05.07.2012

Zu den Voraussetzungen für eine Kindergeldberechtigung wegen Behandlung als nach § 1 Abs. 3 EStG unbeschränkt Steuerpflichtiger

Eine Kindergeldberechtigung nach § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG setzt voraus, dass der Anspruchsteller aufgrund eines entsprechenden Antrags vom zuständigen Finanzamt nach § 1 Abs. 3 EStG als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt wird. Diese Auslegung berührt nicht die Selbständigkeit des Verfahrens der Kindergeldfestsetzung gegenüber dem Verfahren der Einkommensteuerfestsetzung.

BFH 24.5.2012, III R 14/10
Der Sachverhalt:
Die Klägerin ist die Mutter zweier 1993 und 1996 geborener Töchter, für die sie bis einschließlich Februar 2007 inländisches Kindergeld bezog. Seit 1988 ist die Klägerin bei der F-AG als Flugbegleiterin beschäftigt. Der Familienwohnsitz der Klägerin, ihres italienischen Ehemannes und der beiden gemeinsamen Töchter befindet sich seit August 1999 in Italien. Daneben ist die Klägerin in der Wohnung ihrer Mutter in Deutschland mit Hauptwohnsitz gemeldet.

Im Jahr 2007 hielt sie sich aufgrund ihrer Berufstätigkeit an insgesamt 53 Tagen im Inland auf. Zu ihrer Tätigkeit reiste sie jeweils von Italien aus nach Deutschland, und kehrte danach wieder unmittelbar an ihren Wohnsitz in Italien zurück. Jedenfalls für das Jahr 2007 hatte weder die Klägerin noch ihr Ehemann in Italien Anspruch auf Kindergeld für die beiden Töchter.Ihre Einkommensteuererklärungen für die Jahre 2005 bis 2007 gab die Klägerin jeweils unter Angabe der Adresse ihrer Mutter beim Finanzamt ab, das sie jeweils unter Annahme einer unbeschränkten Einkommensteuerpflicht gem. § 1 Abs. 1 des EStG zur Einkommensteuer veranlagte.

Die beklagte Familienkasse hob die Festsetzung des Kindergeldes ab März 2007 auf. Zur Begründung führte sie aus, nach § 62 EStG habe Anspruch auf Kindergeld, wer seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland habe oder im Ausland wohne, aber in Deutschland unbeschränkt einkommensteuerpflichtig sei oder als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt werde. Diese Anspruchsvoraussetzungen seien nicht gegeben.

Das FG trennte das Verfahren hinsichtlich des Kindergeldanspruchs ab Januar 2008 ab. Hinsichtlich des Kindergeldanspruchs für März bis Dezember 2007 gab es der Klage statt. Auf die Revision der Familienkasse hob der BFH das Urteil auf und wies die Klage ab.

Die Gründe:
Das FG ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Klägerin zum Kreis der Anspruchsberechtigten nach § 62 Abs. 1 EStG gehört.

Nach § 62 Abs. 1 EStG hat Anspruch auf Kindergeld nach dem EStG u.a., wer im Inland einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat oder wer ohne Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland nach § 1 Abs. 3 EStG als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt wird. Vorliegend hatte die Klägerin im Streitzeitraum weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland. Die Klägerin ist auch nicht Anspruchsberechtigte i.S.d. § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG. Anders als bei § 62 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 Buchst. a EStG macht das Gesetz bei § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG die Anspruchsberechtigung von der einkommensteuerrechtlichen Behandlung des Antragstellers abhängig.

Dies ergibt sich zum einen aus dem Wortlaut der Vorschrift. Dort wird vorausgesetzt, dass der Anspruchsteller nach § 1 Abs. 3 EStG als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt "wird". Wäre es dem Gesetzgeber nicht darauf angekommen, dass der Steuerpflichtige tatsächlich von dem Finanzamt als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt wird, so hätte er formulieren müssen "Für Kinder hat Anspruch auf Kindergeld nach diesem Gesetz, wer ohne Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland (bei entsprechender Antragstellung) nach § 1 Abs. 3 als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig zu behandeln wäre".

Des Weiteren spricht auch der Normzusammenhang mit § 1 Abs. 3 EStG für diese Auslegung. Anders als die zwingend vorgesehene unbeschränkte Steuerpflicht nach § 1 Abs. 1 und Abs. 2 EStG wird als unbeschränkt steuerpflichtig nach § 1 Abs. 3 EStG nur derjenige behandelt, der einen entsprechenden Antrag für einen bestimmten Veranlagungszeitraum bei dem zuständigen Finanzamt gestellt hat. Stellt der Antragsteller in einem Verfahren, das auf Festsetzung des Kindergeldes gerichtet ist, dagegen einen "Antrag nach § 1 Abs. 3 EStG" gegenüber der Familienkasse, wird hierdurch die Rechtsfolge des § 1 Abs. 3 EStG nicht ausgelöst.

Überdies zeigt die - auch von dem FG angenommene - zeitliche Beschränkung des Antragsrechts durch die Grenze der Festsetzungsverjährung, dass die Behandlung des Antragstellers durch die Familienkasse nach § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG nicht unabhängig von der Behandlung durch das Finanzamt erfolgen kann. Auch Gründe der Praktikabilität sprechen dafür, dass in kindergeldrechtlicher Hinsicht nur derjenige als i.S.d. § 1 Abs. 3 EStG fiktiv unbeschränkt steuerpflichtig anzusehen ist, der auch durch das zuständige Finanzamt so behandelt wird. So wird bspw. verhindert, dass der Antragsteller gegenüber Finanzamt und Familienkasse unterschiedliche Angaben machen kann.

Diese Auslegung berührt nicht die Selbständigkeit des Verfahrens der Kindergeldfestsetzung gegenüber dem Verfahren der Einkommensteuerfestsetzung. Denn anders als bei § 62 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 Buchst. a EStG sieht § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG bereits in seinem Tatbestand eine Abhängigkeit der Kindergeldberechtigung von der einkommensteuerrechtlichen Behandlung des Antragstellers vor. Soweit der Senat in dem Urteil in BFH/NV 2009, 564, auf das sich das FG gestützt hat, im Rahmen eines obiter dictums eine andere Auffassung vertreten hat, wird hieran nicht mehr festgehalten.

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