10.03.2022

Zur Differenzbesteuerung der Art. 311 ff. MwStSystRL - Vorlage an den EuGH

Dem EuGH werden folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Ist unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens, in denen sich ein Steuerpflichtiger aufgrund des EuGH-Urteils Mensing vom 29.11.2018 - C 264/17 (EU:C:2018:968) darauf beruft, dass auch die Lieferung von Kunstgegenständen, die er zuvor im Rahmen einer steuerbefreiten innergemeinschaftlichen Lieferung vom Urheber (oder dessen Rechtsnachfolgern) erworben hat, unter die Differenzbesteuerung der Art. 311 ff. MwStSystRL fällt, nach Rz 49 dieses Urteils die Bemessungsgrundlage ausschließlich nach Unionsrecht zu bestimmen, so dass die Auslegung einer Vorschrift des nationalen Rechts (hier: § 25a Abs. 3 Satz 3 UStG), dass die auf den innergemeinschaftlichen Erwerb entfallende Steuer nicht zur Bemessungsgrundlage gehört, durch das letztinstanzliche nationale Gericht nicht zulässig ist?
Falls die Frage 1 bejaht wird: Sind die Art. 311 ff. MwStSystRL dahingehend zu verstehen, dass bei Anwendung der Differenzbesteuerung auf Lieferungen von Kunstgegenständen, die zuvor vom Urheber (oder dessen Rechtsnachfolgern) innergemeinschaftlich erworben wurden, die auf den innergemeinschaftlichen Erwerb entfallende Steuer die Handelsspanne (Marge) mindert, oder liegt insoweit eine planwidrige Lücke des Unionsrechts vor, die nicht von der Rechtsprechung im Wege der Rechtsfortbildung, sondern nur vom Richtliniengeber geschlossen werden darf?.

Kurzbesprechung
BFH v. 20.10.2021 ‑ XI R 2/20

MwStSystRL Art. 312, 315, 316 und 317; UStG § 25a Abs. 7 Nr. 1 Buchst. a

Streitig ist, ob bei Anwendung der Differenzbesteuerung auf Lieferungen von Kunstgegenständen, die vom Stpfl. zuvor von den Künstlern innergemeinschaftlich erworben wurden, die Steuer für den innergemeinschaftlichen Erwerb die zu besteuernde Handelsspanne (Marge) mindert.

Der Stpfl. ist Kunsthändler und betreibt Galerien in mehreren deutschen Städten. Im Streitjahr 2014 bezog er auch Kunstgegenstände von Künstlern, die im übrigen Unionsgebiet ansässig waren. Diese Lieferungen wurden von den Künstlern in ihren Ansässigkeitsstaaten jeweils als steuerbefreite innergemeinschaftliche Lieferungen behandelt. Der Stpfl. versteuerte die innergemeinschaftlichen Erwerbe gem. § 12 Abs. 2 Nr. 13 Buchst. a UStG mit dem ermäßigten Steuersatz. In der Umsatzsteuer-Jahreserklärung für das Streitjahr erfasste der Stpfl. die streitbefangenen Umsätze unter Anwendung der Differenzbesteuerung. Es ergab sich ein Erstattungsbetrag zu seinen Gunsten. Später revidierte das FA die Anwendung der Differenzbesteuerung. Im nachfolgenden Klageverfahren machte der Stpfl. wiederum geltend, dass § 25a Abs. 7 Nr. 1 Buchst. a UStG nicht unionsrechtskonform sei. Er berief sich auf die unmittelbare Anwendung von Art. 316 Abs. 1 Buchst. b MwStSystRL.

Nach dem auf Vorlage des FG Münster im Streitfall ergangenen EuGH-Urteil Mensing (EU:C:2018:968, UR 2019, 32) müsse die Differenzbesteuerung auf die streitbefangenen Umsätze angewandt werden und sei die die innergemeinschaftlichen Erwerbe betreffende Steuer margenmindernd als Bestandteil der Einkaufspreise zu berücksichtigen. Die Ermittlung der Bemessungsgrundlage folge dem Unionsrecht; den Regelungen des Art. 317 Satz 1 i.V.m. Art. 316, 315 und Art. 312 MwStSystRL sei zu entnehmen, dass zum Einkaufspreis bei der Margenbesteuerung auch die Umsatzsteuer gehöre.

Mit seiner Revision rügt das FA nun die Verletzung materiellen Rechts. Es bringt im Kern vor, die Umsatzsteuer für den innergemeinschaftlichen Erwerb mindere die zu besteuernde Marge nicht. Der Senat setzt das Verfahren gem. § 121 Satz 1 i.V.m. § 74 FGO aus und legt dem EuGH die im Tenor genannten Fragen gem. Art. 267 Abs. 3 AEUV zur Vorabentscheidung vor.

Zur ersten Frage: Der Senat ist im Rahmen der Beurteilung nach nationalem Recht der Ansicht, dass eine Berücksichtigung der streitigen Umsatzsteuer bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlage für die Differenzbesteuerung aufgrund einer unionsrechtskonformen Auslegung des § 25a Abs. 3 Satz 3 UStG möglich ist. Jedoch ist fraglich, ob eine unionsrechtskonforme Auslegung nationalen Rechts erfolgen kann, wenn sich die Differenzbesteuerung an sich nach Unionsrecht richtet.

Zur zweiten Frage: Falls die Frage 1 zu bejahen ist, ergibt sich für den Senat die Notwendigkeit, dem EuGH die Frage 2 vorzulegen. Der EuGH hat nach Art. 267 Abs. 1 AEUV die Aufgabe, die Unionsverträge auszulegen. Hierzu gehört nach Ansicht des vorlegenden Senats auch die im Streitfall möglicherweise erforderliche Rechtsfortbildung des Unionsrechts durch den EuGH. Aus Sicht des vorlegenden Senats könnte sich die zutreffende Lösung unionsrechtlich aus Art. 315 MwStSystRL ergeben, auf den Art. 317 Satz 1 MwStSystRL insoweit verweist.

Zum EuGH-Urteil "Mensing" - C-264/17, vgl. UR 2019, 32 sowie zur Thematik Grebe in Wäger, 2. Aufl. 2022, § 25a UStG Rz. 23 ff.
Verlag Dr. Otto Schmidt
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