14.09.2020

Rechtzeitige Bekanntgab der Tagesordnung bei einer nicht börsennotierten Aktiengesellschaft

Die aufgrund einer gerichtlichen Ermächtigung der Minderheitsaktionäre auf die Tagesordnung zu setzenden Gegenstände müssen bei einer nicht börsennotierten Aktiengesellschaft so rechtzeitig bekanntgemacht werden, dass die Aktionäre ausreichend Zeit haben, sich mit der ergänzten Tagesordnung zu befassen, darüber zu befinden, ob sie an der Hauptversammlung teilnehmen wollen, und die Teilnahmevoraussetzungen zu erfüllen.

BGH v. 14.7.2020 - II ZR 255/18
Der Sachverhalt:
Die Beklagte ist eine nicht börsennotierte Aktiengesellschaft. Die Klägerinnen sind Aktionäre der Beklagten. Die Klägerin zu 2) hält als größte Aktionärin 16.999 Aktien. Die Nebenintervenienten zu 1) und 2) sind ebenfalls Aktionäre, wobei der Nebenintervenient zu 2) mit 11.946 Aktien zweitgrößter Aktionär ist. Der Nebenintervenient zu 3) ist Mitglied des Aufsichtsrats der Beklagten.

Am 7.6.2016 ging der Beklagten ein Einberufungsverlangen der Klägerin zu 2) zu, wonach ein Beschluss über die Neuwahl von Aufsichtsratsmitgliedern gefasst werden sollte. Der Vorstand der Beklagten lud zur Hauptversammlung auf den 29.7.2016 ein. Die Einladung wurde im Bundesanzeiger am 23.6.2016 veröffentlicht. Mit Schreiben vom 30.6.2016 an den Vorstand der Beklagten verlangte der Nebenintervenient zu 2) die Ergänzung der Tagesordnung um die Beschlussfassung über Sonderprüfungen. Tagesordnungspunkt 2 betraf die Geschäftsführung des Vorstands hinsichtlich fünf näher bezeichneter Vorgänge und Tagesordnungspunkt 3 betraf die Verflechtung der Klägerin zu 2) mit der Beklagten.

Der Nebenintervenient zu 2) beantragte am 13.7.2016 beim AG die Ermächtigung zur Veröffentlichung der ergänzten Tagesordnung im Bundesanzeiger. Mit Beschluss vom 21.7.2016 wurde infolgedessen der Nebenintervenient zu 2) ermächtigt, die Tagesordnung der außerordentlichen Hauptversammlung am 29.7.2016 um die Tagesordnungspunkte 2) und 3) zu ergänzen und bekannt zu machen. Am 21.7.2016 wurde der entsprechende Auftrag an den Bundesanzeiger übermittelt, in dem am 25.7.2016 die Ergänzung der Tagesordnung veröffentlicht wurde.

Die Beschlüsse zu den Tagesordnungspunkten 2 und 3 wurden in der Hauptversammlung vom 29.7.2016 mit 3.959 Ja-Stimmen und 30 Nein-Stimmen gefasst. Das LG hat die hiergegen gerichteten Anfechtungsklagen abgewiesen. Das OLG hat die Entscheidung bestätigt. Auf die Revision der Klägerinnen hat der BGH die Entscheidung des OLG aufgehoben und der Berufung stattgegeben.

Gründe:
Die von der Hauptversammlung der Beklagten am 29.7.2016 zu Tagesordnungspunkt 2 und zu Tagesordnungspunkt 3 gefassten Beschlüsse beruhen auf einer verspäteten und damit nicht ordnungsgemäßen Bekanntmachung der Tagesordnung, weshalb sie für nichtig zu erklären sind.

Die aufgrund einer gerichtlichen Ermächtigung der Minderheitsaktionäre auf die Tagesordnung zu setzenden Gegenstände müssen bei einer nicht börsennotierten Aktiengesellschaft so rechtzeitig bekanntgemacht werden, dass die Aktionäre ausreichend Zeit haben, sich mit der ergänzten Tagesordnung zu befassen, darüber zu befinden, ob sie an der Hauptversammlung teilnehmen wollen, und die Teilnahmevoraussetzungen zu erfüllen. Die Bekanntmachung durch den Nebenintervenienten zu 2 am letzten Tag, an dem eine Anmeldung zur Hauptversammlung der Beklagten möglich war, war verspätet und verletzte daher das Recht der Aktionäre auf sachgerechte Information. Die Tagesordnung ergänzende Gegenstände sind durch hierzu gerichtlich ermächtigte Minderheitsaktionäre in angemessener Frist vor der Hauptversammlung oder, sofern die Satzung eine Anmelde- und/oder Nachweisfrist bestimmt, vor dem letzten Anmelde- und/oder Nachweistag bekanntzumachen.

Zutreffend hat es das Berufungsgericht abgelehnt, den in § 123 Abs. 4 Satz 2 AktG geregelten Nachweisstichtag bei einer nicht börsennotierten Aktiengesellschaft als Grenze für die Bekanntmachung nach gerichtlicher Ermächtigung festzulegen. Art. 6 Abs. 4 der Richtlinie 2007/36/EG über die Ausübung bestimmter Rechte von Aktionären in börsennotierten Gesellschaften (Abl. L 184 S. 17; im Folgenden: Aktionärsrechterichtlinie) bestimmt, dass die Bekanntmachung "vor dem geltenden Nachweisstichtag i.S.d. Art. 7 Absatz 2 erfolgt". Um dieser Vorgabe der Aktionärsrechterichtlinie zu genügen, muss bei börsennotierten Inhaberaktien, für die § 123 Abs. 4 Satz 2 AktG den Nachweisstichtag auf den Beginn des 21. Tages vor der Hauptversammlung legt, die geänderte Tagesordnung spätestens am 22. Tag vor der Hauptversammlung bekannt gemacht werden.

Das deutsche Recht trägt dem durch § 122 Abs. 2 Satz 3 AktG Rechnung, wonach Anträge auf Ergänzung der Tagesordnung bei börsennotierten Gesellschaften mindestens 30 Tage vor der Hauptversammlung zugehen müssen. So bleibt auch bei Inhaberaktien ein Zeit-rahmen, der die Einhaltung der Vorgaben der Aktionärsrechterichtlinie erlaubt. Bei nicht börsennotierten Aktiengesellschaften taugt der Nachweisstichtag als zeitliche Grenze der Bekanntmachung durch den Vorstand nach einem Minderheitenverlangen nicht, da das Ergänzungsverlangen nach § 122 Abs. 2 Satz 3 AktG erst 24 Tage vor der Hauptversammlung eingehen muss und eine Veröffentlichung der ergänzten Tagesordnung nach sachgerechter Prüfung durch den Vorstand vor dem Nachweisstichtag nicht möglich ist. Diese Erwägung gilt erst recht für die Bekanntmachung aufgrund einer gerichtlichen Ermächtigung, die zeitlich später erteilt wird.

Die Beschlüsse der Hauptversammlung der Beklagten vom 29.7.2016 zu den Tagesordnungspunkten 2 und 3 sind somit wegen der verspäteten Bekanntmachung für nichtig zu erklären. Die nicht ordnungsgemäße Bekanntmachung der Tagesordnung führt als Gesetzesverstoß regelmäßig auf eine Anfechtungsklage hin zur Nichtigerklärung der die entsprechenden Tagesordnungspunkte betreffenden Beschlüsse. Nach der Rechtsprechung des Senats ist für die Nichtigerklärung bei einem Gesetzes- oder Satzungsverstoß nach § 243 Abs. 1 AktG die Relevanz des Verfahrensverstoßes für das Mitgliedschafts- bzw. Mitwirkungsrecht eines objektiv urteilenden Aktionärs maßgebend, im Sinne eines dem Beschluss anhaftenden Legitimationsdefizits, das bei einer wertenden, am Schutzzweck der verletzten Norm orientierten Betrachtung die Rechtsfolge der Anfechtbarkeit gem. § 243 Abs. 1 AktG rechtfertigt. Die Anfechtbarkeit ist danach nur dann ausgeschlossen, wenn dem Verfahrensverstoß die für eine sachgerechte Meinungsbildung eines objektiv urteilenden Aktionärs erforderliche Relevanz fehlt. Die Relevanz ist bei Bekanntmachungsmängeln i.S.v. § 124 Abs. 4 Satz 1 AktG regelmäßig zu bejahen.:
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