08.11.2012

Griechische Regelung über Genehmigung des Erwerbs von Stimmrechten in strategischen Aktiengesellschaften verstößt gegen Niederlassungsfreiheit

Die griechische Regelung über eine vorherige Genehmigung des Erwerbs von Stimmrechten in strategischen Aktiengesellschaften und die nachträgliche Kontrolle von Gesellschaftsbeschlüssen verstößt gegen die Niederlassungsfreiheit. Diese Regelung verschafft der Verwaltung ein Ermessen, das von den Gerichten schwer zu kontrollieren ist und eine Diskriminierungsgefahr in sich trägt.

EuGH 8.11.2012, C-244/11
Der Sachverhalt:
Das griechische Recht verlangt für den Erwerb des Stimmrechts in einem Ausmaß von mehr als 20 Prozent des Gesellschaftskapitals bestimmter strategischer Aktiengesellschaften, die im Rahmen eines Monopols nationale Infrastrukturnetze betreiben, eine vorherige Genehmigung. Bei bestimmten Gesellschaftsbeschlüssen ist auch eine nachträgliche Kontrolle vorgesehen.

Die EU-Kommission vertritt die Auffassung, die griechische Regelung, die für bestimmte börsennotierte strategische Gesellschaften gilt, schränke die Niederlassungsfreiheit sowie den freien Kapitalverkehr ein. Die nachträgliche Kontrolle bewirke, dass die wirksame Beteiligung der Aktionäre an der Geschäftsführung der Unternehmen behindert werde. Die Kommission ist der Ansicht, dass die betreffenden griechischen Rechtsvorschriften an den Grundprinzipien der Verträge (AEUV, früher EGV) zu messen seien - und nicht als Teil der in den Mitgliedstaaten bestehenden Eigentumsordnung von ihnen ausgenommen sein könnten.

Gegen die von der Kommission erhobene Vertragsverletzungsklage verteidigt sich Griechenland u.a. damit, dass diese Regelung nicht für bereits privatisierte Unternehmen gelte, bei denen der Staat bestimmte Vorrechte ("golden shares") behalte, sondern für noch nicht privatisierte strategische Unternehmen, die daher dem Anwendungsbereich der Grundfreiheiten entzogen seien.

Der EuGH gab der Klage statt.

Die Gründe:
Die nationalen Behörden in Griechenland haben sowohl bei der vorherigen Genehmigung als auch bei der nachträglichen Kontrolle ein zu weites Ermessen, das von den Gerichten schwer kontrolliert werden kann. Die Einschränkungen der Niederlassungsfreiheit, die mit der griechischen Regelung über eine vorherige Genehmigung und eine nachträgliche Kontrolle untrennbar verbunden sind, sind daher mit der Niederlassungsfreiheit unvereinbar und können nicht gerechtfertigt werden.

Der Vertrag erlaubt es den Mitgliedstaaten, eine Privatisierungsregelung unter Beachtung der vom Vertrag gewährleisteten Grundfreiheiten zu schaffen. Wenn ein Staat allerdings beschließt, öffentliche Unternehmen in Aktiengesellschaften umzuwandeln, deren Anteile an der Börse gehandelt werden und auf dem Markt frei erworben werden können, so kann er sich anschließend nicht auf den Schutz des privaten Eigentums berufen, um solche Erwerbe von den Grundfreiheiten auszunehmen, indem er sie einem Genehmigungserfordernis unterwirft.

Das von Griechenland geltend gemachte Ziel, die Kontinuität der Basisdienste und das Funktionieren der Netze, die für das wirtschaftliche und soziale Leben erforderlich sind, zu gewährleisten, kann jedenfalls nur dann die Einschränkungen der Niederlassungsfreiheit rechtfertigen, wenn eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Hier entfaltet das Erfordernis einer vorherigen Genehmigung Wirkungen, ohne dass eine auch nur potenzielle Gefahr einer Beeinträchtigung der Versorgungssicherheit festgestellt worden ist. Die Einschränkung der Ausübung der Stimmrechte gilt i.Ü. nicht nur für Beschlüsse, die im Einzelfall das vom Gesetz herausgestellte Ziel gefährden können, sondern für alle Beschlüsse, bei denen eine Abstimmung der Anteilsinhaber stattfindet.

Darüber hinaus werden die Kriterien für die Erteilung der vorherigen Genehmigung nur beispielhaft - in allgemeiner und unpräziser Formulierung - aufgezählt. Es ist nicht zu erkennen, unter welchen Umstände mit einer Versagung der Genehmigung zu rechnen ist. Zudem stellen sie nicht auf tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdungen ab und stehen nicht in unmittelbarer Beziehung zu dem angestrebten Ziel. Und schließlich können Investoren im Fall einer nachträglichen Kontrolle von grundsätzlichen Entscheidungen im Leben eines Unternehmens nicht in Erfahrung bringen, wann solchen Entscheidungen widersprochen werden kann, weil die betreffenden Umstände potenziell zahlreich, unbestimmt und unbestimmbar sind.

Linkhinweis:

Für den auf den Webseiten des EuGH veröffentlichten Volltext der Entscheidung klicken Sie bitte hier.

EuGH PM Nr. 141 vom 8.11.2012
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