07.09.2020

Verbotene Beschränkung der Niederlassungsfreiheit

Die italienische Vorschrift, durch die Vivendi daran gehindert ist, 28 % des Kapitals von Mediaset zu erwerben, verstößt gegen das Unionsrecht. Diese Vorschrift stellt eine verbotene Beschränkung der Niederlassungsfreiheit dar, da sie nicht zur Erreichung des Ziels, den Informationspluralismus zu schützen, geeignet ist.

EuGH v. 3.9.2020 - C-719/18
Der Sachverhalt:
2016 begann die französische Gesellschaft Vivendi SA, die an der Spitze eines im Bereich der Medien sowie der Schaffung und Verbreitung audiovisueller Inhalte tätigen Konzerns steht, eine Kampagne zum feindlichen Erwerb von Aktien der Mediaset Italia SpA, einer italienischen Gesellschaft im gleichen Bereich, die von der Fininvest-Gruppe (Der Mehrheitsaktionär der Fininvest SpA, Muttergesellschaft der Fininvest-Gruppe, ist Silvio Berlusconi) beherrscht wurde. Vivendi gelang es, 28,8 % des Gesellschaftskapitals und damit 29,94 % der Stimmrechte von Mediaset zu erwerben.

Mediaset legte bei der Autorità per le Garanzie nelle Comunicazioni (AGCOM) (Aufsichtsbehörde für das Kommunikationswesen, Italien) eine Beschwerde gegen Vivendi ein und warf ihr vor, gegen die italienische Vorschrift verstoßen zu haben, die es zum Schutz des Informationspluralismus jedem Unternehmen, dessen - auch über abhängige oder verbundene Gesellschaften erzielte - Einnahmen im Bereich der elektronischen Kommunikation höher als 40 % der gesamten in diesem Bereich erzielten Einnahmen sind, verbietet, im integrierten Kommunikationssystem (IKS) Einnahmen zu erzielen, die höher als 10 % der in diesem System erzielten Einnahmen sind. Dies war bei Vivendi der Fall, die aufgrund ihrer Kontrolle über die Telecom Italia SpA (TIM) im italienischen Sektor der elektronischen Kommunikation bereits eine bedeutende Stellung innehatte.

Mit einem Bescheid von 2017 stellte die AGCOM fest, dass Vivendi durch den Erwerb der Beteiligungen an Mediaset gegen diese italienische Vorschrift verstoßen habe, und gab ihr auf, diesen Verstoß zu beenden. Vivendi kam der Anordnung der AGCOM nach, indem sie 19,19 % der Mediaset-Aktien auf eine dritte Gesellschaft übertrug, erhob aber zugleich beim zuständigen Verwaltungsgericht in Italien Klage auf Aufhebung des Beschlusses der AGCOM. Das Gericht möchte in diesem Kontext vom EuGH wissen, ob die in Art. 49 AEUV verankerte Niederlassungsfreiheit einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, die bewirkt, dass eine Gesellschaft eines anderen Mitgliedstaats, deren - auch über abhängige oder verbundene Gesellschaften - auf nationaler Ebene erzielte Einnahmen im Sektor der elektronischen Kommunikation mehr als 40 % der gesamten in diesem Sektor erzielten Einnahmen betragen, daran gehindert ist, im IKS Einnahmen zu erzielen, die mehr als 10 % der in diesem System erzielten Einnahmen betragen.

Der EuGH bejaht diese Frage im vorliegenden Urteil.

Die Gründe:
Art. 49 AEUV steht jeder nationalen Maßnahme entgegen, die geeignet ist, die Ausübung der vom AEUV garantierten Niederlassungsfreiheit durch die Unionsangehörigen zu behindern oder weniger attraktiv zu machen. Dies ist bei der italienischen Regelung der Fall, die es Vivendi verbietet, die Beteiligungen, die sie an Mediaset erworben hatte oder an Telecom Italia hielt, zu behalten, und sie damit verpflichtet, die Beteiligungen an einem der beiden Unternehmen insoweit zu beenden, als die vorgesehenen Schwellenwerte überschritten wurden. Eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit kann zwar grundsätzlich mit einem zwingenden Grund des Allgemeininteresses wie dem Schutz des Pluralismus der Information und der Medien gerechtfertigt werden, dies aber bei der in Rede stehenden Vorschrift nicht der Fall ist, da sie nicht geeignet ist, dieses Ziel zu erreichen.

Das Unionsrecht unterscheidet bei den elektronischen Kommunikationsdiensten klar zwischen der Produktion von Inhalten und deren Übertragung und Übermittlung. So üben Unternehmen, die im Sektor der elektronischen Kommunikation tätig sind und eine Kontrolle über die Übertragung und Übermittlung von Inhalten ausüben, nicht zwangsläufig eine Kontrolle über die Produktion dieser Inhalte aus. Die fragliche Vorschrift verweist jedoch nicht auf die Verbindungen zwischen der Produktion und der Übertragung von Inhalten und ist auch nicht derart formuliert, dass sie speziell im Zusammenhang mit diesen Verbindungen Anwendung findet. Die betreffende Vorschrift definiert den Sektor der elektronischen Kommunikation zu eng, da sie u.a. Märkte ausschließt, die eine wachsende Bedeutung für die Übertragung von Informationen haben, nämlich Mobilfunkleistungen an Endkunden oder andere, mit dem Internet zusammenhängende Dienstleistungen der elektronischen Kommunikation und Satellitenrundfunkdienste. Da diese jedoch zum Hauptzugangsweg zu den Medien geworden sind, ist es nicht gerechtfertigt, sie von dieser Definition auszunehmen.

Die Gleichsetzung der Situation einer "abhängigen Gesellschaft" mit der einer "verbundenen Gesellschaft" scheint bei der Berechnung der von einem Unternehmen im Sektor der elektronischen Kommunikation oder im IKS erzielten Einnahmen nicht mit dem Ziel vereinbar zu sein, das mit der in Rede stehenden Vorschrift verfolgt wird. Die italienische Vorschrift legt Schwellen fest, die zu dem für den Pluralismus der Medien bestehenden Risiko in keinem Zusammenhang stehen, da sich anhand dieser Schwellen nicht ermitteln lässt, ob und in welchem Umfang ein Unternehmen tatsächlich in der Lage ist, auf den Inhalt der Medien Einfluss zu nehmen.
EuGH PM Nr. 99 vom 3.9.2020
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