29.05.2012

Bei der Prüfung der für eine diätetische Behandlung ausreichenden Ernährung sind Nahrungsergänzungsmittel zu berücksichtigen

Bei der Prüfung der Frage, ob für die diätetische Behandlung der Patienten eine Modifizierung der normalen Ernährung oder andere Lebensmittel für eine besondere Ernährung oder eine Kombination aus beidem ausreichen, sind auch die auf dem Markt erhältlichen Nahrungsergänzungsmittel zu berücksichtigen. Die Vorschriften in § 1 Abs. 4a S. 1 und 2 DiätV über die Abgrenzung der Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke von anderen Stoffen stellen Marktverhaltensregelungen i.S.v. § 4 Nr. 11 UWG dar, deren Verletzung auch geeignet ist, die Interessen der Verbraucher zu beeinträchtigen.

BGH 30.11.2011, I ZR 8/11
Der Sachverhalt:
Die Klägerin ist pharmazeutische Unternehmerin und vertreibt das Arzneimittel "D" mit dem Wirkstoff Glucosaminsulfat zur Linderung von Symptomen leichter bis mittelschwerer Arthrose des Kniegelenks mit einer empfohlenen Tagesdosis von 1.500 mg. Sie wendet sich dagegen, dass die Beklagte ihr Produkt "Glucosamin Naturell forte" mit einer empfohlenen Tagesdosis von 1.000 mg Glucosaminsulfat als ergänzende bilanzierte Diät zur diätetischen Behandlung von ungenügender Knorpelbildung in den Gelenken vertreibt.

Die Klägerin hält das Mittel der Beklagten mangels Wirksamkeitsnachweises sowie im Hinblick darauf für nicht verkehrsfähig, dass es mehrere Nahrungsergänzungsmittel mit Glucosaminsulfat und Verzehrempfehlungen gibt, die der von der Beklagten für das beanstandete Mittel gegebenen Empfehlung entsprechen. Mit ihrer Klage begehrt sie die Unterlassung des Vertriebs dieses Mittels, Auskunftserteilung sowie Feststellung der Schadensersatzpflicht der Beklagten.

LG und OLG gaben der Klage im Wesentlichen statt. Die Revision der Beklagten hatte vor dem BGH keinen Erfolg.

Die Gründe:
Das Berufungsgericht hat mit Recht angenommen, dass der von der Klägerin beanstandete Vertrieb des Mittels der Beklagten als bilanzierte Diät deshalb unzulässig ist, weil das Mittel nicht die dafür gem. § 1 Abs. 4a S. 2 DiätV bestehende Voraussetzung erfüllt, dass für die diätetische Behandlung der Patienten, deren Ernährung es dient, weder eine Modifizierung der normalen Ernährung noch andere Lebensmittel für eine besondere Ernährung noch auch eine Kombination aus beidem ausreichen.

§ 1 Abs. 4a S. 2 DiätV bezieht mögliche alternative Ernährungsformen ein, sofern die für sie benötigten Lebensmittel auf dem Markt für die normale Ernährung einschließlich der diätetischen Lebensmittel erworben werden können und die durch sie bewirkte Modifizierung der normalen Ernährung im Rahmen des üblichen Ernährungsverhaltens liegt.

Unter einer normalen Ernährung ist dabei eine Ernährung zu verstehen, die insbes. hinsichtlich der Art und der Eigenschaften der verzehrten Lebensmittel sowie des Umfangs und der Dauer des Verzehrs im Rahmen der üblichen Ernährungsgewohnheiten des betreffenden Patientenkreises liegt. Eine Modifizierung der normalen Ernährung reicht zur diätetischen Behandlung nicht aus, wenn sich mit ihr die besonderen medizinischen Zwecke nicht oder nicht sicher erreichen lassen oder die Modifizierung nicht praktikabel oder für die Patienten unzumutbar ist.

Diese Grundsätze gelten entgegen einer in der Rechtsprechung und insbes. im Schrifttum vertretenen Ansicht auch in Bezug auf Nahrungsergänzungsmittel. Es ist kein überzeugender Grund ersichtlich, der es rechtfertigte, bei der Beurteilung der Frage, ob alternative Ernährungsmöglichkeiten bestehen, Nahrungsergänzungsmittel im Gegensatz zu angereicherten und funktionellen Lebensmitteln, zu neuartigen Lebensmitteln sowie auch zu diätetischen Lebensmitteln und Kombinationen aus modifizierter normaler Ernährung mit anderen diätetischen Lebensmitteln von vornherein unberücksichtigt zu lassen.

Die Vorschriften in § 1 Abs. 4a S. 1 und 2 DiätV über die Abgrenzung der Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke von anderen Stoffen dienen der Herstellung transparenter Verhältnisse auf dem Markt für Gesundheitsprodukte. Sie stellen daher Vertriebsbestimmungen, die dem Schutz der Gesundheit der Verbraucher zumindest mittelbar dienen, und damit Marktverhaltensregelungen i.S.v. § 4 Nr. 11 UWG dar. Ihre Verletzung ist auch geeignet, die Interessen der Verbraucher nicht unerheblich bzw. spürbar i.S.v. § 3 UWG 2004, § 3 Abs. 2 S. 1 UWG 2008 zu beeinträchtigen.

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