12.09.2016

Kartell zur Verzögerung des Inverkehrbringens des Generikums eines Antidepressivums

Das Gericht der EU hat die Geldbußen von nahezu 150 Mio. €, die im Rahmen eines Kartells zur Verzögerung des Inverkehrbringens eines Generikums des Antidepressivums Citalopram gegen mehrere Unternehmen verhängt worden waren, bestätigt. Die EU-Kommission hat den Nachweis erbracht, dass die streitigen Vereinbarungen angesichts ihres Normgehalts, der Ziele, die mit ihnen erreicht werden sollten, und des wirtschaftlichen und rechtlichen Kontexts, in den sie eingebettet waren, den Wettbewerb hinreichend stark beeinträchtigen.

EuG 8.9.2016, T-460/13 u.a.
Der Sachverhalt:
Lundbeck ist ein dänisches Unternehmen, das auf die Forschung und das Inverkehrbringen neuer Arzneimittel spezialisiert ist. Seit Ende der 1970er Jahre hat Lundbeck ein Antidepressivum mit dem Wirkstoff "citalopram" entwickelt und patentieren lassen. Nach Ablauf seines Grundpatents an dem Molekül von Citalopram hielt Lundbeck nur mehr eine gewisse Anzahl von Patenten, die ihr einen eingeschränkteren Schutz gewährten. Insbesondere hatte Lundbeck ein Patent zu einem Herstellungsverfahren für Citalopram angemeldet (Patent auf die Kristallisation von Salzen). Hersteller von billigeren Generika von Citalopram konnten daher einen Markteintritt in Erwägung ziehen.

Im Jahr 2002 schloss Lundbeck mit vier in der Herstellung oder im Verkauf von Generika tätigen Unternehmen, nämlich Generics, Alpharma, Arrow und Ranbaxy sechs Vereinbarungen über Citalopram. Als Gegenleistung für die Verpflichtung der Generikaunternehmen, nicht in den Markt von Citalopram einzutreten, gewährte ihnen Lundbeck hohe Zahlungen und andere Anreize. Insbesondere zahlte Lundbeck beträchtliche Pauschalbeträge, kaufte Generikavorräte auf, bloß um sie zu vernichten, und bot im Rahmen einer Vertriebsvereinbarung Gewinnzusagen an. Diese Vereinbarungen gaben Lundbeck die Gewissheit, dass die Generikaunternehmen für die Laufzeit der Vereinbarungen dem Markt fernbleiben würden.

Im Oktober 2003 erfuhr die EU-Kommission von der KFST, der dänische Wettbewerbs- und Verbraucherbehörde, von der Existenz der betreffenden Vereinbarungen. Am Ende ihrer Untersuchung gelangte die Kommission mit Beschluss vom 19. Juni 2013 zum Ergebnis, dass Lundbeck und die Generikaunternehmen zumindest potenzielle Wettbewerber seien und dass die streitigen Vereinbarungen bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen darstellten, wobei die von Lundbeck zur Verhinderung des Eintritts dieser Hersteller in den Markt für Citalopram gezahlten Beträge ungefähr den Gewinnen entsprächen, die sie hätten erzielen können, wenn sie erfolgreich in den Markt eingetreten wären. Die Kommission verhängte daher Gesamtgeldbußen i.H.v. rd. 94 Mio. € gegen Lundbeck und von rd. 52 Mio. € gegen die Generikahersteller.

Das EuG wies die von Lundbeck und den Generikahersteller auf Nichtigerklärung des Beschlusses der Kommission und auf Aufhebung der gegen sie verhängten Geldbuße erhobenen Klagen ab. Gegen die Entscheidungen des EuG kann innerhalb von zwei Monaten nach ihrer Zustellung ein auf Rechtsfragen beschränktes Rechtsmittel beim EuGH eingelegt werden.

Die Gründe:
Lundbeck und die betreffenden Generikaunternehmen waren zum Zeitpunkt des Abschlusses der streitigen Vereinbarungen potenzielle Wettbewerber. Die Kommission hat bei jedem der betroffenen Generikaunternehmen eine gründliche Prüfung der realen und konkreten Möglichkeiten eines Markteintritts vorgenommen und sich dabei auf objektive Anhaltspunkte wie etwa die bereits getätigten Investitionen, die erledigten Schritte zur Erlangung einer Zulassung und die mit den Lieferanten von pharmazeutischen Wirkstoffen geschlossenen Lieferverträge gestützt. Zum Zeitpunkt des Abschlusses der streitigen Vereinbarungen bestanden zudem für die Generikaunternehmen im Allgemeinen mehrere konkrete und realistische Möglichkeiten eines Markteintritts. Dazu gehört u. a. das Herausbringen des Generikums, wobei die Möglichkeit etwaiger Patentverletzungsstreitigkeiten mit Lundbeck im Raum gestanden hätte.

Die Kommission ist auch zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, dass die streitigen Vereinbarungen eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung darstellen. Lundbeck hat insoweit nicht nachgewiesen, dass die durch die streitigen Absprachen vereinbarten Beschränkungen objektiv erforderlich gewesen wären, um ihre Rechte des geistigen Eigentums und insbesondere ihr Kristallisationspatent zu schützen. Lundbeck hätte diese Rechte im Fall einer Verletzungshandlung durch Klagen vor den zuständigen nationalen Gerichten schützen können. I.Ü. bestanden zahlreiche Möglichkeiten der gütlichen Beilegung einer Patentrechtsstreitigkeit, ohne gleich Beschränkungen für den Markteintritt der Generika zu vereinbaren. Schließlich bestand Unsicherheit in Bezug auf die Frage, ob nach dem Kristallisationspatent von Lundbeck jeglicher Markteintritt der Generikaunternehmen blockiert werden durfte, so dass diese zum Zeitpunkt des Abschlusses der streitigen Vereinbarungen reale und konkrete Möglichkeiten eines Markteintritts hatten. Demzufolge konnte die Kommission zutreffend auf eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung schließen.

Die Kommission musste nur den Nachweis erbringen, dass die streitigen Vereinbarungen angesichts ihres Normgehalts, der Ziele, die mit ihnen erreicht werden sollten, und des wirtschaftlichen und rechtlichen Kontexts, in den sie eingebettet waren, den Wettbewerb hinreichend stark beeinträchtigen. Sie war jedoch weder verpflichtet, deren Auswirkungen noch die bei Fehlen der streitigen Vereinbarungen herrschende Lage zu prüfen. Entscheidend ist, dass die Generikaunternehmen zum Zeitpunkt des Abschlusses der streitigen Vereinbarungen mit Lundbeck reale und konkrete Möglichkeiten eines Markteintritts hatten, so dass sie Konkurrenzdruck auf Lundbeck ausübten. Dieser Konkurrenzdruck wurde aber während der Laufzeit der Vereinbarungen beseitigt, was für sich genommen schon eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung darstellt.

Linkhinweis:

Für die auf den Webseiten des EuGH veröffentlichte Pressemitteilung klicken Sie bitte hier.

EuG PM Nr. 90 vom 8.9.2016
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