15.07.2021

Zur Berücksichtigung nacherklärter Einkünfte aus Kapitalvermögen gem. § 173 Abs. 1 AO im Rahmen einer Günstigerprüfung gem. § 32d Abs. 6 EStG

In den Vergleich, ob die nachträglich bekannt gewordene Tatsache der Erzielung von Einkünften aus Kapitalvermögen zu einer höheren (§ 173 Abs. 1 Nr. 1 AO) oder einer niedrigeren (§ 173 Abs. 1 Nr. 2 AO) Steuer führt, ist im Rahmen der Günstigerprüfung gemäß § 32d Abs. 6 EStG nicht nur die festgesetzte Einkommensteuer, sondern auch die durch den Abzug vom Kapitalertrag abgegoltene Einkommensteuer einzubeziehen.

Kurzbesprechung
In einen entsprechenden Vergleich sind auch anzurechnende Abzugsbeträge einzubeziehen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Einbeziehung der nacherklärten Kapitalerträge in die Veranlagung und die damit verbundene erhöhte Steuerfestsetzung nicht das Ziel des Änderungsbegehrens, sondern eine notwendige Voraussetzung für die Erstattung der inländischen Abzugsbeträge ist. Eine Änderung des bestandskräftigen Einkommensteuerbescheids kann in diesen Fällen nur nach Maßgabe des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO erfolgen.

In einen entsprechenden Vergleich sind auch die mit den nacherklärten Kapitalerträgen in Zusammenhang stehenden, anrechenbaren ausländischen Steuerbeträge und EU-Quellensteuern einzubeziehen, deren Anrechnung und Erstattung erreicht werden soll. Auch in diesem Fall ist die begehrte Änderung des bestandskräftigen Einkommensteuerbescheids nur unter den Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO zulässig.

BFH v. 25.3.2021 - VIII R 7/18

AO § 173 Abs. 1
EStG § 32d Abs. 1, § 32d Abs. 6, § 36 Abs. 2 S. 2, § 43 Abs. 5


Tatsache im Sinne von § 173 AO ist alles, was Merkmal oder Teilstück eines gesetzlichen Steuertatbestands sein kann, also Zustände, Vorgänge, Beziehungen, Eigenschaften materieller oder immaterieller Art. Auch Kapitalerträge aus jeweils einzeln zu betrachtenden Kapitalanlagen sind Tatsachen in diesem Sinne.

Ob die angestrebte Änderung zu einer höheren oder niedrigeren Steuer führt, kann im Rahmen des § 173 Abs. 1 AO grundsätzlich nur aus einem Vergleich der ursprünglichen mit der beabsichtigten Steuerfestsetzung abgeleitet werden. Anzurechnende Abzugs- oder Vorauszahlungsbeträge sind grundsätzlich nicht mit in die Betrachtung einzubeziehen. Dieser Grundsatz gilt jedoch nicht ausnahmslos. Denn nach § 32d Abs. 6 EStG ist für die Günstigerprüfung eine Gesamtbetrachtung vorzunehmen. Danach ist bei der Frage, ob die nachträglich bekannt gewordene Tatsache i.S. des § 173 Abs. 1 AO zu einer höheren oder niedrigeren Steuer führt, nicht allein auf die im zu ändernden Einkommensteuerbescheid festzusetzende --höhere-- Steuer, sondern auch auf die durch den Abzug vom Kapitalertrag nach § 43 Abs. 5 EStG abgegoltene Einkommensteuer abzustellen.

Dies führt bei einem erfolgreichen Antrag auf Günstigerprüfung dazu, dass sich --trotz höherer Steuerfestsetzung im Änderungsbescheid-- insgesamt eine niedrigere Steuer ergibt, so dass für die Änderung eines bestandskräftigen Einkommensteuerbescheids die Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO erfüllt sein müssen.

Steuerpflichtige, die abgeltend besteuerte Kapitalerträge nacherklären, um --insbesondere nach erfolgreicher Günstigerprüfung-- im Rahmen der Veranlagung eine Anrechnung und Erstattung der bereits gezahlten Kapitalertragsteuer zu erreichen, können die Änderung des bestandskräftigen Einkommensteuerbescheids danach nicht unabhängig von der Frage ihres Verschuldens am nachträglichen Bekanntwerden dieser Einkünfte, sondern nur nach Maßgabe des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO erreichen. Sie werden mithin wie jene Steuerpflichtigen behandelt, die nachträglich steuermindernde Umstände wie z.B. abziehbare Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung erklären und so eine Herabsetzung der bestandskräftig festgesetzten Einkommensteuer erreichen wollen. Dies ist in Anbetracht des angestrebten wirtschaftlichen Ergebnisses sachgerecht, zielt das Begehren der Steuerpflichtigen, die abgeltend besteuerte Kapitalerträge nacherklären, in diesen Fällen doch vorrangig auf die Anrechnung und Erstattung bereits entrichteter Steuern ab.

Sachgerecht ist danach auch, in den gemäß § 173 Abs. 1 AO anzustellenden Vergleich die mit den nacherklärten Kapitalerträgen in Zusammenhang stehenden anrechenbaren ausländischen Steuerbeträge und EU-Quellensteuern einzubeziehen, deren Anrechnung und Erstattung erreicht werden soll. Erklärt der Steuerpflichtige mithin ausländische Kapitalerträge nach, für die ausländische Steuer bzw. EU-Quellensteuer einbehalten wurde, um --gegebenenfalls nach erfolgreicher Günstigerprüfung oder nach § 32d Abs. 4 EStG-- deren Anrechnung und Erstattung zu erreichen, müssen für die Änderung des bestandskräftigen Einkommensteuerbescheids die Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO erfüllt sein.

In den Vergleich, ob die nachträglich bekannt gewordenen Kapitalerträge zu einer höheren oder niedrigeren Steuer führen, ist die durch den Abzug vom Kapitalertrag gemäß § 43 Abs. 5 EStG abgegoltene Einkommensteuer mit einzubeziehen. Auch die vom Steuerpflichtigen nacherklärten (ausländischen) Einkünfte aus Kapitalvermögen, die nicht dem inländischen Kapitalertragsteuerabzug unterlegen haben, führen bei der gebotenen Gesamtbetrachtung zu einer niedrigeren Steuer. Zwar ergibt sich infolge des Antrags auf Günstigerprüfung nach § 32d Abs. 6 EStG eine höhere Steuerfestsetzung. Diese würde unter Berücksichtigung der vom Steuerpflichtigen in diesem Zusammenhang geltend gemachten Anrechnung der Abzugsbeträge (ausländische Steuer sowie EU-Quellensteuer) jedoch zu einer insgesamt niedrigeren Steuer führen, da er insbesondere eine vollständige Erstattung der Quellensteuer nach der Zinsinformationsverordnung erreichen könnte.

Außerdem waren die vom Steuerpflichtigen für das Jahr 2012 nacherklärten verrechenbaren Verluste bei den Einkünften aus Kapitalvermögen (in Höhe von 6.335 €) als dem FA nachträglich bekannt gewordene steuermindernde Tatsachen anzusehen.

Im Streitfall traf den Steuerpflichtigen am nachträglichen Bekanntwerden dieser Tatsachen ein grobes Verschulden, das auch nicht nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 AO unbeachtlich war. Dies wäre nur dann der Fall, wenn die dem Steuerabzug unterliegenden (nacherklärten) Kapitaleinkünfte des Steuerpflichtigen in einem unmittelbaren oder mittelbaren Zusammenhang mit steuererhöhenden Tatsachen stünden. Hieran fehlte es jedoch im Streitfall, denn es waren keine steuererhöhenden, sondern bei der gebotenen Gesamtbetrachtung ausschließlich steuermindernde Tatsachen nachträglich bekannt geworden.
Verlag Dr. Otto Schmidt
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