16.06.2015

Ankauf von riskanten Staatsanleihen ist mit dem Unionsrecht vereinbar

Das von der EZB im September 2012 angekündigte OMT-Programm ist mit dem Unionsrecht vereinbar. Das Programm für den Ankauf von Staatsanleihen an den Sekundärmärkten überschreitet nicht die währungspolitischen Befugnisse der EZB und verstößt nicht gegen das Verbot der monetären Finanzierung von Mitgliedstaaten.

EuGH 16.6.2015, C-62/14
Der Sachverhalt:
Die Europäische Zentralbank (EZB) hatte im September 2012 mit einer Pressemitteilung Beschlüsse über ein Programm bekannt gegeben, mit dem das Europäische System der Zentralbanken (ESZB) dazu ermächtigt wird, Staatsanleihen von Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets an den Sekundärmärkten zu erwerben, sofern bestimmte Voraussetzungen gegeben sind. Dieses gewöhnlich als "OMT-Programm" bezeichnete Programm soll Störungen des geldpolitischen Transmissionsmechanismus beheben, die durch die besondere Situation der Staatsanleihen bestimmter Mitgliedstaaten hervorgerufen werden, und die Einheitlichkeit der Geldpolitik sicherstellen.

Die EZB hatte nämlich zuvor festgestellt, dass die Zinssätze der Staatsanleihen verschiedener Staaten des Euro-Währungsgebiets eine hohe Volatilität und extreme Unterschiede aufwiesen. Demnach beruhte dies nicht nur auf makroökonomischen Unterschieden zwischen den Staaten, sondern hatten ihre Ursache teilweise darin, dass für die Anleihen bestimmter Mitgliedstaaten überhöhte Risikoaufschläge verlangt worden seien, mit denen der Gefahr eines Auseinanderbrechens des Euro-Währungsgebiets habe begegnet werden sollen.

Diese besondere Lage bewirkte nach den Feststellungen der EZB eine erhebliche Schwächung des geldpolitischen Transmissionsmechanismus des ESZB sowie eine Fragmentierung bei den Refinanzierungsbedingungen der Banken und der Darlehenskosten, wodurch die Wirksamkeit der vom ESZB an die Wirtschaft ausgesendeten Impulse in einem erheblichen Teil des Euro-Währungsgebiets stark verringert worden sei. Die EZB behauptet, dass allein die Ankündigung dieses Programms genügt habe, um die angestrebte Wirkung, d.h. die Wiederherstellung des geldpolitischen Transmissionsmechanismus und der Einheitlichkeit der Geldpolitik, zu erzielen. Auch mehr als zwei Jahre nach seiner Ankündigung ist das OMT-Programm bisher nicht durchgeführt worden.

Das BVerfG in Deutschland musste sich mit mehreren Verfassungsbeschwerden und einem Organstreitverfahren wegen der Mitwirkung der Deutschen Bundesbank an der Umsetzung des OMT-Programms und der behaupteten Untätigkeit der Bundesregierung und des Deutschen Bundestags im Hinblick darauf befassen. Die Beschwerdeführer und Antragsteller waren der Ansicht, dass das OMT-Programm nicht unter das Mandat der EZB falle und gegen das Verbot der monetären Finanzierung von Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets verstoße. Ferner würde durch diese Beschlüsse das im Grundgesetz niedergelegte Demokratieprinzip verletzt und dadurch die deutsche Verfassungsidentität beeinträchtigt werden.

Das BVerfG hat daraufhin die Sache dem EuGH vorgelegt. Dieser sollte entscheiden, ob die Unionsverträge das ESZB zu dem Erlass eines Programms wie des OMT-Programms ermächtigen. Es hat insbesondere die Fragen aufgeworfen, ob dieses Programm unter die in den Unionsverträgen vorgesehenen Befugnisse des ESZB fällt und ob es mit dem Verbot der monetären Finanzierung von Mitgliedstaaten vereinbar ist. Der EuGH hat dies bestätigt.

Die Gründe:
Die Unionsverträge ermächtigen das ESZB dazu, ein Programm wie das OMT-Programm zu beschließen.

Das ESZB ist für die Festlegung und Ausführung der Währungspolitik zuständig. Das OMT-Programm gehört in Anbetracht seiner Ziele und der zu ihrer Erreichung vorgesehenen Mittel zum Bereich der Währungspolitik und fällt damit unter die Befugnisse des ESZB. Zum einen trägt das OMT-Programm, da es die Einheitlichkeit der Geldpolitik gewährleisten soll, zur Erreichung der Ziele dieser Politik bei, da diese nach den Unionsverträgen "einheitlich" sein muss. Zum anderen vermag das OMT-Programm, da es eine ordnungsgemäße Transmission der Geldpolitik sicherstellen soll, zugleich die Einheitlichkeit dieser Politik zu gewährleisten und zu deren vorrangigem Ziel beizutragen, das in der Gewährleistung der Preisstabilität besteht.

Die Fähigkeit des ESZB, durch seine geldpolitischen Entscheidungen die Preisentwicklung zu beeinflussen, hängt in weitem Umfang von der Übertragung der Impulse ab, die es auf dem Geldmarkt an die verschiedenen Wirtschaftssektoren aussendet. Eine Störung des geldpolitischen Transmissionsmechanismus ist daher geeignet, die Entscheidungen des ESZB in einem Teil des Euro-Währungsgebiets ins Leere gehen zu lassen und damit die Einheitlichkeit der Geldpolitik zu beeinträchtigen. Zudem wird, da eine Störung des Transmissionsmechanismus die Wirksamkeit der vom ESZB beschlossenen Maßnahmen beeinträchtigt, dadurch zwangsläufig dessen Fähigkeit beeinträchtigt, die Preisstabilität zu gewährleisten. Der Umstand, dass das OMT-Programm möglicherweise geeignet ist, auch zur Stabilität des Euro-Währungsgebiets beizutragen, kann diese Beurteilung nicht in Frage stellen.

Das OMT-Programm verstößt auch nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Erstens konnte das ESZB unter wirtschaftlichen Bedingungen rechtmäßig zu der Beurteilung gelangen, dass das OMT-Programm geeignet ist, zu den vom ESZB verfolgten Zielen und damit zur Gewährleistung der Preisstabilität beizutragen. Zweitens geht das OMT-Programm angesichts der Voraussetzungen, die für seine etwaige Durchführung festgelegt wurden, nicht offensichtlich über das hinaus, was zur Erreichung der mit ihm verfolgten Ziele erforderlich ist. Zu diesen Voraussetzungen zählen insbesondere seine strikte Bindung an diese Ziele und seine Beschränkung auf bestimmte Arten von Staatsanleihen, die von Mitgliedstaaten ausgegeben wurden, welche auf der Grundlage von Kriterien, die an die verfolgten Ziele geknüpft sind, identifiziert werden.

Letztlich untersagt das Verbot der monetären Finanzierung von Mitgliedstaaten dem ESZB nicht, ein Programm wie das OMT-Programm unter Voraussetzungen zu beschließen und durchzuführen, unter denen dem Tätigwerden des ESZB nicht die gleiche Wirkung zukommt wie dem unmittelbaren Erwerb von Staatsanleihen von den öffentlich-rechtlichen Körperschaften und Einrichtungen der Mitgliedstaaten. Durch die Merkmale des OMT-Programms wird ausgeschlossen, dass das Programm als geeignet angesehen werden könnte, den Mitgliedstaaten den Anreiz zur Verfolgung einer gesunden Haushaltspolitik zu nehmen und damit das Ziel zu umgehen, das dem Verbot der monetären Finanzierung von Mitgliedstaaten zugrunde liegt.

Linkhinweis:

Für den auf den Webseiten des EuGH veröffentlichten Volltext der Entscheidung klicken Sie bitte hier

EuGH PM v. 16.6.2015
Zurück