20.02.2014

Klarstellung geltenden Rechts durch den Gesetzgeber kann als echte Rückwirkung verfassungsrechtlich unzulässig sein

Den Inhalt geltenden Rechts kann der Gesetzgeber mit Wirkung für die Vergangenheit nur in den verfassungsrechtlichen Grenzen für eine rückwirkende Rechtsetzung feststellen oder klarstellend präzisieren. Ein Gesetz, durch das eine offene Auslegungsfrage für die Vergangenheit geklärt werden soll, ist aus verfassungsrechtlicher Sicht als konstitutive Regelung anzusehen (hier: § 43 Abs. 18 KAGG).

BVerfG 17.12.2013, 1 BvL 5/08
Der Sachverhalt:
Die Klägerin des Ausgangsverfahrens ist eine Bank. In ihrem Umlaufvermögen hielt sie Anteile an Investmentfonds, deren Börsenkurse am 31.12.2002 unter die Buchwerte des Jahresabschlusses 2001 gesunken waren. Sie nahm daraufhin gewinnmindernde Abschreibungen vor und behandelte diese zunächst als steuerlich wirksam. Aufgrund des Korb II-Gesetzes reichte die Klägerin beim Finanzamt eine geänderte Körperschaftsteuererklärung für das Jahr 2002 ein. Darin erhöhte sie gem. § 40a Abs. 1 S. 2 KAGG i.V.m. § 8b Abs. 3 KStG den Gewinn außerbilanziell um die Abschreibungen, berief sich aber auf die Verfassungswidrigkeit der Rückwirkung.

Das FG setzte daraufhin das Verfahren aus, um eine Entscheidung des BVerfG einzuholen. Es hielt § 43 Abs. 18 KAGG für verfassungswidrig, weil die neue Fassung des § 40a Abs. 1 KAGG nicht lediglich klarstellend sei, sondern eine unzulässige echte Rückwirkung entfalte. Das BVerfG hat den § 43 Abs. 18 KAGG für verfassungswidrig und nichtig erklärt, soweit er die rückwirkende Anwendung des § 40a Abs. 1 S. 2 KAGG in den Veranlagungszeiträumen 2001 und 2002 anordnet.

Die Gründe:
§ 43 Abs. 18 KAGG entfaltet für die Jahre 2001 und 2002 in formaler Hinsicht eine echte Rückwirkung.

Eine Rechtsnorm entfaltet echte Rückwirkung, wenn sie nachträglich in einen abgeschlossenen Sachverhalt eingreift, insbesondere eine bereits entstandene Steuerschuld ändert. Wirkt sich die Änderung auf abgelaufene Veranlagungszeiträume aus, liegt eine echte Rückwirkung vor. Die verfassungsrechtlichen Grundsätze des Verbots echt rückwirkender Gesetze beanspruchten hier auch in materieller Hinsicht Geltung. § 40a Abs. 1 S. 2 KAGG ist aus verfassungsrechtlicher Sicht als konstitutive Rechtsänderung zu behandeln. Die im Regierungsentwurf zum Korb II-Gesetz vertretene Auffassung, die Vorschrift habe nur klarstellenden Charakter, ist für die Gerichte nicht verbindlich.

Für die Beantwortung der Frage, ob eine rückwirkende Regelung aus verfassungsrechtlicher Sicht als konstitutiv zu behandeln ist, genügt die Feststellung, dass die geänderte Norm in ihrer ursprünglichen Fassung von den Gerichten in einem Sinn ausgelegt werden konnte, der mit der Neuregelung ausgeschlossen werden sollte. Und so lag der Fall auch hier. Der Wunsch des Gesetzgebers, eine Rechtslage rückwirkend klarzustellen, verdient verfassungsrechtliche Anerkennung grundsätzlich nur in den durch das Rückwirkungsverbot vorgegebenen Grenzen. Andernfalls würde der rechtsstaatlich gebotene Schutz des Vertrauens in die Stabilität des Rechts empfindlich geschwächt. Ein legislatives Zugriffsrechtsrecht auf die Vergangenheit folgt auch nicht aus dem Demokratieprinzip, sondern steht zu diesem in einem Spannungsverhältnis.

Das Rückwirkungsverbot gilt zwar nicht, soweit sich kein Vertrauen auf den Bestand des geltenden Rechts bilden konnte oder ein Vertrauen auf eine bestimmte Rechtslage sachlich nicht gerechtfertigt und daher nicht schutzwürdig war. Bei den in der BVerfG-Rechtsprechung anerkannten, nicht abschließend definierten Fallgruppen handelt es sich um Typisierungen ausnahmsweise fehlenden Vertrauens in eine bestehende Gesetzeslage. Von den anerkannten Fallgruppen kamen hier allerdings nur diejenigen der Unklarheit und Verworrenheit der ursprünglichen Gesetzeslage oder ihrer Systemwidrigkeit und Unbilligkeit in Betracht. Keine von beiden vermochte jedoch die Rückwirkung  auf die Veranlagungszeiträume 2001 und 2002 zu rechtfertigen.

Hält das BVerfG - wie hier - eine rückwirkende gesetzliche "Klarstellung" für verfassungswidrig und nichtig, haben die Fachgerichte die hiervon betroffenen Streitfälle nach der alten Rechtslage durch Auslegung zu entscheiden. Die höchstrichterliche Klärung durch den BFH kann vorliegend ergeben, dass die Norm so zu verstehen ist, wie es der Gesetzgeber nachträglich "klarstellen" wollte.

Hintergrund:
In der zweiten Jahreshälfte 2003 hatte sich der Gesetzgeber eines Auslegungsproblems zur ertragsteuerlichen Berücksichtigungsfähigkeit von Gewinnminderungen bei Fondsbeteiligungen angenommen. In Frage stand, ob § 8b Abs. 3 KStG in der ab 2001 geltenden Fassung auch auf Kapitalanlagegesellschaften Anwendung findet, obwohl § 40a Abs. 1 KAGG auf diese Vorschrift ursprünglich nicht verwies.

Am 22.12.2003 wurde durch das "Korb II-Gesetz" die Vorschrift des § 40a Abs. 1 S. 2 KAGG eingefügt. Diese enthält eine ausdrückliche Verweisung auf § 8b Abs. 3 KStG; entsprechend der Begründung des Regierungsentwurfs handelt es sich um eine "redaktionelle Klarstellung". Nach § 43 Abs. 18 KAGG ist der neue § 40a Abs. 1 S. 2 KAGG "für alle Veranlagungszeiträume anzuwenden, soweit Festsetzungen noch nicht bestandskräftig sind".

Linkhinweis:

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BVerfG PM Nr. 12 vom 20.2.2014
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