23.06.2022

Ordnungsgemäße Bekanntgabe eines Steuerbescheids bei vermuteter Bevollmächtigung

Treten Angehörige der steuerberatenden Berufe für einen Steuerpflichtigen gegenüber Finanzbehörden auf, wird auch vor der Einfügung des § 80 Abs. 2 Satz 1 AO i.d.F. des Gesetzes zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens vom 18.07.2016 (BGBl I 2016, 1679) mit Wirkung vom 01.01.2017 die ordnungsgemäße Bevollmächtigung ohne Vorlage einer schriftlichen Vollmacht vermutet. Diese Vermutung gilt trotz Vorliegens einer auf bestimmte Zeiträume beschränkten schriftlichen Vollmacht auch für außerhalb der schriftlichen Vollmacht liegende Zeiträume, wenn der Angehörige der steuerberatenden Berufe für diese Zeiträume gegenüber dem FA wie ein Bevollmächtigter auftritt.

Kurzbesprechung
BFH v. 16. 3. 2022 - VIII R 19/19

AO § 80 Abs 1 S 1, § 80 Abs 1 S 3, § 80 Abs 2 S 1, § 122 Abs 1 S 3, § 122 Abs 1 S 2
AEAO 2014 § 80 Tziff 1 S 2


Nach § 122 Abs. 1 Satz 1 AO ist ein Verwaltungsakt gegenüber demjenigen bekannt zu geben, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird; er kann aber gemäß Satz 3 der Vorschrift auch gegenüber einem Bevollmächtigten bekannt gegeben werden.

Dass eine Bevollmächtigung i.S. des § 122 Abs. 1 Satz 3 AO nicht schriftlich vorliegen muss, sondern sich aus den Umständen ergeben kann, folgt aus § 80 Abs. 1 Satz 3 AO in der Fassung des Streitjahres. Danach hat der Bevollmächtigte seine Vollmacht nur auf Verlangen schriftlich nachzuweisen.

Bei Personen und Vereinigungen i.S. der §§ 3 und 4 Nr. 11 des Steuerberatungsgesetzes, die für den Steuerpflichtigen handeln, wird gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 AO i.d.F. des Gesetzes zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens vom 18.07.2016 (BGBl I 2016, 1679) eine ordnungsgemäße Bevollmächtigung vermutet. Zwar wurde diese Regelung erst mit Wirkung vom 01.01.2017 und somit nach der im Streitfall erfolgten Bekanntgabe des Einkommensteuerbescheids eingeführt. Allerdings wurde eine solche Vollmachtsvermutung bereits zuvor durch die Rechtsprechung anerkannt und auch durch die Finanzverwaltung praktiziert (Tz 1 Satz 2 des Anwendungserlasses zur Abgabenordnung 2014 zu § 80). Die Einführung des neuen § 80 Abs. 2 Satz 1 AO sollte diese Grundsätze nicht verändern, sondern lediglich "gesetzlich verankern" (BTDrucks 18/7457, S. 62).

Das FA konnte daher im Streitfall davon ausgehen, dass die Steuerpflichtigen die Prozessbevollmächtigten auch für das Streitjahr bevollmächtigt hatten, für sie gegenüber dem FA tätig zu sein und Bescheide in Empfang zu nehmen. Hierfür sprach, dass die Prozessbevollmächtigten als Rechtsanwalt und Steuerberater für die Steuerpflichtigen bereits für die Jahre 2008 bis 2012 gegenüber dem FA tätig geworden waren und für diese Jahre eine schriftliche Vollmacht vorgelegt hatten. Aufgrund der Korrespondenz zwischen den Prozessbevollmächtigten und der Steuerfahndung in der Folgezeit durfte das FA annehmen, dass die den Prozessbevollmächtigten als Angehörige der steuerberatenden Berufe erteilte Vollmacht auf die Jahre 2004 bis 2007 erweitert wurde und auch insoweit eine Bevollmächtigung vorlag.

Da die Vermutung in § 80 Abs. 1 Satz 3 AO in der Fassung des Streitjahres allein an das Auftreten der Prozessbevollmächtigten im Außenverhältnis anknüpft, konnten die Steuerpflichtigen die Vollmachtsvermutung für den Empfang des streitigen Einkommensteuerbescheids nicht damit widerlegen, dass das Mandatsverhältnis mit dem Prozessbevollmächtigten einen anderen Inhalt gehabt habe. Zwar mag die Mandatierung der Bevollmächtigten auf die Abgabe der Selbstanzeige für die relevanten Zeiträume gerichtet gewesen und die Erteilung einer Empfangsvollmacht nicht zwingend erforderlich gewesen sein. Diese im Innenverhältnis der Kläger zu den Prozessbevollmächtigten liegenden Umstände können die auf das Außenverhältnis der Bevollmächtigten zum FA abstellende Vermutung der Vollmachtserteilung jedoch nicht widerlegen.
Verlag Dr. Otto Schmidt
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