisses (Vermögensübersicht),
  • ein Gläubigerverzeichnis einschließlich Auflistung der Verbindlichkeiten,
  • ein Schuldenbereinigungsplan, aus dem sich ergibt, welche Zahlungen in welcher Zeit geleistet werden, zudem sind Angaben zur Herkunft der Mittel erforderlich.


Erforderlich ist ferner ein Nachweis,
 

  • ob und inwieweit Bürgschaften, Pfandrechte und andere Sicherheiten zugunsten Dritter bestehen und welche Zahlungen darauf geleistet werden bzw. noch zu erbringen sind,
  • ob und ggf. welche Schenkungen und Veräußerungen in den letzten zehn Jahren an nahe Angehörige bzw. sonstige Personen erfolgt sind,
  • ob Rechte und Ansprüche aus Erbfällen bestehen bzw. zu erwarten sind (z. B. Pflichtteilsansprüche),
  • eine Erklärung, dass Vermögen aus Erbschaften bzw. Erbrechten und Schenkungen zur Hälfte zur Befriedigung der Gläubigergemeinschaft eingesetzt wird, sowie Vermögen, das der Schuldner als Gewinn in einer Lotterie, Ausspielung oder in einem anderen Spiel mit Gewinnmöglichkeit erwirbt, zum vollen Wert an den Treuhänder herausgegeben wird (vgl. § 295 Abs. 1 Nr. 2 InsO), ausgenommen sind gebräuchliche Gelegenheitsgeschenke und Gewinne von geringem Wert,
  •  dass außer den im Schuldenbereinigungsplan aufgeführten keine weiteren Gläubiger vorhanden sind, niemand Sonderrechte (außer bei Pfandrechten und Sicherheiten) erhalten hat oder solche versprochen wurden,
  • dass sämtliche Angaben richtig und vollständig sind.


Planinhalt

Der Plan muss ein zielgerichtetes Vorgehen des Schuldners erkennen lassen, indem der Schuldner versucht, eine umfassende Lösung seiner Verschuldungsprobleme gegenüber allen Gläubigern zu erreichen. Der Vorschlag des Schuldners zur Schuldenbereinigung ist ein Angebot an die Gläubigergemeinschaft, der sich auf alles beziehen kann, was Gegenstand einer vertraglichen Vereinbarung zwischen Schuldner und Gläubigern sein kann. Die Finanzbehörde kann zweckdienliche Änderungen des Planes verlangen.

Die Gläubiger müssen durch die Darstellungen im Plan in die Lage versetzt werden, das Angebot des Schuldners verlässlich beurteilen zu können. Neben zweckdienlich erscheinenden Vereinbarungen zur Schuldenrückführung muss der Plan die Einkommens-, Vermögens- und Familienverhältnisse des Schuldners enthalten. Der Plan hat ferner Auskunft darüber zu geben, ob und inwieweit Bürgschaften, Pfandrechte und andere Sicherheiten der Gläubiger berührt werden sollen (vgl. § 305 Abs. 1 Nr. 4 InsO analog). Daneben kann der Schuldenbereinigungsplan unter anderem folgende Regelungen beinhalten:
 

  • Eingriffe in Absonderungsrechte, Lohnabtretungen zugunsten der Gläubiger,
  • Vereinbarungen in Bezug auf sonstige Sicherheiten,
  • Anpassungsklauseln für den Fall künftiger veränderter Verhältnisse, insbesondere Vermögenserwerbe,
  • Vorbehalt von Aufrechnungsmöglichkeiten für die Zeit bis zum Abschluss der Schuldenbereinigung,
  • Wiederauflebensklausel für den Fall, dass der Schuldner Verpflichtungen aus dem Plan nicht einhält oder
  • Regelungen, die den Obliegenheiten des Schuldners gem. § 295 InsO im Verfahren der Restschuldbefreiung entsprechen.


Entscheidung

Die Erlassbedürftigkeit ist grundsätzlich nach den wirtschaftlichen Verhältnissen des Schuld-ners zu beurteilen. Die wirtschaftliche Lage des Ehegatten oder Lebenspartners kann insoweit berücksichtigt werden, als dem Schuldner wegen des ihm zustehenden Unterhaltsanspruchs über den pfändbaren Teil hinaus Zahlungen zuzumuten sind.

Im Hinblick auf die Zielsetzung der Insolvenzordnung ist eine Billigkeitsmaßnahme nicht deshalb ausgeschlossen, weil z. B. wegen eines Pfändungsschutzes eine Einziehung der Steuer ohnehin nicht möglich bzw. die Notlage nicht durch die Steuerfestsetzung selbst verursacht worden ist. Vielmehr ist zu würdigen, ob ein gerichtliches Schuldenbereinigungsverfahren bzw. ein Verbraucherinsolvenzverfahren mit Restschuldbefreiung erfolgversprechend wäre. In diesem Falle kann angenommen werden, dass der Erlass dem Schuldner und nicht anderen Gläubigern zugutekommt. Dies gilt insbesondere dann, wenn durch Dritte (z. B. Angehörige) zusätzliche Mittel für die teilweise Schuldenbereinigung von bisher und voraussichtlich auch künftig uneinbringlichen Rückständen eingesetzt werden.

Für die Entscheidung der Finanzbehörde ist maßgebend, dass die Zahlungen in Anbetracht der wirtschaftlichen Verhältnisse angemessen sind, alle Gläubiger - nach Berücksichtigung u. a. von Pfandrechten, Sicherheiten - gleichmäßig befriedigt werden und insbesondere dem Schuldner ein wirtschaftlicher Neuanfang ermöglicht wird. Wurden einzelne Gläubiger in der Vergangenheit ungerechtfertigt bevorzugt, kann es angemessen sein, auf eine höhere Quote zu bestehen. Es ist in Anlehnung an die Regelung bei der Restschuldbefreiung zumutbar, die pfändbaren Beträge über einen angemessenen Zeitraum entsprechend § 300 InsO an die Gläubiger abzuführen.

Im außergerichtlichen Schuldenbereinigungsverfahren richtet sich die Entscheidung über die Erlasswürdigkeit eines Schuldners danach, ob und inwieweit dem Schuldner Restschuld-befreiung zu erteilen wäre.  In folgenden Fallkonstellationen liegt demnach grundsätzlich keine Erlasswürdigkeit vor:

Unzulässigkeit des Antrags auf Restschuldbefreiung
Dem Schuldner wurde in den letzten elf Jahren Restschuldbefreiung erteilt oder die Restschuldbefreiung in den letzten drei bzw. fünf Jahren versagt (§ 287a Abs. 1 und 2 InsO).

Versagung der Restschuldbefreiung
Unter den Voraussetzungen des § 290 InsO ist die Restschuldbefreiung u. a. zu versagen, wenn der Schuldner z. B.

  • wegen einer Insolvenzstraftat verurteilt wurde,
  • schriftlich unrichtige oder unvollständige Angaben über seine wirtschaftlichen Verhältnisse gemacht oder
  • seine Auskunfts- und Mitwirkungspflichten in diesem Verfahren (z. B. über Vermögen) verletzt hat.


Am Schuldenbereinigungsplan nehmen grundsätzlich keine Forderungen teil, die von der Restschuldbefreiung ausgenommen wären (z. B. Forderungen im Zusammenhang mit einer rechtskräftigen Verurteilung wegen einer Steuerstraftat, § 302 Nr. 1 InsO).

Eine Zustimmung des Bundesministeriums der Finanzen ist nicht erforderlich (vgl. BMF-Schreiben 1. Oktober 2020 - IV A 3 S 0336/19/10006-001 - BStBl. I 2020, 989).

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