13.10.2011

Drittelparitätische Mitbestimmung in Alt-AG mit weniger als 500 Mitarbeitern ist verfassungsgemäß

§ 1 Abs. 1 Nr. 1 S. 2 DrittelbG, der für Arbeitnehmer ein Mitbestimmungsrecht im Aufsichtsrat auch bei AG mit regelmäßig weniger als 500 Arbeitnehmern vorsieht, wenn diese vor dem 10.8.1994 eingetragen wurden und keine Familiengesellschaften sind, ist verfassungsgemäß. Die Norm hält sich im Rahmen des dem Gesetzgeber zustehenden Ermessensspielraums und ist sachlich gerechtfertigt.

OLG Düsseldorf 27.7.2011, I-26 W 7/10 (AktE)
Der Sachverhalt:
Die Antragsgegnerin ist eine mittelständische AG und Konzernmutter von vier inländischen und zwei ausländischen Tochtergesellschaften. Diese Tochtergesellschaften sind weder eingegliedert noch durch einen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag mit der Antragsgegnerin gebunden. Der Aufsichtsrat der Antragsgegnerin besteht aus sechs Personen, von denen vier von der Anteilseigner- und zwei von der Arbeitnehmerseite entsandt werden.

Im gesamten Konzern sind ca. 550 Mitarbeiter beschäftigt, 305 davon im Ausland. Somit wird nicht die Zahl von 500 Arbeitnehmern i.S.d. § 1 Abs. 1 Ziff. 1 S. 1 DrittelbG erreicht. Die Antragsgegnerin ist kein Familienunternehmen nach dieser Vorschrift. Sie verfügt gleichwohl über einen drittelparitätisch besetzten Aufsichtsrat. Im Zeitpunkt ihrer Eintragung war nach dem damals geltenden § 76 BetrVG 1952 grundsätzlich ein drittelparitätisch besetzter Aufsichtsrat zu bilden, ausnahmsweise konnte bei Familienunternehmen mit weniger als 500 Arbeitnehmern darauf verzichtet werden. Die Regelung wurde 1994 geändert und später in das DrittelbG übernommen. Die Änderung bewirkte, dass für sog. Alt-AG die frühere Regelung weiter gilt. Diese AG unterliegen auch dann der drittelparitätischen Mitbestimmung, wenn sie weniger als 500 Arbeitnehmer beschäftigen.

Bei den Antragstellern handelt es sich um einen Aktionär der Antragsgegnerin und einem Mitglied des Aufsichtsrates. Beide waren der Ansicht, dass § 1 Abs. 1 Nr. 1 S. 2 DrittelbG verfassungswidrig und daher nicht anwendbar sei, mithin die Antragsgegnerin nicht der drittelparitätischen Mitbestimmung unterliege.

Das LG hat den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz abgewiesen. Die sofortige Beschwerde der Antragsteller blieb vor dem OLG erfolglos.

Die Gründe:
§ 1 Abs. 1 Nr. 1 S. 2 DrittelbG ist verfassungsgemäß. Infolgedessen bestand keine Veranlassung, das Verfahren auszusetzen und dem BVerfG zur Entscheidung vorzulegen.

Die Norm hält sich im Rahmen des dem Gesetzgeber zustehenden Ermessensspielraums und ist sachlich gerechtfertigt. Das BVerfG hat in der Montanmitbestimmungsentscheidung vom 2.3.1999 ("Mannesmann") festgestellt, dass unterschiedliche Regelungen für Neu- und Alt-Fälle auch vor dem Hintergrund des Art. 3 Abs. 1 GG gerechtfertigt sein können. Danach ist der Zweck, schon früher montanmitbestimmte Unternehmen in der bewährten Mitbestimmungsform zu halten, verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Es liegen sachliche Gründe vor, die eine Ungleichbehandlung zwischen Alt- und Neu-AG rechtfertigen. So sollte durch die Änderung der Mitbestimmungsregeln die Attraktivität kleiner, neu zu gründender AG erhöht werden. Dies ist ein gut vertretbarer sachlicher Grund.

Dass sich die Änderung nur auf neu zu gründende AG auswirken sollte, ist vor dem Hintergrund der Bestandschutzinteressen der Alt-AG und deren Arbeitnehmern angemessen. So ist es naheliegend, dass es durch eine Änderung der Mitbestimmungsregeln bei einer bereits bestehenden Aktiengesellschaft zu erheblicher Unruhe in dem Unternehmen kommen und der Betriebsfrieden nachhaltig gestört werden könnte. Insofern ist der Vertrauens- und Bestandsschutz ein wichtiger Grund, der eine Ungleichbehandlung rechtfertigen kann. Eine auf einen bestimmten Zeitpunkt abstellende und differenzierende Regelung ist dem deutschen Rechtssystem zudem nicht fremd.

Demgegenüber sind die Belange der Anteilseigner und Aktionäre deutlich weniger ausgeprägt. So fehlt es etwa - anders als im Arbeits- oder Kündigungsschutzrecht  an dem besonderen personalen Bezug. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass im Anwendungsbereich des DrittelbG nicht die paritätische Mitbestimmung - wie es Gegenstand der BVerfG-Entscheidung war - sondern lediglich eine drittelparitätische Arbeitnehmerbeteiligung im Raum steht. Anteilseigner können aufgrund der anders gelagerten Mehrheitsverhältnisse ihre Interessen spürbar einfacher durchsetzen.

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