29.04.2011

Zur Abzweigung des Kindergelds an die Kommune bei im Haushalt der Eltern lebenden behinderten Kindern

Eine Abzweigung an die Kommune gem. § 74 Abs. 1 EStG kommt nicht in Betracht, wenn kindergeldberechtigte Eltern Aufwendungen für ihr Kind tragen, die mindestens so hoch sind wie das Kindergeld. Bei im Haushalt der Eltern lebenden behinderten Kindern sind nicht nur solche Aufwendungen zu berücksichtigen, die den behinderungsbedingten Mehrbedarf oder das (sozialhilferechtliche) Existenzminimum decken.

FG Münster 25.3.2011, 12 K 1891/10 Kg
Der Sachverhalt:
Die Beigeladene bezieht Kindergeld für ihren volljährigen, schwerstbehinderten Sohn. Dieser lebt im Haushalt seiner Eltern und ist an den Werktagen in einer Behindertenwerkstatt im Arbeitsbereich tätig. Hieraus erzielt er ein geringes Werkstatteinkommen. Seine Eltern erhalten Pflegegeld der Pflegestufe III.

Die klagende Stadt zahlt an das Kind Grundsicherungsleistungen bei Erwerbsminderung. Sie ist der Meinung, dass das Kindergeld an sie - und nicht an die kindergeldberechtigte Mutter - auszuzahlen sei, und zwar unabhängig davon, ob bzw. in welcher Höhe die Eltern Aufwendungen für das Kind getragen haben. Die Familienkasse lehnte den entsprechenden Abzweigungsantrag der Klägerin ab.

Die Beigeladene verwies auf die von ihr getragenen Aufwendungen (z.B. für Arzneimittel, Kleidung, Urlaub etc.) sowie die von ihr erbrachten Pflegeleistungen. Sie ist der Ansicht, eine Auszahlung des Kindergeldes an die Stadt komme nicht in Betracht, da ihre eigenen Aufwendungen deutlich über dem an sie ausgezahlten Kindergeld liegen.

Das FG wies die Klage ab und lehnte eine Abzweigung des Kindergeldes an die Klägerin ab. Die Revision zum BFH wurde nicht zugelassen.

Die Gründe:
Die Familienkasse ist im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass eine Abzweigung im Streitzeitraum nicht in Betracht kommt.

Eine Abzweigung an die Kommune gem. § 74 Abs. 1 EStG kommt nicht in Betracht, wenn kindergeldberechtigte Eltern Aufwendungen für ihr Kind tragen, die - wie im Streitfall - mindestens so hoch sind wie das Kindergeld. Dabei sind - anders als die Klägerin meint - nicht nur solche Aufwendungen zu berücksichtigen, die den behinderungsbedingten Mehrbedarf oder das (sozialhilferechtliche) Existenzminimum decken.

Bei im Haushalt der Eltern lebenden behinderten Kindern kommt es darauf an, den gesamten Lebensbedarf des Kindes zu ermitteln und diesen den eigenen Einkünften und Bezügen des Kindes gegenüberzustellen. Nur wenn sich hier eine Deckungslücke ergibt, ist hinreichend nachvollziehbar, dass der insoweit bestehende Lebensbedarf des Kindes aus dem "gemeinsamen Topf", in den das Einkommen der Eltern geflossen ist, gedeckt wurde.

Die Berücksichtigung fiktiver Kinderbetreuungskosten ist ausgeschlossen. Aufwendungen z.B. für Ernährung, Körper- und Gesundheitspflege, Bekleidung, Hausrat, Freizeit oder Urlaub sind von den Eltern zu beziffern und auch glaubhaft zu machen. Dabei gilt grundsätzlich das Monatsprinzip; abweichend kommt allerdings auch eine gleichmäßige Verteilung von Aufwendungen auf das Jahr oder gar auf mehrere Jahre in Betracht, wenn es um regelmäßig wiederkehrende Aufwendungen geht.

In Bezug auf den Betreuungs- und Pflegeaufwand von kindergeldberechtigten Eltern spricht grundsätzlich eine tatsächliche Vermutung dafür, dass das Pflegegeld insgesamt für die Sicherstellung der häuslichen Pflege verwendet wird. Das Pflegegeld steht demnach nicht für die Bestreitung des Grundbedarfs oder eines anderweitigen behinderungsbedingten Bedarfs des Kindes zur Verfügung. Allerdings müssen kindergeldberechtigte Eltern, die einen höheren - über dem Pflegegeld liegenden - Betreuungs- und Pflegeaufwand geltend machen, diesen konkret darlegen.

Linkhinweis:

FG Münster PM vom 29.4.2011
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