25.04.2016

Kindergeldberechtigung des im Inland lebenden Kindsvaters für ein in Polen bei der Mutter lebendes Kind

Bezüglich des Rechts einer Person zur Erhebung eines Leistungsanspruchs ist die Situation der gesamten Familie in einer Weise zu berücksichtigen, als würden alle beteiligten Personen unter die Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats fallen und dort wohnen. Die Regelung in Art. 60 Abs. 1 S. 3 VO Nr. 987/2009, wonach der Antrag eines Elternteils als Antrag der berechtigten Person zu berücksichtigen ist, ist auch nicht dahingehend auszulegen, dass bei fehlender Antragstellung des Kindergeldberechtigten nunmehr der andere Elternteil einen Anspruch auf Kindergeld hätte.

FG Münster 16.3.2016, 7 K 79/15 Kg
Der Sachverhalt:
Der Kläger lebte während des streitigen Zeitraums von Juli 2010 bis Dezember 2014 in Deutschland. Sein im Februar 1998 geborener Sohn lebte während dieser Zeit bei dessen Mutter in Polen. Von dieser ist der Kläger mittlerweile geschieden. Vom 1.6.2012 bis zum 31.1.2013 sowie ab dem 25.7.2013 ging der Kläger einer Beschäftigung in Deutschland nach. In den übrigen Streitzeiträumen bezog er Arbeitslosengeld II.

Die damals zuständige Familienkasse lehnte den Kindergeldantrag des Klägers für die Zeit ab Juli 2010 ab. Die Behörde war der Ansicht, die Mutter, die das Kind in ihren Haushalt aufgenommen habe, sei vorrangig kindergeldberechtigt. Der Kläger trug vor, dass die Kindsmutter weder in Polen noch in Deutschland Kindergeldzahlungen oder Familienleistungen beziehe. Sowohl die Anspruchs- als auch die Antragsberechtigung für den Bezug von Kindergeld seien auf den Kläger übergegangen.

Das FG wies die Klage ab.

Die Gründe:
Der Kläger hat für den Zeitraum Juli 2010 bis Dezember 2014 keinen Anspruch auf Kindergeld für seinen in Polen lebenden Sohn.

Der in Deutschland wohnende Kläger erfüllte zwar die in §§ 62 Abs. 1 Nr. 1, 63 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, 32 Abs. 1 EStG genannten Voraussetzungen für den Bezug von Kindergeld für seinen Sohn. Der Anspruch für den Sohn des Klägers stand jedoch gem. § 64 Abs. 2 S. 1 EStG vorrangig der Kindsmutter zu. Danach wird bei mehreren Berechtigten das Kindergeld demjenigen gezahlt, der das Kind in seinen Haushalt aufgenommen hat. Und der Sohn lebte bei der Mutter.

Dass die Kindsmutter mangels Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts im Inland nicht die Voraussetzungen des § 62 Abs. 1 Nr. 1 EStG erfüllt, ist für ihren inländischen Kindergeldanspruch unschädlich. Dies ergibt sich aus der in Art. 60 Abs. 1 S. 2 der Verordnung (EG) Nr. 987/2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (VO Nr. 987/2009). Danach ist bezüglich des Rechts einer Person zur Erhebung eines Leistungsanspruchs die Situation der gesamten Familie in einer Weise zu berücksichtigen, als würden alle beteiligten Personen unter die Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats fallen und dort wohnen.

Diese Fiktion kann nach EuGH-Rechtsprechung dazu führen, dass der Anspruch auf Familienleistungen einer Person zusteht, die nicht in dem Mitgliedstaat wohnt, der für die Gewährung dieser Leistungen zuständig ist, sofern alle anderen durch das nationale Recht vorgeschriebenen Voraussetzungen für die Gewährung erfüllt sind. Die Regelung in Art. 60 Abs. 1 S. 3 VO Nr. 987/2009, wonach der Antrag eines Elternteils als Antrag der berechtigten Person zu berücksichtigen ist, ist auch nicht dahingehend auszulegen, dass bei fehlender Antragstellung des Kindergeldberechtigten nunmehr der andere Elternteil einen Anspruch auf Kindergeld hätte (EuGH-Urteil v. 22.10.2015, C-378/14 "Trapkowski"). Das nationale Recht verlangt für ein minderjähriges Kind allein die Elterneigenschaft, so dass in Fällen wie dem Streitfall, in dem ein Elternteil im Inland und der andere in Polen lebt, der Kindergeldanspruch des in Polen lebenden Elternteils vorrangig ist. Vor diesem Hintergrund kam es im Streitfall nicht mehr darauf an, ob der inländische Kindergeldanspruch darüber hinaus auch (teilweise) aufgrund der zwischenstaatlichen Konkurrenzregelungen der VO Nr. 883/2004 ausgeschlossen war.

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