04.08.2014

Zur versehentlich fehlerhaften Bezeichnung des beklagten Finanzamtes bei mehreren Finanzämtern in einer Großstadt

Ein FG muss bei der Auslegung der Klageschriften darauf achten, dass es sich möglicherweise um die zutreffende Bezeichnung eines Finanzamts von mehreren Finanzämtern einer Großstadt handelt, deren Bezeichnung sich lediglich durch die Beifügung einer römischen Ziffer ("II" bzw. "IV") unterscheidet und dass in derartigen Fällen eine (versehentliche) Falschbezeichnung besonders naheliegend ist. Es ist der wirkliche Wille zu erforschen, und nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften.

BFH 13.5.2014, XI B 129/13 u.a.
Der Sachverhalt:
Der Kläger, vertreten durch seinen Prozessbevollmächtigten, hatte im September 2011 Klage wegen Umsatzsteuer 2007, Gewerbesteuermessbetrag 2003 bis 2007, gesonderter Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes zum 31.12.2003 bis 31.12.2007 und Zerlegung der Gewerbesteuermessbeträge 2004 bis 2005, Einkommensteuer 2003 und 2004 sowie Umsatzsteuer 2003 bis 2005 erhoben. In den Klageschriften gab er jeweils an, dass sich die Klage gegen das Finanzamt X II richte. Eine Steuernummer war nicht angegeben.

Das FG stellte die Klagen dem Finanzamt X II zu. Daraufhin meldete sich das Finanzamt X IV, das sich selbst als "Beklagter" bezeichnete und teilte u.a. mit, der Kläger habe den falschen Beklagten benannt; die Einspruchsentscheidungen seien seitens des Finanzamt X IV ergangen. Das FG forderte den Kläger zur Stellungnahme dazu auf. Es bestünden Bedenken gegen die Zulässigkeit der Klagen. Man gehe davon aus, dass der Kläger die Klagen gegen die falsche Finanzbehörde erhoben habe, da "offensichtlich" nicht das Finanzamt X II die angegriffenen Einspruchsentscheidungen erlassen habe, sondern das Finanzamt X IV.

Der Kläger wiederholte die Klageerhebungen gegen ein - nicht existierendes - Finanzamt X (ohne Zusatz) und beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Daraufhin erwiderte erneut das Finanzamt X IV - sich als "Beklagter" bezeichnend-, dass in den Einspruchsentscheidungen vermerkt sei, dass die Entscheidung durch das Finanzamt X IV erfolgt sei. Das FG lud den Kläger und (nur) das Finanzamt X II zur mündlichen Verhandlung und wies die Klagen ab. Die Klagen seien nicht gegen den richtigen Beklagten erhoben worden und deshalb unzulässig.

Auf die Beschwerden des Klägers hob der BFH die Entscheidung der Vorinstanz auf und wies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurück.

Die Gründe:
Der vom Kläger geltend gemachte Verfahrensmangel der Verletzung rechtlichen Gehörs lag vor. Das FG hatte die Klagen zu Unrecht als unzulässig abgewiesen. Eine unzutreffende Klageabweisung durch Prozessurteil stellt einen Verfahrensfehler i.S.d. § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO dar.

Lässt sich einer Klageschrift nicht eindeutig entnehmen, gegen welche Finanzbehörde sich die Klage richtet, ist die Klageschrift auszulegen, wobei als Auslegungshilfe der Gesichtspunkt dienen kann, dass die Klage im Zweifel nicht gegen den falschen, sondern gegen den nach dem Inhalt der Klage richtigen Beklagten gerichtet sein soll. Die Bezeichnung der Partei allein ist für die Parteistellung nicht ausschlaggebend; vielmehr kommt es darauf an, welcher Sinn der von der klagenden Partei in der Klageschrift gewählten Parteibezeichnung bei objektiver Würdigung des Erklärungsinhalts beizulegen ist. Auf die Wortwahl und die Bezeichnung kommt es nicht entscheidend an, sondern auf den gesamten Inhalt der Willenserklärung. Es ist der wirkliche Wille zu erforschen, und nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften. Die Vorschrift des § 133 BGB ist nämlich auch bei der Auslegung von Prozesshandlungen zu beachten.

Infolgedessen war das FG zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Klagen unzulässig sind, weil Beklagter eindeutig und unmissverständlich das Finanzamt X II sei. Es hatte bei seiner Auslegung der Klageschriften nicht berücksichtigt, dass es hier um die zutreffende Bezeichnung eines Finanzamts von mehreren Finanzämtern einer Großstadt ging, deren Bezeichnung sich lediglich durch die Beifügung einer römischen Ziffer ("II" bzw. "IV") unterschied und dass in derartigen Fällen eine (versehentliche) Falschbezeichnung besonders naheliegend ist. Zudem hatte der Kläger in allen Verfahren die angefochtenen Verwaltungsakte und Einspruchsentscheidungen eindeutig bezeichnet.

Dass die Angaben des Klägers in den Klageschriften, obwohl er dort seine Steuernummer nicht genannt hatte, die Auslegung zuließ, dass das Finanzamt X IV Beklagter sein sollte, wurde außerdem dadurch bestätigt, dass sich das Finanzamt X IV in allen Verfahren selbst als Beklagten angesehen und bezeichnet hatte, obwohl nicht ihm, sondern dem Finanzamt X II die Klage zugestellt worden war. Das Finanzamt X II musste dagegen vom FG gesondert aufgefordert werden, auf die Klagen zu erwidern, weil es sich selbst - trotz Zustellung der Klagen an das Finanzamt X II - nicht als Beklagten angesehen hatte.

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