28.10.2011

Zum Erwerb von unverkörperter Mitgliedschaftsrechte an einer AG

Eine mögliche - durch die Kennzeichnung als Nennbetragsaktien anstatt als Stückaktien bedingte - formale Unrichtigkeit von Aktien hindert nicht den Erwerb des dann noch unverkörperten Mitgliedschaftsrechts an der AG. Die Verbriefung des Mitgliedschaftsrechts in Gestalt von Aktienurkunden hat lediglich deklaratorische Bedeutung.

BFH 7.7.2011, IX R 2/10
Der Sachverhalt:
Die G-AG wurde im September 1999 mit einem Grundkapital von 50.000 €, eingeteilt in 50.000 auf den Inhaber lautenden Stückaktien, gegründet und in das Handelsregister eingetragen. Im Dezember 1999 stellte die G-AG verbriefte Aktienurkunden auf der Grundlage eines Mustervordrucks her. Die Urkunden wurden durchnumeriert, mit einem betragsmäßigen Wert, der als "Nennbetrag" bezeichnet wurde, versehen, von den zuständigen Organen der G-AG eigenhändig unterzeichnet und an die bis zu diesem Zeitpunkt beteiligten Aktionäre ausgegeben. Der Gesamtnennbetrag der ausgegebenen Aktienpapiere entsprach der Höhe des Grundkapitals der AG.

Im Januar 2001 vereinbarte der Kläger mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden der G-AG, sich im Umfang von 1,5 Prozent des Grundkapitals (entsprechend 750 Aktien) als Aktionär an der Gesellschaft zu beteiligen. Der Aufsichtsratsvorsitzende verpflichtete sich seinerseits, dem Kläger die gewünschten Aktien zum Kaufpreis von 1,2 Mio. DM zu verschaffen. Der Kläger erhielt am 23.2.2001 eine Aktienurkunde der Gesellschaft im "Nennbetrag" von 250 € sowie am 4.3.2001 vier Aktienurkunden im "Nennbetrag" von (jeweils) 125 € ausgehändigt. Der Kläger erbrachte die hierfür geschuldete Gegenleistung durch Übergabe zweier Schecks i.H.v. jeweils 600.000 DM und wurde in der Folgezeit entsprechend des Umfangs seiner Beteiligung in die Aktionärsliste der G-AG aufgenommen.

Nachdem die Entwicklung der G-AG nicht den gewünschten Verlauf genommen hatte, veräußerte der Kläger seine Aktien mit Vertrag vom 18.2.2002 zum Kaufpreis von 750 € an seine Schwester. In seiner Einkommensteuererklärung für das Streitjahr machte er einen Veräußerungsverlust i.S.d. § 17 Abs. 1 S. 1 EStG aus dem Verkauf von Aktien der G-AG i.H.v. (zuletzt) 612.800 € geltend. Das Finanzamt berücksichtigte den Verlust nicht.

Das FG wies die auf Berücksichtigung des Veräußerungsverlusts gerichtete Klage ab. Auf die Revision des Klägers hob der BFH das Urteil auf und gab der Klage statt.

Die Gründe:
Das FG ist zu Unrecht zu der Auffassung gelangt, der Kläger sei nicht Gesellschafter der G-AG geworden und habe mithin durch die Weiterveräußerung an seine Schwester keinen Veräußerungsverlust nach § 17 EStG erzielen können.

Zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb gehört auch der Gewinn aus der Veräußerung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft, wenn der Veräußerer innerhalb der letzten fünf Jahre am Kapital der Gesellschaft unmittelbar oder mittelbar zu mindestens 1 Prozent beteiligt war (§ 17 Abs. 1 S. 1 EStG). Das wirtschaftliche Eigentum an einem Kapitalgesellschaftsanteil geht nach § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO auf den Erwerber über, wenn dieser aufgrund eines (bürgerlich-rechtlichen) Rechtsgeschäfts bereits eine rechtlich geschützte, auf den Erwerb des Rechts gerichtete Position erworben hat, die ihm gegen seinen Willen nicht mehr entzogen werden kann, und die mit dem Anteil verbundenen wesentlichen Rechte sowie Risiko und Chance von Wertveränderungen auf ihn übergegangen sind.

Nach diesen Grundsätzen der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung ist der Kläger 2001 Gesellschafter der G-AG geworden. Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob die Aktienurkunden der G-AG im "Nennbetrag" von 250 € und 125 € nach dem Grundsatz "falsa demonstratio non nocet" als satzungskonforme ("Sammel"-)Stückaktien auszulegen sind. Denn der Kläger hat nach den von den Beteiligten im finanzgerichtlichen Verfahren vorgelegten Unterlagen sowie den insoweit unbestrittenen, den Senat bindenden tatsächlichen Feststellungen des FG (vgl. § 118 Abs. 2 FGO) seine Gesellschafterstellung jedenfalls durch die Übereignung der "Nennbetragsaktien" am 23.2. bzw. am 4.3.2001 begründet.

Es ist davon auszugehen, dass die Beteiligten übereinstimmend eine Gesellschafterstellung des Klägers begründen wollten und dass - in rechtlicher Hinsicht - Aktien als Mitgliedschaftsrechte unabhängig von ihrer zutreffenden Bezeichnung in einer verkörperten Urkunde entstehen. Denn die Verbriefung des Mitgliedschaftsrechts in Gestalt von Aktienurkunden hat lediglich deklaratorische Bedeutung; eine mögliche Unrichtigkeit der Aktie hindert den Erwerb des Mitgliedschaftsrechts nicht. Soweit das FG den Übereignungsvorgang lediglich mit Blick auf die Formulierung in der vom Kläger erstellten Quittung abweichend gewürdigt hat, lässt eine solche Auslegung die Begleitumstände, unter denen die Übertragung der "Nennbetragsaktien" am 23.2. bzw. am 4.3.2001 stattgefunden hat, außer Betracht und verletzt § 133 BGB.

Der Kläger hat seine 2001 erworbene Beteiligung an der G-AG unter dem 18.2.2002 entgeltlich wirksam auf seine Schwester übertragen und damit den Veräußerungstatbestand des § 17 Abs. 1 S. 1 EStG verwirklicht. Der Gegenstand der Veräußerung ist im Streitfall durch die Bezugnahme auf die laufenden Nummern und die Nennbeträge der Aktien hinreichend bestimmt; denn auch insoweit entspricht nur eine Auslegung der beiderseitigen Erklärungen dahin, dass die im Eigentum des Klägers stehenden Mitgliedschaftsrechte an der G-AG Gegenstand des Vertrages sein sollten, der recht verstandenen Interessenlage der Erklärenden.

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