12.07.2013

Zum Kindergeldanspruch für ein Kind mit eigenem nichtehelichen Kind im gemeinsamen Haushalt mit dem Kindsvater

Leben die Elternteile eines nichtehelichen Kindes in einem gemeinsamen Haushalt, kann bei einer notwendigen Schätzung von gegenüber dem betreuenden Elternteil erbrachten Unterhaltsleistungen des anderen Elternteils nicht von dem Erfahrungssatz ausgegangen werden, dass sich die Elternteile das Einkommen des alleinverdienenden Elternteils oder ihr gemeinsames verfügbares Einkommen hälftig teilen. Es ist im Einzelnen zu ermitteln, ob und ggf. in welchem Umfang gegenüber dem betreuenden Elternteil im jeweiligen Anspruchszeitraum Bar- oder Naturalleistungen durch den anderen Elternteil oder durch einen Dritten erbracht wurden.

BFH 11.4.2013, III R 24/12
Der Sachverhalt:
Die Klägerin ist die Mutter der im April 1984 geborenen T. Im Januar 2006 gebar T. selbst ein Kind. Dessen Vater erbringt zwar für das Kind, allerdings nicht für T. Unterhaltszahlungen. T. lebt seit 2006 zusammen mit ihrem Sohn und dem Kindsvater im Haus der Mutter des Kindsvaters, die bis zu ihrem Tod im April 2011 ebenfalls dort wohnte. Seit März 2008 besucht der Sohn einen Kindergarten.

Die T. studierte zunächst ab dem Wintersemester 2002/2003. In den Wintersemestern 2005/2006 und 2006/2007 nahm sie jeweils ein Urlaubssemester. In den Jahren 2006 bis 2008 stellte T. verschiedene Bemühungen um einen Ausbildungsplatz an. Im September 2008 begann sie eine Berufsausbildung im Justizdienst. Der Kindsvater erzielte 2006 ein zu versteuerndes Einkommen i.H.v. 21.106 €. Im Jahr 2007 waren es 23.237 €. Im Jahr 2008 erhielt er Bruttoeinnahmen i.H.v. 28.309 € und es entstanden ihm Werbungskosten i.H.v. 3.519 €.

Die Familienkasse hob die zugunsten der Klägerin erfolgte Kindergeldfestsetzung für T. ab Januar 2006 auf und forderte das für Januar 2006 bis Dezember 2008 bereits ausbezahlte Kindergeld i.H.v. 5.544 € von der Klägerin zurück. Die Behörde ging dabei davon aus, dass ein Kindergeldanspruch der Klägerin ausgeschlossen sei, weil gegenüber der T. nach § 1615 Abs. 1 BGB vorrangig der Kindsvater des gemeinsamen Sohnes unterhaltspflichtig sei.

Das FG wies die hiergegen gerichtete Klage ab. Auf die Revision der Klägerin hob der BFH das Urteil auf und wies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurück.

Die Gründe:
Die Feststellungen des FG ließen keine Entscheidung darüber zu, ob ein Kindergeldanspruch der Klägerin ausgeschlossen ist.

Die Frage, ob ein Kind trotz einer gegenüber der Unterhaltspflicht der Eltern vorrangigen Unterhaltsverpflichtung des Ehegatten oder nach § 1615 Abs. 1 BGB des anderen Elternteils eines nichtehelichen Kindes weiterhin beim Kinderfreibetrag oder beim Kindergeld berücksichtigt werden kann, ist nicht im Rahmen der Berücksichtigungstatbestände des § 32 Abs. 4 S. 1 EStG zu prüfen. Der Senat hat bereits in seinen Entscheidungen zur Berücksichtigung von Kindern während einer Vollzeiterwerbstätigkeit ausgeführt, dass eine typische Unterhaltssituation kein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal der einzelnen Berücksichtigungstatbestände ist. § 32 Abs. 4 S. 2 EStG setzt für einen Kindergeldanspruch der Klägerin voraus, dass die Einkünfte und Bezüge der T., die zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmt oder geeignet sind, nicht mehr als 7.680 € im Kalenderjahr betragen haben.

Für den Fall, dass die Eltern eines nichtehelichen Kindes nicht in einem gemeinsamen Haushalt leben, hat der Senat bereits entschieden, dass Unterhaltsleistungen wegen des auch bei der Ermittlung der Bezüge zu beachtenden Zuflussprinzips nur dann anzusetzen sind, wenn sie dem unterhaltsberechtigten Ehegatten oder dem anderen Elternteil auch tatsächlich zugeflossen sind, sofern der Unterhaltsberechtigte nicht i.S.d. § 32 Abs. 4 S. 9 EStG auf die Geltendmachung seines Unterhaltsanspruchs verzichtet hat. Leben kinderlose Ehegatten in einem gemeinsamen Haushalt, ist hinsichtlich der notwendigen Schätzung der Unterhaltsleistungen davon auszugehen, dass dem nicht verdienenden Ehepartner von einem Alleinverdiener mit einem durchschnittlichen Nettoeinkommen in etwa die Hälfte des Nettoeinkommens in Form von Geld- und Sachleistungen als Unterhalt zufließt, soweit dem unterhaltsverpflichteten Ehepartner ein verfügbares Einkommen in Höhe des steuerrechtlichen Existenzminimums verbleibt.

Diese für zusammenlebende kinderlose Ehegatten geltenden Grundsätze lassen sich allerdings nicht auf die - wie hier - in einem gemeinsamen Haushalt lebenden Elternteile eines nichtehelichen Kindes übertragen. In solchen Fällen kann bei nicht von dem Erfahrungssatz ausgegangen werden, dass sich die Elternteile das Einkommen des alleinverdienenden Elternteils oder ihr gemeinsames verfügbares Einkommen hälftig teilen. Vielmehr ist denkbar, dass der unterhaltsverpflichtete Elternteil Unterhalt nur in Höhe seiner zivilrechtlichen Verpflichtung erbringt, freiwillig Leistungen erbringt, zu denen er zivilrechtlich nicht verpflichtet ist, oder -z.B. aufgrund der Sicherstellung des Unterhalts durch freiwillige Leistungen Dritter - weniger an Unterhalt leistet, als er zivilrechtlich leisten müsste. Wegen der Geltung des Zuflussprinzips ist daher im Einzelnen zu ermitteln, ob und ggf. in welchem Umfang gegenüber dem betreuenden Elternteil im jeweiligen Anspruchszeitraum Bar- oder Naturalleistungen durch den anderen Elternteil oder durch einen Dritten erbracht wurden.

Linkhinweis:

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