24.10.2013

Zu den Voraussetzungen für die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 3a Satz 3 AO

§ 171 Abs. 3a S. 3 AO erweitert die Ablaufhemmung des Rechtsbehelfsverfahrens, sofern die Gerichte keine abschließende Sachentscheidung treffen und ein weiteres Tätigwerden der jeweiligen Finanzbehörde zur Umsetzung der gerichtlichen Entscheidung erforderlich ist. Die Gerichte treffen keine abschließende Sachentscheidung, wenn sie den angefochtenen Bescheid aus Gründen aufheben, die dem Bescheid selbst anhaften und die nicht den der Steuerfestsetzung zugrunde liegenden Steueranspruch betreffen.

BFH 18.7.2013, II R 46/11
Der Sachverhalt:
Die Klägersind die Erben ihrer 2002 verstorbenen Mutter. Der 1984 verstorbene Vater hatte seine Kinder als Erben eingesetzt und seine Ehefrau mit mehreren Vermächtnissen bedacht. Mit Bescheid vom 23.11.1988 setzte das Finanzamt gegen die Mutter Erbschaftsteuer i.H.v. 629.496 DM fest. Bei der Ermittlung des steuerpflichtigen Erwerbs erfasste es nicht nur die erklärten Vermächtnisse und die Witwenrente, sondern weitere Renten- und Versorgungsansprüche. Während des Einspruchsverfahrens erging am 9.12.1999 ein für endgültig erklärter Änderungsbescheid. Darin setzte das Finanzamt die Erbschaftsteuer u.a. unter Berücksichtigung von Vorerwerben auf über 2 Mio. DM herauf. Mit der nach dem Tod der Mutter ergangenen Einspruchsentscheidung vom 15.11.2002 setzte die Behörde die Steuer auf ca. 1,85 Mio. DM herab.

Das FG gab der hiergegen gerichteten Klage teilweise statt. Das Gericht setzte die Steuer wegen zum Teil eingetretener Festsetzungsverjährung auf rund 1 Mio. DM herab. Der BFH gab der Revision mit Urteil vom 9.12.2009 (Az.: II R 39/07) vollumfänglich statt und hob die Vorentscheidung, den während des Einspruchsverfahrens ergangenen Änderungsbescheid, die Einspruchsentscheidung, den im Revisionsverfahren ergangenen Änderungsbescheid und den ursprünglichen Bescheid auf. Der Änderungsbescheid vom 9.12.1999 und die dazu ergangene Einspruchsentscheidung hätten wegen Ablaufs der Festsetzungsfrist nicht mehr ergehen dürfen. Der Vorläufigkeitsvermerk, mit dem der ursprüngliche Bescheid vom 23.11.1988 versehen worden sei, sei rechtswidrig gewesen. Eine Vorläufigkeit zur Gänze sehe § 165 Abs. 1 AO nicht vor.

Das Finanzamt erließ am 8.4.2010 unter Verweis auf § 171 Abs. 14 AO gegen die Kläger einen Erbschaftsteuerbescheid wegen des Erwerbs der Mutter nach dem 1984 verstorbenen Vater und setzte die Erbschaftsteuer erneut auf 321.846 € (629.476 DM) fest. Intern buchte die Behörde den Erstattungsanspruch der Kläger wegen der von der Mutter bereits entrichteten Erbschaftsteuer auf die neue Steuerschuld um. Das FG wies hiergegen gerichtete Sprungklage ab. Dagegen richtete sich die vorliegende Revision. Die Kläger rügten die fehlerhafte Anwendung des § 171 Abs. 3, Abs. 3a und Abs. 14 AO. Die Revision blieb allerdings erfolglos.

Die Gründe:
Das Finanzamt war nicht wegen Ablaufs der Festsetzungsfrist gehindert, den angefochtenen Erbschaftsteuerbescheid zu erlassen.

Nach § 171 Abs. 3a S. 3 AO (§ 171 Abs. 3 S. 3 AO a.F.) ist in den Fällen des § 100 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 2, Abs. 3 S. 1 und § 101 FGO über den Rechtsbehelf erst dann unanfechtbar entschieden, wenn ein aufgrund der genannten Vorschriften erlassener Steuerbescheid unanfechtbar geworden ist. Bis zu diesem Zeitpunkt ist der Ablauf der Festsetzungsfrist gehemmt. Die Vorschrift ergänzt die Ablaufhemmung während des laufenden Rechtsbehelfsverfahrens für den Fall, dass das Gericht keine abschließende Sachentscheidung trifft, sondern ein weiteres Tätigwerden der Finanzbehörde zur Umsetzung der gerichtlichen Entscheidung erforderlich ist. § 171 Abs. 3a S. 3 AO soll es der Finanzbehörde ermöglichen, die noch ausstehende Entscheidung in der Sache im Anschluss an die gerichtliche Entscheidung nachzuholen. Da die Regelung der des § 171 Abs. 3 S. 3 AO a.F. entspricht, ändert sich dadurch die Verfahrenslage zuungunsten des Steuerpflichtigen nicht.

Hebt das Gericht den im Rechtsbehelfsverfahren angefochtenen Bescheid gem. § 100 Abs. 1 S. 1 FGO ersatzlos auf (sog. echte Kassation), wird die Sache in den ungeregelten Zustand vor Erlass des Bescheids zurückversetzt und bedarf einer weiteren Maßnahme der Finanzbehörde. Die Finanzbehörde muss entscheiden, ob es bei der durch die Aufhebung geschaffenen - ungeregelten - Rechtslage verbleibt oder ob sie - in den Fällen der gebundenen Verwaltung - erneut tätig werden muss. Hat dagegen die Aufhebung des Bescheids durch das Gericht selbst regelnden Charakter (sog. unechte Kassation), ist ein weiteres Tätigwerden der Finanzbehörde nicht erforderlich. Ob eine echte oder eine unechte Kassation vorliegt, ist anhand der Rechtskraftwirkung des Urteils festzustellen. Die verlängerte Ablaufhemmung des § 171 Abs. 3a S. 3 AO gilt nach ihrem Zweck nur bei der echten Kassation, weil in diesem Fall das Verwaltungsverfahren nicht abgeschlossen und ein weiteres Tätigwerden der Finanzbehörde erforderlich ist.

Infolgedessen war im vorliegenden Fall im Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Bescheids am 8.4.2010 die Festsetzungsverjährung noch nicht eingetreten. Die Festsetzungsfrist begann gem. § 170 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AO mit Ablauf des Jahres 1985, denn die Erbschaftsteuererklärung für den Erbfall des Jahres 1984 wurde im Laufe des Jahres 1985 abgegeben. Der Ablauf der Festsetzungsfrist wurde gem. § 171 Abs. 3 AO a.F. zunächst durch den 1988 eingelegten Einspruch, anschließend durch das Klageverfahren gehemmt. Nach S. 3 des § 171 Abs. 3a AO, der von seinem Wortlaut und Regelungsgehalt dem § 171 Abs. 3 S. 3 AO a.F. entspricht, war der Ablauf der Festsetzungsfrist über die Rechtskraft des BFH-Urteils des BFH hinaus bis zum Erlass des angefochtenen Bescheids vom 8.4.2010 gehemmt. Die Rechtskraftwirkung des BFH-Urteils stand dem nicht entgegen. Beide Bescheide hatte der BFH aus Gründen aufgehoben, die den Bescheiden selbst anhafteten und nicht den Steueranspruch betrafen.

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