21.03.2012

Zur wesentlichen Beteiligung innerhalb der letzten fünf Jahre i.S.d. § 17 Abs. 1 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002

Es ist ernstlich zweifelhaft, ob sich die Beteiligungsgrenze nach der im Jahr der Veräußerung geltenden Wesentlichkeitsgrenze gem. § 17 Abs. 1 S. 4 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 richtet - und damit zurückwirkt - oder ob der Beteiligungsbegriff veranlagungszeitraumbezogen auszulegen ist, indem das Tatbestandsmerkmal "innerhalb der letzten fünf Jahre am Kapital der Gesellschaft wesentlich beteiligt" in § 17 Abs. 1 S. 1 EStG für jeden abgeschlossenen Veranlagungszeitraum nach der in diesem Veranlagungszeitraum jeweils geltenden Beteiligungsgrenze zu bestimmen ist.

BFH 24.2.2012, IX B 146/11
Der Sachverhalt:
Der Antragsteller war im Dezember 1997 mit 13,52 % an einer AG beteiligt. In der Folgezeit schrumpfte der Aktienanteil. Im Dezember des Streitjahres 1999 veräußerte der Antragsteller 50.000 Aktien und erzielte dabei einen Gewinn von über 12,8 Mio. DM. Das Finanzamt unterwarf diesen Betrag voll der Besteuerung nach § 17 EStG. Das Einspruchsverfahren ruhte zunächst bis zur BFH-Entscheidung vom 1.3.2005 (Az.: VIII R 25/02). Nachdem das BVerfG dieses Urteil am 7.7.2010 (Az.: 2 BvR 748/05 u.a.) aufgehoben und § 17 Abs. 1 S. 4 i.V.m. § 52 Abs. 1 S. 1 EStG i.d.F. StEntlG 1999/2000/2002 vom 24.3.1999 teilweise als nichtig erkannt hatte, hob das Finanzamt die Vollziehung des Einkommensteuerbescheides teilweise auf.

Im März 2011 erließ die Steuerbehörde einen geänderten Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr, indem es für den Zeitraum vom 31.3.1999 bis zum 1.12.1999 einen Veräußerungsgewinn von über 8,3 Mio. DM erfasste. Das FG wies den hiergegen gerichteten Aussetzungsantrag zurück. Der Antragsteller war der Ansicht, er habe zu keinem Zeitpunkt die Wesentlichkeitsschwelle nach der jeweils gültigen Fassung des Gesetzes überschritten. Auf die Beschwerde des Antragstellers hob der BFH den Beschluss, ebenso wie die Vollziehung des Einkommensteueränderungsbescheides insoweit auf, als darin ein Veräußerungsgewinn gem. § 17 EStG angesetzt wurde.

Die Gründe:
Es bestanden schon ernstliche Zweifel, ob der Antragsteller den Steuertatbestand des § 17 Abs. 1 EStG erfüllt hatte.

§ 17 Abs. 1 S. 4 EStG ist i.d.F. StEntlG 1999/2000/2002 gem. § 52 Abs. 1 EStG erstmals für den Veranlagungszeitraum 1999 anzuwenden. Veräußert also jemand im Jahr 1999 eine Beteiligung von 10 %, ist dieser Vorgang steuerbar. Veräußert er allerdings eine Beteiligung von - wie im Streitfall - lediglich 9,22 %, liegt ein steuerbares Veräußerungsgeschäft nur vor, wenn er innerhalb der letzten fünf Jahre am Kapital der Gesellschaft wesentlich beteiligt war. Da die Wesentlichkeitsgrenze von 10 % nach § 52 Abs. 1 EStG erstmals für den Veranlagungszeitraum 1999 gilt, folgt daraus umgekehrt zugleich, dass sie für frühere Veranlagungszeiträume nicht anwendbar ist.

Infolgedessen ist es unerheblich, ob der Steuerpflichtige, der im Jahr 1999 eine Beteiligung unter 10 % veräußert, innerhalb der letzten fünf Jahre am Kapital der Gesellschaft über 10 %, aber bis einschließlich 25 % beteiligt war. Denn in den Veranlagungszeiträumen vor 1999 war eine wesentliche Beteiligung nur dann gegeben, wenn der Veräußerer an der Gesellschaft zu mehr als einem Viertel unmittelbar oder mittelbar beteiligt war (so § 17 Abs. 1 S. 4 EStG in früheren Fassungen).

Es ist mithin zweifelhaft, ob sich die Beteiligungsgrenze nach der im Jahr der Veräußerung geltenden Wesentlichkeitsgrenze richtet - und damit zurückwirkt - oder ob der Beteiligungsbegriff veranlagungszeitraumbezogen auszulegen ist, indem das Tatbestandsmerkmal "innerhalb der letzten fünf Jahre am Kapital der Gesellschaft wesentlich beteiligt" in § 17 Abs. 1 EStG für jeden abgeschlossenen Veranlagungszeitraum nach der in diesem Veranlagungszeitraum jeweils geltenden Beteiligungsgrenze zu bestimmen ist. Diese Zweifel an der damals vom BFH vertretenen Auffassung gewinnen eine zusätzliche Dimension durch den vom BVerfG hervorgehobenen Zweck der Veräußerungsgewinnbesteuerung.

Die Besteuerung ist demnach nicht deshalb auf die Realisation bezogen, weil erst zu diesem Zeitpunkt der Wertzuwachs entsteht, sondern obwohl er bereits vorher beim Steuerpflichtigen entstanden ist. Es wird also im Zeitpunkt der Realisation ein über den vorangegangenen Zeitraum akkumulierter Zuwachs an Leistungsfähigkeit nachholend der Besteuerung unterworfen. Auf die bloß formale Zuordnung des Veräußerungsgewinns zu einem bestimmten Veranlagungszeitraum kommt es daher nicht an, sondern maßgeblich ist, dass sich die höhere Leistungsfähigkeit, auf die mit der steuerlichen Erfassung des Veräußerungsgewinns zugegriffen wird, materiell auf den gesamten Zeitraum zwischen Anschaffung und Veräußerung bezieht.

Unter dieser Voraussetzung kann es nur um einen   steuerbaren Zuwachs an Leistungsfähigkeit gehen. Der Wertzuwachs in den Zeiträumen vor dem Realisationszeitraum muss steuerbar, also der Einkommensteuer unterlegen haben. Dies ist aber nur der Fall, wenn der Steuerpflichtige in qualifizierter Weise an der Kapitalgesellschaft beteiligt war. Die sog. latente Verstrickung muss irgendwann einmal aktuell geworden sein. Wenn es nämlich auf die "formale Zuordnung des Veräußerungsgewinns zu einem bestimmten Veranlagungszeitraum" nicht ankommt, so kann auch nicht entscheidend sein, ob der Steuerpflichtige allein aus der Retrospektive dieses Zeitraums früher einmal wesentlich und damit steuerbar beteiligt war, ohne es aber während des Zuwachses an Leistungsfähigkeit je gewesen zu sein.

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