07.11.2014

Fortdauerndes Gewerbemietverhältnis: Keine Tilgungsbestimmung des Insolvenzverwalters hinsichtlich der Reihenfolge der zu tilgenden Mietforderungen

Dauert ein Gewerbemietverhältnis mit dem Schuldner als Mieter nach Insolvenzeröffnung fort, ist der Insolvenzverwalter nicht berechtigt, den Erlös aus der Verwertung dem Vermieterpfandrecht unterliegender Gegenstände mit der Tilgungsbestimmung an den Vermieter auszukehren, die Zahlung vorrangig auf die nach Verfahrenseröffnung als Masseverbindlichkeiten begründeten Mietforderungen und erst sodann auf die vor Verfahrenseröffnung als Insolvenzforderungen entstandenen Mietforderungen anzurechnen.

BGH 9.10.2014, IX ZR 69/14
Der Sachverhalt:
Der Beklagte ist Verwalter in dem am 2.12.2011 über das Vermögen der X-GmbH (nachfolgend: Schuldnerin) eröffneten Insolvenzverfahren. Die Klägerin vermietete durch Vertrag von November 2003 Gewerbeflächen zu einer mtl. Miete von rd. 61.600 € zzgl. Nebenkosten an die Schuldnerin. Die Mietrückstände der Schuldnerin beliefen sich im Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung auf rd. 790.000 €. Danach nutzte die Schuldnerin die Mietsache bis einschließlich April 2012 weiter. Für diesen Zeitraum sind Mieten und Nebenkosten i.H.v. rd. 560.000 € angefallen, auf welche der Beklagte Zahlung i.H.v. rd. 166.000 € leistete.

Aus der Verwertung des dem Vermieterpfandrecht der Klägerin unterliegenden Anlage- und Umlaufvermögens der Schuldnerin kehrte der Beklagte einen Betrag von rd. 900.000 € an die Klägerin mit der Bestimmung aus, dass die Zahlung vorrangig auf die noch offenen Masseverbindlichkeiten von rd. 394.000 € und sodann auf die Insolvenzforderungen von rd. 794.000 € anzurechnen sei. Die Klägerin, die diese Tilgungsbestimmung für unwirksam erachtet und die erhaltenen Zahlungen zuvörderst den vor Verfahrenseröffnung begründeten Mietrückständen gutbringt, verlangt mit der Klage Zahlung der im Zeitraum nach Verfahrenseröffnung angefallenen Miete i.H.v. insgesamt noch offenen rd. 290.000 €.

Das LG wies die Klage ab; das OLG gab ihr statt. Die Revision des Beklagten hatte vor dem BGH keinen Erfolg.

Die Gründe:
Die Klageforderung i.H.v. rd. 290.000 €, die nach Verfahrenseröffnung entstandene Mietforderungen zum Gegenstand hat, ist nicht durch die vornehmlich auf die offenen Insolvenzforderungen anzurechnende Zahlung des Beklagten über rd. 900.000 € erfüllt worden (§ 362 Abs. 1 BGB).

Das Mietverhältnis zwischen der Klägerin als Vermieterin und der Schuldnerin als Mieterin dauerte über die Verfahrenseröffnung hinaus vereinbarungsgemäß bis zum 30.4.2012 an. Darum schuldet der Beklagte als Masseverbindlichkeit Zahlung der ausbedungenen Miete bis Vertragsende. Miet- und Pachtverhältnisse des Schuldners über unbewegliche Gegenstände oder Räume bestehen gem. § 108 Abs. 1 S. 1 InsO mit Wirkung für die Insolvenzmasse fort. Das Mietverhältnis wird folglich nicht durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens beendet. § 108 Abs. 1 InsO verdrängt insoweit § 103 Abs. 1 InsO. Ansprüche aus einem gem. § 108 Abs. 1 S. 1. InsO nach Insolvenzeröffnung fortbestehenden Mietverhältnis sind Masseverbindlichkeiten, wenn ihre Erfüllung für die Zeit nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgen muss. Da das Mietverhältnis fortwirkt, kann die Klägerin von dem Beklagten die Begleichung der nach Verfahrenseröffnung entstandenen Mietforderungen beanspruchen.

Diese Verbindlichkeiten über noch offene 290.000 € sind nicht durch die Zahlungen von insgesamt 900.000 € erfüllt worden (§ 362 Abs. 1 BGB). Der Beklagte kann sich nicht darauf berufen, im Wege einer Tilgungsbestimmung (§ 366 Abs. 1 BGB) die nach Verfahrenseröffnung begründeten, mit der Klage verfolgten Mietforderungen berichtigt zu haben. Dem Schuldner steht das Tilgungsbestimmungsrecht des § 366 Abs. 1 BGB nicht zu, wenn der Gläubiger entweder im Wege der Zwangsvollstreckung oder durch Verwertung einer von dem Schuldner gestellten Sicherung befriedigt wird. Vorliegend ist die von dem Beklagten getroffene Leistungsbestimmung unbeachtlich, weil die Befriedigung einmal im Rahmen eines der Einzelzwangsvollstreckung insoweit gleichstehenden Insolvenzverfahrens erfolgte und zum anderen aus dem Erlös der Verwertung einer der Klägerin gewährten Sicherung herrührt.

Soweit die Rechtsausübung des Schuldners in der Einzelzwangsvollstreckung Beschränkungen unterliegt, gelten diese erst recht auch für das insolvenzrechtliche Gesamtvollstreckungsverfahren, das Ausdruck einer umfassenden Leistungsunfähigkeit des Schuldners ist. Ein Tilgungsbestimmungsrecht nach § 366 Abs. 1 BGB kommt in der Zwangsvollstreckung und dementsprechend in der Insolvenz als Gesamtvollstreckungsverfahren nicht zum Tragen, weil in einem Insolvenzverfahren ebenso wie bei einer Zwangsvollstreckung von einer freiwilligen Leistung des Schuldners, ohne dass es der Ausübung eines Vollstreckungs-drucks auf den Insolvenzverwalter bedarf, keine Rede sein kann. Schon alleine aus dieser Erwägung ging die von dem Beklagten als Insolvenzverwalter bei seiner Zahlung mit Wirkung für den Schuldner verlautbarte Tilgungsbestimmung ins Leere.

Zudem war für eine Tilgungsbestimmung des Beklagten kein Raum, weil die Klägerin aus dem Erlös der Verwertung einer ihr zustehenden Sicherung befriedigt wurde. Die Zahlungen des Beklagten über insgesamt 900.000 € sind darum gem. § 366 Abs. 2 BGB zuvörderst auf die bis zur Verfahrenseröffnung entstandenen, ebenfalls offenen älteren Mietrückstände anzurechnen. Mithin ist die Klageforderung begründet. Nach § 366 Abs. 2 BGB wird insbes. die zunächst fällige Schuld und unter mehreren fälligen Schulden diejenige, welche dem Gläubiger geringere Sicherheit bietet, getilgt. Schuldet der Mieter, wie hier, mehrere Mietraten, ist § 366 BGB entsprechend anwendbar. Danach wird die älteste Rate, die zuerst verjähren würde und daher der Klägerin geringere Sicherheit bietet, getilgt. Folglich ist die Zahlung über 900.000 € insbes. auf die älteren, vor Verfahrenseröffnung begründeten Mietforderungen und nicht die später entstandene, weiter offene Klageforderung anzurechnen.

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