13.10.2014

Internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte für Schadenersatzansprüche aus Verkehrsunfall in Belgien gegen belgischen Versicherer

Deutscher Gerichte können für Schadenersatzansprüche aus Verkehrsunfällen in Belgien gegen belgische Versicherer internationale zuständig sein. In diesen Fällen können sich die Geschädigten i.S.d. Art. 11 Abs. 2 EuGVVO auf die Regelung der Zuständigkeit in Art. 9 Abs. 1 lit. b EuGVVO berufen, so dass sie in den Genuss des forum actoris kommen.

OLG Frankfurt a.M. 23.6.2014, 16 U 224/13
Der Sachverhalt:
Die Klägerin hatte gegen die Beklagte, ein in Belgien ansässiges Versicherungsunternehmen, Schadensersatzansprüche aus einem von einem Versicherungsnehmer der Beklagten in Belgien im November 2009 verursachten Verkehrsunfall geltend gemacht. Dabei hatte das Fahrzeug der Klägerin einen wirtschaftlichen Totalschaden erlitten. Der Unfallhergang und die Haftung waren zwischen den Parteien bis zuletzt streitig. Dabei ging es um die Frage, ob das LG Frankfurt a.M., in dessen Bezirk die Klägerin ihren allgemeinen Gerichtstand nach § 17 Abs. 1 ZPO hat, für die Entscheidung des Rechtsstreits zuständig, die Klage mithin zulässig ist.

Das LG hat die Klage wegen fehlender internationaler Zuständigkeit der deutschen Gerichte als unzulässig abgewiesen. Es war der Ansicht, die Klägerin könne sich nicht auf die besondere Zuständigkeitsregelung der Art. 11 Abs. 2 i.V.m. Art. 9 Abs. 1 lit. b EuGVVO berufen. Dass diese wirtschaftlich schwächer sei als die Beklagte, lasse sich nicht feststellen. Auf die Berufung der Klägerin hob das OLG das Urteil auf und wies  die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das LG zurück. Die Revision wurde nicht zugelassen.

Die Gründe:
Das LG hatte zu Unrecht angenommen, dass die deutschen Gerichte zur Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits international nicht zuständig seien, weshalb die Klage unzulässig sei. Die Klägerin kann sich als Geschädigte i.S.d. Art. 11 Abs. 2 EuGVVO durchaus auf die Regelung der Zuständigkeit in Art. 9 Abs. 1 lit. b EuGVVO berufen, so dass sie in den Genuss des forum actoris kommt.

Wie der EuGH entschieden hat, ist die Verweisung in Art. 11 Abs. 2 EuGVVO auf Art. 9 Abs. 1 lit b EuGVVO dahin auszulegen, dass der Geschädigte vor dem Gericht des Orts in einem Mitgliedsstaat, an der er seinen Wohnsitz hat, eine Klage unmittelbar gegen den Versicherer erheben kann, sofern eine solche unmittelbar Klage zulässig ist und der Versicherer im Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaats ansässig ist. Da die Möglichkeit einer Direktklage gegen den ... Haftpflichtversicherer des gegnerischen Fahrzeugs unstreitig gegeben ist, richtet sich die (internationale) Zuständigkeit des angerufenen Gerichts nach Art. 9 Abs. 1 lit. b EuGVVO i.V.m. Art. 11 Abs. 2 EuGVVO.

Zwar war der Beklagten zuzugeben, dass für die Sonderregelung der Abschnitte 3 bis 5 des Kapitels II sozialpolitische Erwägungen maßgebend sind. Der Zweck dieser Vorschriften liegt laut Erwägungsgrund 13 der Verordnung Nr. 44/2001 (= EuGVVO) darin, die wirtschaftlich schwächere und rechtlich weniger erfahrene Partei durch Zuständigkeitsvorschriften zu schützen, die für sie günstiger sind als die allgemeine Regelung. Aus diesem Schutzzweck ergab sich, dass die Abweichungen von den Zuständigkeitsregeln in Versicherungssachen eng ausgelegt werden müssen. Die in Rede stehenden besonderen Zuständigkeitsregeln dürfen nicht auf Personen erstreckt werden, die dieses Schutzes nicht bedürfen.

Infolgedessen ließ sich eine Schutzbedürftigkeit bzw. Unterlegenheit der hiesigen Klägerin nicht verneinen. Die Klägerin hatte nämlich Umstände vorgebracht, die sie im Verhältnis zur beklagten Haftpflichtversicherung als die schwächere Partei erscheinen ließen. Nur die Beklagte ist im Bereich der Versicherungswirtschaft gewerblich in Belgien tätig; Streitfälle der vorliegenden Art in dem zugrunde zu legenden belgischen Recht gehören zum Kern ihrer Geschäftstätigkeit. Feststellungen des LG dazu, dass die Klägerin, eine europaweit agierende Leasinggesellschaft, gleichermaßen über eine besondere Sachkunde im belgischen Haftpflichtversicherungs- und Straßenverkehrsrecht verfügt, fehlen. Die Geltendmachung oder Abwehr von Ansprüchen aus Verkehrsunfällen unter Beteiligung ihrer Leasingfahrzeuge stellt sich für die Klägerin lediglich als Nebentätigkeit dar. Sie hält keine eigene Rechtsabteilung vor, die mit der Bearbeitung und Abwicklung von Kfz-Schadensregulierungen nach belgischem Recht befasst ist.

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