09.06.2020

Citalopram-Kartell: Generalanwältin plädiert für Bestätigung der Geldbuße von 94 Mio. € gegen Pharmakonzern Lundbeck

Generalanwältin Kokott schlägt dem EuGH vor, die Geldbuße von fast 94 Mio. € zu bestätigen, die gegen den Pharmakonzern Lundbeck im Rahmen des Kartells verhängt wurde, mit dem die Vermarktung von Generika seines Antidepressivums Citalopram durch andere Hersteller verzögert werden sollte (Rechtssache C-591/16 P).

EuGH, C-591/16 P: Schlussanträge des Generalanwalts vom 4.6.2020
Der Sachverhalt:
Mit Beschluss vom 19.6.2013 verhängte die Kommission eine Geldbuße i.H.v. fast 94 Mio. € gegen den dänischen Pharmakonzern Lundbeck, der ein Antidepressivum entwickelt hatte, das den Wirkstoff Citalopram enthält. Lundbeck war Inhaber von Patenten zum Schutz dieses Wirkstoffs und Inhaber von Sekundärpatenten, die bestimmte Herstellungsverfahren dieses Wirkstoffs im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) schützten. Als die Patente zum Schutz des Wirkstoffs ausliefen, leistete Lundbeck nach Ansicht der Kommission im Jahr 2002 an vier Generikahersteller Zahlungen als Gegenleistung für deren Zusage, von einem Markteintritt abzusehen.

Zum ersten Mal wendet die Kommission das europäische Kartellverbot auf Vereinbarungen zur gütlichen Beilegung von Patentrechtsstreitigkeiten an, die zwischen einem Pharmaunternehmen, das Inhaber von Patenten ist, und Generikaherstellern geschlossen werden. Nach Ansicht der Kommission sind solche Vereinbarungen nicht per se rechtswidrig. Vielmehr können sie als Mittel zur Einsparung von Ressourcen und zur Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung sogar im öffentlichen Interesse liegen. Derartige Vereinbarungen würden jedoch dann problematisch, wenn sie mit den Regeln des Wettbewerbsrechts in Konflikt gerieten. Dies sei der Fall, wenn sie in Wirklichkeit nicht auf die Lösung eines Patentstreits abzielten, sondern darauf, den Markteintritt potenzieller Wettbewerber zu verhindern oder zu verzögern. Nach Auffassung der Kommission war aber gerade dies bei den Vereinbarungen der Fall, die Lundbeck und die betroffenen Generikahersteller im vorliegenden Fall geschlossen hatten.

Das EuG wies die von Lundbeck gegen den Beschluss der Kommission gerichtete Klage ab. Lundbeck legte gegen das Urteil ein Rechtsmittel ein und beantragte, der EuGH möge dieses Urteil aufheben und den Beschluss der Kommission für nichtig erklären (Rechtssache C-591/16 P). In ihren Schlussanträgen schlägt Generalanwältin Kokott dem EuGH vor, das Rechtsmittel zurückzuweisen und das Urteil des EuG und den Beschluss der Kommission zu bestätigen.

Die Gründer:
Erstens hat das EuG nach Ansicht von Frau Kokott keinen Fehler begangen, als es die Beurteilung der Kommission bestätigt hat, wonach sich Lundbeck und die Generikahersteller zum Zeitpunkt des Abschlusses der Vereinbarungen in einem potenziellen Wettbewerbsverhältnis befanden.

Nach Ansicht der Generalanwältin hat das EuG zu Recht die Auffassung der Kommission für zutreffend erachtet, nach der die Patente für bestimmte Herstellungsverfahren von Citalopram, die Lundbeck zum Zeitpunkt des Abschlusses der Vereinbarungen noch innehatte, keine unüberwindbaren Hindernisse für den Eintritt der Generikahersteller in den Markt darstellten.

Unter Verweis auf das kürzlich vom EuGH in der Rechtssache Generics (UK) erlassene Urteil weist die Generalanwältin darauf hin, dass das Bestehen eines Verfahrenspatents es nicht ausschließt, einen Hersteller von Generika als "potenziellen Wettbewerber" des Herstellers des betreffenden Originalpräparats einzustufen. Das gilt, wenn der Generikahersteller tatsächlich fest entschlossen und eigenständig fähig ist, in den Markt einzutreten, und durch sein Vorgehen die Bereitschaft erkennen lässt, die Gültigkeit dieses Patents in Frage zu stellen und das Risiko zu tragen, bei seinem Markteintritt mit einer vom Inhaber dieses Patents erhobenen Verletzungsklage konfrontiert zu werden.

Die Generalanwältin erläutert diesbezüglich, dass die Ungewissheit über die Gültigkeit von Arzneimittelpatenten ein grundlegendes Merkmal des Arzneimittelsektors ist. Daher seien Nichtigkeitsklagen und die sogenannte "riskante" Einführung eines Generikums sowie dadurch hervorgerufene Gerichtsverfahren in der Phase vor oder unmittelbar nach dem Markteintritt eines solchen Generikums üblich. Es sei aber nicht Sache der Kommission, mithilfe der Beurteilung der Stärke der betreffenden Patente oder der Patentrechtswidrigkeit der Generika Prognosen über den Ausgang von Streitigkeiten zwischen Patentinhabern und Generikaherstellern abzugeben, um die Wettbewerbsverhältnisse zwischen diesen Unternehmen für die Zwecke der Anwendung des Wettbewerbsrechts zu beurteilen. Die Beurteilung der Kommission müsse sich vielmehr auf die Frage konzentrieren, ob die Generikahersteller trotz des Bestehens der Patente tatsächlich über konkrete Möglichkeiten verfügt hätten, den Markt zum maßgeblichen Zeitpunkt zu erschließen.

Daraus folge im vorliegenden Fall, dass kein Grund bestehe, von der Kommission den Nachweis zu verlangen, dass die Generikahersteller in den Markt hätten eintreten können, ohne etwaige Patentrechte von Lundbeck zu verletzen.

Nach Ansicht von Generalanwältin Kokott hat das EuG auch zutreffend entschieden, dass der Umstand, dass ein Generikahersteller in einem bestimmten Mitgliedstaat noch nicht über eine Zulassung für sein Erzeugnis verfügt, einen potenziellen Wettbewerb nicht verhindert.

Würde man nämlich das Bestehen eines potenziellen Wettbewerbsverhältnisses zwischen dem Inhaber eines Arzneimittelpatents und dem Hersteller eines Generikums dieses Arzneimittels (dessen feste Entschlossenheit und eigenständige Fähigkeit zum Markteintritt zudem erwiesen sind) allein deshalb nicht anerkennen, weil dieser Hersteller noch nicht über eine solche Zulassung verfügt, liefe das darauf hinaus, jeglichen potenziellen Wettbewerb und damit jede Anwendung des Wettbewerbsrechts im Zeitraum der Vorbereitung des Markteintritts von Generika, zu der gerade die Schritte zur Erlangung einer solchen Zulassung gehören, auszuschließen.

Ein solcher Ansatz liefe der praktischen Wirksamkeit des europäischen Kartellverbots völlig zuwider. Danach wäre es nämlich zulässig, die Vorbereitungen künftiger Marktteilnehmer mittels Ausschlussvereinbarungen anzuhalten oder zu verzögern, so dass ein Markteintritt dieser Unternehmen und damit ein tatsächlicher Wettbewerb ausgeschlossen oder verzögert würden.

Zweitens hat das EuG nach Ansicht von Frau Kokott rechtsfehlerfrei entschieden, dass die streitigen Vereinbarungen bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen darstellen. Dies gelte insbesondere für die Feststellung des Gerichts, dass diese Vereinbarungen über den spezifischen Gegenstand der Rechte des geistigen Eigentums von Lundbeck hinausgingen.

Drittens weist Generalanwältin Kokott das Vorbringen von Lundbeck zurück, das EuG habe Rechtsfehler begangen, als es die von der Kommission verhängten Geldbußen sowohl im Grundsatz als auch hinsichtlich ihrer Berechnungsweise bestätigt habe.
EuGH PM Nr. 66 vom 4.6.2020
Zurück