14.07.2022

Keine Kapitalertragsteuerpflicht einer im Rückwirkungszeitraum beschlossenen und vollzogenen "offenen Gewinnausschüttung" in Einbringungsfällen

1. Die Befugnis des Steuerentrichtungspflichtigen zur Anfechtung der eigenen Kapitalertragsteuer-Anmeldung besteht unabhängig von seinem Recht, gemäß § 44b Abs. 5 Satz 1 EStG deren Änderung zu beantragen, wenn er Kapitalertragsteuer einbehalten oder abgeführt hat, obwohl eine Verpflichtung hierzu nicht bestand.
2. § 20 Abs. 5 Sätze 2 und 3 UmwStG 2006 erfassen bei der Einbringung eines Einzelunternehmens in eine Kapitalgesellschaft auch den Fall einer im Rückwirkungszeitraum beschlossenen und vollzogenen "offenen Gewinnausschüttung" der übernehmenden Gesellschaft an den sein Einzelunternehmen einbringenden Gesellschafter.

Kurzbesprechung
BFH-Beschluss v. 12. April 2022 - VIII R 35/19

UmwStG 2006 § 20, § 20 Abs 5
EStG § 4 Abs 1 S 2, § 20 Abs 1 Nr. 1, § 43 Abs 1 S 1 Nr. 1, § 44 Abs 1, § 44b Abs 5 S 1, § 45a
AO § 164 Abs 2, AO § 168 S 1
UmwG § 123 Abs 3 Nr. 2, §§ 152ff


Bei Kapitalerträgen i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG, d.h. insbesondere bei Gewinnanteilen aus einer GmbH, ist gemäß § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG Kapitalertragsteuer einzubehalten. Dasselbe gilt für den hierauf entfallenden Solidaritätszuschlag (vgl. § 1 Abs. 2 und Abs. 3 i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 5 SolZG 1995).

Steuerentrichtungspflichtig ist nach § 44 Abs. 1 Satz 3 EStG die GmbH als Schuldnerin der ausgeschütteten Gewinnanteile. Gemäß § 44 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 EStG entsteht die Kapitalertragsteuer bei Gewinnanteilen (Dividenden), deren Ausschüttung von einer Körperschaft beschlossen wird, ‑‑außerhalb der sonst in § 44 Abs. 2 EStG geregelten Fälle‑‑ mit dem im Beschluss bestimmten Tag der Auszahlung. In diesem Zeitpunkt hat die steuerentrichtungspflichtige GmbH den Steuerabzug vorzunehmen und die Kapitalertragsteuer nebst Solidaritätszuschlag an das FA abzuführen.

Wird ‑‑wie im Streitfall‑‑ ein Betrieb im Wege der Sacheinlage (hier: Ausgliederung gemäß § 123 Abs. 3 Nr. 2 UmwG) nach den Regelungen des § 20 UmwStG in eine Kapitalgesellschaft als übernehmende Gesellschaft gegen Gewährung neuer Anteile an dieser Gesellschaft eingebracht, kann dies nach § 20 Abs. 5 und Abs. 6 Satz 2 UmwStG 2006 mit steuerlicher Rückbeziehung erfolgen. Nach § 20 Abs. 5 Satz 1 UmwStG 2006 sind das Einkommen und das Vermögen des Einbringenden und der übernehmenden Gesellschaft auf Antrag so zu ermitteln, als ob das eingebrachte Betriebsvermögen mit Ablauf des steuerlichen Übertragungsstichtags auf die Übernehmerin übergegangen wäre (im Streitfall: mit Ablauf des 01.01.2016, vgl. § 20 Abs. 6 Satz 2 i.V.m. Satz 1 UmwStG 2006).

Gemäß § 20 Abs. 5 Satz 2 UmwStG 2006 gilt die Regelung des § 20 Abs. 5 Satz 1 UmwStG 2006 hinsichtlich des Einkommens und des Gewerbeertrags jedoch nicht für Entnahmen und Einlagen, die nach dem steuerlichen Übertragungsstichtag während des Rückwirkungszeitraums erfolgen. Nach § 20 Abs. 5 Satz 3 UmwStG 2006 sind in diesem Fall die Anschaffungskosten der erhaltenen Anteile (§ 20 Abs. 3 UmwStG 2006) um den Buchwert der Entnahmen zu vermindern und um den sich nach § 6 Abs. 1 Nr. 5 EStG ergebenden Wert der Einlagen zu erhöhen.

Die Sätze 2 und 3 des § 20 Abs. 5 UmwStG 2006 schließen die Anwendung von Satz 1 auf das übergehende Vermögen und Einkommen nicht aus, sondern treten als Entnahmen und Einlagen betreffende Ausnahmebestimmungen neben die in Satz 1 normierte Grundregel.

Ungeachtet der durch § 20 Abs. 6 Satz 2 i.V.m. Abs. 5 Satz 1 UmwStG 2006 bestimmten grundsätzlichen Einkommensermittlung auf Ebene der aufnehmenden Kapitalgesellschaft und des Anteilseigners ab dem Tag nach dem steuerlichen Übertragungsstichtag (hier: ab dem 02.01.2016) werden nicht betrieblich veranlasste Zahlungen an den Anteilseigner der aufnehmenden Kapitalgesellschaft auch nach dem steuerlichen Übertragungsstichtag bis zum Ablauf des Rückwirkungszeitraums als Entnahmen aus dem Einzelunternehmen und nicht als (verdeckte) Gewinnausschüttungen besteuert.

Die Sätze 2 und 3 des § 20 Abs. 5 UmwStG 2006 enthalten besondere und vorrangige Einkommensermittlungsvorschriften, die über den typischen Fall der sonst im Rahmen einer vGA zu erfassenden Sachverhalte hinaus für Zwecke der Einkommensermittlung des einbringenden Anteilseigners sämtliche nicht betrieblich veranlassten Auszahlungen (Entnahmen) von Geldbeträgen im Rückwirkungszeitraum steuerlich noch dem eingebrachten Einzelunternehmen und nicht der übernehmenden Kapitalgesellschaft zurechnen. Sie erfassten auch die im Streitfall am 25.08.2016 beschlossene und vollzogene "offene Ausschüttung".

Das FG hatte daher zutreffend erkannt, dass die "offene Ausschüttung" vom 25.08.2016 kein nach § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG der Kapitalertragsteuer unterliegender Kapitalertrag i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG war. Die Überweisung der "Nettodividende" und die einbehaltene und an das FA abgeführte Kapitalertragsteuer waren gemäß § 20 Abs. 5 Satz 2 UmwStG 2006 als Entnahmen i.S. des § 4 Abs. 1 Satz 2 EStG aus dem Einzelunternehmen zu beurteilen, da der Geldabfluss und die Entrichtung der Kapitalertragsteuer an das FA betriebsfremden Zwecken dienten. Die Entnahme von insgesamt 100.000 € verminderte gemäß § 20 Abs. 5 Satz 3 UmwStG 2006 die Anschaffungskosten der Anteile an der Steuerpflichtigen.
Verlag Dr. Otto Schmidt
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