08.12.2022

Zur Rückstellungsbildung für Verpflichtungen aus einem Kundenkartenprogramm

1. Bei einer Klage gegen einen Gewinnfeststellungsbescheid ist eine betragsmäßige Erweiterung des Klagebegehrens in Bezug auf eine angegriffene Feststellung nicht als Klageänderung i.S. des § 67 FGO, sondern als grundsätzlich zulässige Klageerweiterung anzusehen, es sei denn, der Kläger hat eindeutig zu erkennen gegeben, dass er von einem weitergehenden Klagebegehren absieht.
2. Verpflichtet sich ein Handelsunternehmen gegenüber den an seinem Kundenkartenprogramm teilnehmenden Kunden, diesen im Rahmen eines Warenkaufs in Abhängigkeit von der Höhe des Warenkaufpreises Bonuspunkte bzw. Gutscheine zu gewähren, die der Karteninhaber innerhalb des Gültigkeitszeitraums bei einem weiteren Warenkauf als Zahlungsmittel einsetzen kann, ist für die am Bilanzstichtag noch nicht eingelösten Bonuspunkte bzw. Gutscheine eine Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten zu bilden, wenn wahrscheinlich ist, dass die Verbindlichkeit entsteht und dass das Unternehmen in Anspruch genommen werden wird.
3. Eine entsprechende Anrechnungsverpflichtung stellt keine Verpflichtung i.S. des § 5 Abs. 2a EStG dar.

Kurzbesprechung
BFH v. 29. 9. 2022 - IV R 20/19

EStG § 4 Abs 1, § 5 Abs 1 S. 1, § 5 Abs 2a
HGB § 247 Abs 1, § 249 Abs 1 S 1
FGO § 67, § 155 S 1
ZPO § 264 Nr. 2


Streitig war die Passivierung einer Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten wegen Verpflichtungen der Steuerpflichtigen aus einem Kundenkartenprogramm in der Bilanz zum 31.12.2010.

Der BFH entschied, dass die Steuerpflichtige im Streitjahr keine Verbindlichkeit gegenüber Karteninhabern aus der Gewährung von am Bilanzstichtag noch nicht eingelösten Bonuspunkten und Gutscheinen ausweisen konnte, weil diese dem Grunde nach noch ungewiss war.

Nach § 247 Abs. 1 HGB sind in der Handelsbilanz Schulden zu passivieren, wenn der Unternehmer zu einer dem Inhalt und der Höhe nach bestimmten Leistung an einen Dritten verpflichtet ist, die vom Gläubiger erzwungen werden kann und die am zu beurteilenden Bilanzstichtag eine gegenwärtige wirtschaftliche Belastung darstellt. Dies gilt nach dem aus § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG folgenden sog. Maßgeblichkeitsgrundsatz auch für Zwecke der Steuerbilanz.

Nach allgemeinen Grundsätzen entstehen Ansprüche und Verpflichtungen zu dem Zeitpunkt, zu dem die sie begründenden Tatbestandsmerkmale erfüllt sind. Auf den Zeitpunkt der Fälligkeit der Verbindlichkeit kommt es nicht an.

Die Passivierung einer Verbindlichkeit wegen der Ausgabe von Kundengutscheinen, die einen Anspruch auf eine Preisermäßigung für Friseurleistungen im Jahr nach der Ausgabe gewährten, hat der BFH als unzulässig erachtet. Die Belastung des ausgebenden Unternehmens hänge davon ab, ob die Inhaber der Gutscheine innerhalb des Geltungszeitraums eine Dienstleistung zu dem durch den Gutschein ermäßigten Entgelt in Anspruch nehmen. Eine isolierte Einlösung der Gutscheine sei nicht möglich, weder durch Barauszahlung noch durch Eintausch gegen eine Sachleistung. Daher sei das Entstehen der entsprechenden Verbindlichkeit dem Grunde nach ungewiss. Der Tatbestand, an den die Leistungspflicht ‑ die Verrechnung des im Gutschein ausgewiesenen Betrags ‑ geknüpft sei, sei im Ausgabejahr noch nicht verwirklicht; die Verpflichtung sei daher in dem für die Bilanzierung maßgeblichen Sinne rechtlich noch nicht entstanden.

Ausgehend von diesen Grundsätzen schied im Streitfall die Passivierung von Verbindlichkeiten aus der Verpflichtung der Steuerpflichtigen gegenüber den Inhabern der A-Card zur Einlösung der gewährten Bonuspunkte bzw. ausgestellten Gutscheine in der Bilanz zum 31.12.2010 aus. Der Tatbestand, an den die Leistungspflicht der Steuerpflichtigen geknüpft ist, war zum Bilanzstichtag noch nicht verwirklicht, das Entstehen der Verbindlichkeit daher dem Grunde nach noch ungewiss.

Die Steuerpflichtige musste jedoch in ihrer Bilanz zum 31.12.2010 für die am Bilanzstichtag noch nicht eingelösten Bonuspunkte/Gutscheine eine Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten bilden.

Gemäß § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB sind in der Handelsbilanz Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten zu bilden. Das handelsrechtliche Passivierungsgebot für Verbindlichkeitsrückstellungen gehört zu den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung und gilt nach § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG auch für die Steuerbilanz.

Voraussetzung für die Bildung einer Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten ist das Bestehen einer nur ihrer Höhe nach ungewissen Verbindlichkeit oder die hinreichende Wahrscheinlichkeit des künftigen Entstehens einer Verbindlichkeit dem Grunde nach ‑ deren Höhe zudem ungewiss sein kann sowie ihre wirtschaftliche Verursachung in der Zeit vor dem Bilanzstichtag. Als weitere Voraussetzung muss der Schuldner ernsthaft mit seiner Inanspruchnahme rechnen.

Ist eine Verpflichtung am Bilanzstichtag bereits rechtlich entstanden, bedarf es keiner Prüfung der wirtschaftlichen Verursachung mehr, weil eine Verpflichtung spätestens im Zeitpunkt ihrer rechtlichen Entstehung auch wirtschaftlich verursacht ist.

Im Streitfall hatte die Steuerpflichtige für die Aufwendungen aus den an die Karteninhaber gewährten Bonuspunkten und Gutscheinen bereits im Streitjahr erfolgswirksam eine Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten in ihrer Bilanz zu passivieren, da ihre Anrechnungsverpflichtung ihre wirtschaftliche Verursachung in der Zeit vor dem Bilanzstichtag hatte und es auch wahrscheinlich war, dass die Verbindlichkeit der Steuerpflichtigen entstehen und sie in Anspruch genommen werden würde.

Im Streitfall standen auch die Grundsätze der Bilanzierung schwebender Geschäfte einer Rückstellungsbildung nicht entgegen. Beruht die Verpflichtung auf einem sog. schwebenden Geschäft aus einem gegenseitigen Vertrag, der von der zur Sach- oder Dienstleistung verpflichteten Partei noch nicht voll erfüllt ist, hat die Passivierung zu unterbleiben, weil während des Schwebezustands die (widerlegbare) Vermutung besteht, dass sich die wechselseitigen Rechte und Pflichten aus dem auf Leistungsaustausch gerichteten Vertrag wertmäßig ausgleichen.

Die Anrechnungspflicht der Steuerpflichtigen stellte jedoch keinen auf einen gegenseitigen Leistungsaustausch gerichteten Vertrag dar. Sie hatte ihren rechtlichen und wirtschaftlichen Ursprung im ersten Warenkauf, der bereits abgewickelt war. Die Anrechnungspflicht diente nicht der Erfüllung einer Leistungsverpflichtung, die die Steuerpflichtige im Rahmen des zweiten Warenkaufs eingegangen ist. Der weitere Warenkauf stellte lediglich das Rechtsgeschäft dar, in dessen Rahmen für den Kunden die Möglichkeit besteht, von seinem Anspruch Gebrauch zu machen, d.h. das ihm von der Steuerpflichtigen gewährte Zahlungsmittel zwecks Verrechnung mit dem Kaufpreis einzusetzen.

Der Bildung einer entsprechenden Rückstellung stand auch das Passivierungsverbot des § 5 Abs. 2a EStG nicht entgegen, da die Anrechnungsverpflichtung der Steuerpflichtigen keine Verpflichtung im Sinne dieser Regelung darstellte. Das Passivierungsverbot setzt demnach voraus, dass sich der Anspruch des Gläubigers verabredungsgemäß nur auf künftiges Vermögen des Schuldners (damit nicht auf am Bilanzstichtag vorhandenes Vermögen) bezieht. Es fehlte daher im Streitfall an einer Verpflichtung der Steuerpflichtigen i.S. des § 5 Abs. 2a EStG, denn die Erfüllung der Anrechnungsverpflichtung der Steuerpflichtigen bezog sich nicht verabredungsgemäß nur auf deren künftiges Vermögen.
Verlag Dr. Otto Schmidt
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