17.09.2015

Sind Telefoninterviewer als Arbeitnehmer einzustufen?

Die Frage, ob eine Tätigkeit (hier: Telefoninterviewer) selbständig oder nichtselbständig ausgeübt wird, ist anhand einer Vielzahl in Betracht kommender Merkmale nach dem Gesamtbild der Verhältnisse zu beurteilen. Die Gesamtwürdigung ist materiell-rechtlich fehlerhaft, wenn die Tatsacheninstanz die maßgeblichen Umstände nicht vollständig oder ihrer Bedeutung entsprechend in ihre Überzeugungsbildung einbezieht.

BFH 18.6.2015, VI R 77/12
Der Sachverhalt:
Die Klägerin betreibt ein Unternehmen im Bereich der Markt- und Meinungsforschung. Für sie waren zwischen Januar 1998 und September 2002 etwa 450 bis 620 Interviewer tätig, die Befragungen per Telefon durchgeführt hatten. Hierfür stellte die Klägerin Computerarbeitsplätze in Büroräumen zur Verfügung. Grundlage der Interviews waren an den Bildschirmen angezeigte Fragebögen, die Antworten wurden im Computersystem erfasst. Die Interviews dauerten, teilweise von einem sog. Supervisor überwacht, zwischen fünf und 25 Minuten. Die Interviewer waren zumeist in Zeitblöcken von je vier Stunden tätig. Vertragliche Grundlage war jeweils eine sog. Rahmenvereinbarung. Dort war geregelt, dass der Interviewer als freier Mitarbeiter tätig sei, sich die Tätigkeit nach dem Einzelauftrag richte und Honorarhöhe, Arbeitsumfang und Ablieferungstermin umfasse.

Außerdem wurde festgelegt, dass die Tätigkeit eine freiberufliche Nebentätigkeit sei, der freie Mitarbeiter die vorgeschlagenen Interviewzeiten ablehnen könne und auch keinen zeitlichen Bindungen unterliege. In späteren Fassungen war auch noch ausdrücklich geregelt, dass der Interviewer sich für die Annahme von Aufträgen nicht bereithalten müsse, es keine Einsatzpläne gebe und zu den Öffnungszeiten beliebig kommen und gehen könne; Arbeitszeiten gebe es nicht, die vom Institut angegebenen Termine seien nur für übernommene Aufträge einzuhalten. Weiter regelte die Rahmenvereinbarung, dass die im Einzelfall durchzuführenden Interviews ein einheitliches Werk i.S.d. § 631 BGB seien. Die Honorare waren danach für jeden Einzelauftrag gesondert vereinbart und vom freien Mitarbeiter monatlich in Rechnung zu stellen. Der Ablauf des Interviews richtete sich nach festen durch ein Computerprogramm vorgegebenen Regeln.

Die Klägerin qualifizierte die Telefoninterviewer als selbständig Tätige und behielt deshalb für die ausgezahlten Honorare weder Lohnsteuer noch Sozialversicherungsbeiträge ein. Das Finanzamt qualifizierte dagegen nach einer Lohnsteuer-Außenprüfung die für die Klägerin tätigen Telefoninterviewer als Arbeitnehmer und erließ einen entsprechenden Haftungsbescheid über Lohnsteuer nebst Annexsteuern. Das FG gab der hiergegen gerichteten Klage teilweise statt. Auf die Revision der Klägerin hob der BFH das Urteil auf und wies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurück.

Die Gründe:
Die Gesamtwürdigung des FG hatte nicht vollständig die maßgeblichen Umstände berücksichtigt, die für und gegen das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses sprachen. Dies stellte einen materiell-rechtlichen Fehler dar.

Die Frage, ob eine Tätigkeit selbständig oder nichtselbständig ausgeübt wird, ist anhand einer Vielzahl in Betracht kommender Merkmale nach dem Gesamtbild der Verhältnisse zu beurteilen. In diese Gesamtwürdigung ist auch einzubeziehen, wie das der Beschäftigung zugrunde liegende Vertragsverhältnis ausgestaltet wurde, sofern die Vereinbarungen ernsthaft gewollt und tatsächlich durchgeführt wurden. Diese Gesamtwürdigung ist als eine im Wesentlichen auf tatrichterlichem Gebiet liegende Beurteilung revisionsrechtlich nur begrenzt überprüfbar. Allerdings ist die Gesamtwürdigung materiell-rechtlich fehlerhaft, wenn die Tatsacheninstanz die maßgeblichen Umstände nicht vollständig oder ihrer Bedeutung entsprechend in ihre Überzeugungsbildung einbezieht.

So lag der Fall auch hier. Denn in der Würdigung des FG fehlten wichtige Aspekte, die geeignet waren, die tatrichterliche Gesamtwürdigung zu beeinflussen. Darüber hinaus waren entscheidende Gesichtspunkte nicht ihrer Bedeutung entsprechend in die Abwägung eingeflossen. Angesichts dessen war die vom FG angestellte Gesamtwürdigung rechtsfehlerhaft. Vereinbaren die Vertragsparteien eine Vergütung auf der Basis von Erfolgshonoraren, ist dies ein wesentliches Indiz dafür, dass kein lohnsteuerrechtlich erhebliches Beschäftigungsverhältnis vorliegt, sofern diese Vereinbarung den tatsächlichen Verhältnissen nicht widerspricht. Diesen Umstand hatte das FG nur unzureichend berücksichtigt.

Das FG hatte ein Unternehmerrisiko der Interviewer damit verneint, dass die Klägerin faktisch "ein begrenzt variables Stundenhonorar" gezahlt habe. Eine solche Würdigung verkannte indessen bereits, dass Stundenhonorare auch im Rahmen von selbständigen und gewerblichen Tätigkeiten durchaus üblich sind. So rechnen etwa selbständig tätige Handwerker ihre Leistungen regelmäßig auf Stundenbasis ab und auch selbständig tätige Rechtsanwälte stellen Honorare auf Stundenbasis in Rechnung.

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