15.09.2022

Restschuldbefreiung und Steuerstraftaten

Die Tatsachen, aus denen sich nach Einschätzung des Gläubigers ergibt, dass der bereits zur Insolvenztabelle festgestellten Forderung eine Steuerstraftat des Schuldners zugrunde liegt, können gemäß § 177 Abs. 1 InsO nachträglich angemeldet werden. Das FA darf durch Feststellungsbescheid gemäß § 251 Abs. 3 AO feststellen, dass ein Steuerpflichtiger im Zusammenhang mit Verbindlichkeiten aus einem Steuerschuldverhältnis wegen einer Steuerstraftat rechtskräftig verurteilt worden ist, wenn der Schuldner diesem Umstand isoliert widersprochen hat.

Kurzbesprechung
BFH v. 28. 6. 2022 - VII R 23/21

AO § 251 Abs 3, § 370
InsO § 174, § 175, § 177, § 184, § 302


Die Finanzbehörde stellt nach § 251 Abs. 3 AO Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis, die sie im Insolvenzverfahren als Insolvenzforderung geltend macht, erforderlichenfalls durch schriftlichen Verwaltungsakt fest.

Ansprüche aus dem Steuerverhältnis sind nach § 37 Abs. 1 AO der Steueranspruch, der Steuervergütungsanspruch, der Haftungsanspruch, der Anspruch auf eine steuerliche Nebenleistung (§ 3 Abs. 4 AO), der Erstattungsanspruch nach § 37 Abs. 2 AO sowie die in Einzelsteuergesetzen geregelten Steuererstattungsansprüche.

Ob eine Insolvenzforderung vorliegt, richtet sich danach, wann der Rechtsgrund für den streitigen Anspruch gelegt worden ist. Der Rechtsgrund für Steueransprüche ist gelegt, wenn der gesetzliche (Besteuerungs-)Tatbestand verwirklicht wird.

Das FA macht eine Insolvenzforderung geltend, indem es diese nach § 174 Abs. 1 InsO zur Tabelle anmeldet. Bei der Anmeldung sind nach § 174 Abs. 2 InsO der Grund und der Betrag der Forderung anzugeben sowie die Tatsachen, aus denen sich nach Einschätzung des Gläubigers ergibt, dass ihr eine vorsätzlich begangene unerlaubte Handlung, eine vorsätzliche pflichtwidrige Verletzung einer gesetzlichen Unterhaltspflicht oder eine Steuerstraftat des Schuldners nach den §§ 370, 373 oder § 374 AO zugrunde liegt.

Forderungen können nach § 177 Abs. 1 InsO auch nachträglich, d.h. nach Ablauf der Anmeldefrist, angemeldet werden. Die gemäß § 28 Abs. 1 InsO im Eröffnungsbeschluss zu bestimmende Anmeldefrist stellt keine Ausschlussfrist dar.

Aus § 177 Abs. 1 InsO ergibt sich, dass auch eine nachträgliche Anmeldung des Attributs i.S. des § 174 Abs. 2 InsO möglich ist. Dabei handelt es sich um eine nachträgliche Änderung i.S. des § 177 Abs. 1 Satz 3 InsO.

Das FA ist bei einem isolierten Widerspruch des Schuldners gegen das Attribut i.S. von § 174 Abs. 2, § 302 Nr. 1 Alternative 3 InsO berechtigt, einen Feststellungsbescheid nach § 251 Abs. 3 AO zu erlassen. Das Feststellungsinteresse des FA entfällt auch nicht wegen § 184 Abs. 2 InsO in den Fällen, in denen die Steuerforderungen bestandskräftig festgesetzt sind und sich der Widerspruch des Schuldners isoliert gegen das Attribut richtet.

Ergeht der Feststellungsbescheid i.S. von § 251 Abs. 3 AO nach einem isolierten Widerspruch des Schuldners gegen das Attribut gemäß § 302 Nr. 1 Alternative 3 InsO, so muss sich aus dem Bescheid ergeben, dass der Schuldner im Zusammenhang mit der Forderung wegen einer Steuerstraftat nach §§ 370, 373 oder § 374 AO rechtskräftig verurteilt worden ist.

Im Streitfall bestätigte der BFH die klageabweisende Entscheidung der Vorinstanz und wies darauf hin, dass auch bei Bestandskraft der Bescheide das FA einen Feststellungsbescheid nach § 251 Abs. 3 AO hätte erlassen können, wenn es nur die Feststellung des Attributs der Steuerstraftat zur Tabelle erreichen will und der Steuerpflichtige dem isoliert widersprochen hat. Denn der isolierte Widerspruch des Schuldners musste vom FA beseitigt werden, damit die angemeldeten Forderungen nicht von der Restschuldbefreiung erfasst werden.
Verlag Dr. Otto Schmidt
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