30.08.2016

Kein fortbestehendes Rechtsschutzbedürfnis bei Verfassungsbeschwerden von Syndikusrechtsanwälten gegen BSG-Urteil nach Neuregelung

Die Verfassungsbeschwerden zweier Syndikusrechtsanwälte, die sich gegen die Ablehnung ihrer Befreiung von der Rentenversicherungspflicht, die in letzter Instanz durch das angegriffene Urteil des BSG vom 3.4.2014 bestätigt worden war, wandten, sind nicht zur Entscheidung angenommen worden, da nach Inkrafttreten der gesetzlichen Neuregelung die Voraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorlagen. Die Befreiung für sog. "Alt-Syndizi" ist erleichtert worden.

BVerfG 22.7.2016, 1 BvR 2534/14 u.a.
Der Sachverhalt:
Die Beschwerdeführer in den Verfahren 1 BvR 2534/14 sowie 1 BvR 2584/14 sind Syndikusrechtsanwälte. Sie wandten sich gegen die Ablehnung ihrer Befreiung von der Rentenversicherungspflicht, die in letzter Instanz durch das angegriffene Urteil des BSG vom 3.4.2014 bestätigt worden war.

Nach Erhebung der Verfassungsbeschwerde ist am 1.1.2016 das Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Syndikusrechtsanwälte und zur Änderung der FGO vom 21.12.2015 (BGBl I S. 2517) in Kraft getreten. Syndikusrechtsanwälte können nunmehr nach § 46a BRAO bei der örtlich zuständigen Rechtsanwaltskammer ihre Zulassung zur Rechtsanwaltschaft beantragen. Nach § 46c Abs. 1 BRAO gelten für sie die für Rechtsanwälte geltenden Vorschriften, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist. Zu den demnach anzuwendenden Vorschriften gehört auch § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI, wonach Rechtsanwälte, wenn und solange sie Pflichtmitglieder der Versorgungswerke sind, auf Antrag von der gesetzlichen Rentenversicherung zu befreien sind.

Für die Frage der Rückwirkung eines entsprechenden Befreiungsantrags hat der Gesetzgeber in § 231 Abs. 4b u. 4c SGB VI folgende Regelungen getroffen:

(4b) Eine Befreiung von der Versicherungspflicht als Syndikusrechtsanwalt oder Syndikuspatentanwalt nach § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, die unter Berücksichtigung der Bundesrechtsanwaltsordnung in der ab dem 1.1.2016 geltenden Fassung oder der Patentanwaltsordnung in der ab dem 1.1.2016 geltenden Fassung erteilt wurde, wirkt auf Antrag vom Beginn derjenigen Beschäftigung an, für die die Befreiung von der Versicherungspflicht erteilt wird. Sie wirkt auch vom Beginn davor liegender Beschäftigungen an, wenn während dieser Beschäftigungen eine Pflichtmitgliedschaft in einem berufsständischen Versorgungswerk bestand. Die Befreiung nach den S. 1 u. 2 wirkt frühestens ab dem 1.4.2014. Die Befreiung wirkt jedoch auch für Zeiten vor dem 1.4.2014, wenn für diese Zeiten einkommensbezogene Pflichtbeiträge an ein berufsständisches Versorgungswerk gezahlt wurden. Die S. 1 bis 4 gelten nicht für Beschäftigungen, für die eine Befreiung von der Versicherungspflicht als Syndikusrechtsanwalt oder Syndikuspatentanwalt aufgrund einer vor dem 4.4.2014 ergangenen Entscheidung bestandskräftig abgelehnt wurde. Der Antrag auf rückwirkende Befreiung nach den S. 1 u. 2 kann nur bis zum Ablauf des 1.4.2016 gestellt werden.

(4c) Eine durch Gesetz angeordnete oder auf Gesetz beruhende Verpflichtung zur Mitgliedschaft in einer berufsständischen Versorgungseinrichtung i.S.d. § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 gilt als gegeben für Personen, die

1. ...

2. bis zum Ablauf des 1.4.2016 die Zulassung als Syndikusrechtsanwalt oder Syndikuspatentanwalt nach der Bundesrechtsanwaltsordnung in der ab dem 1.1.2016 geltenden Fassung oder der Patentanwaltsordnung in der ab dem 1.1.2016 geltenden Fassung beantragen. S. 1 gilt nur, solange die Personen als Syndikusrechtsanwalt oder Syndikuspatentanwalt zugelassen sind und als freiwilliges Mitglied in einem Versorgungswerk einkommensbezogene Beiträge zahlen. ...

Beide Beschwerdeführer hatten bis zum 1.4.2016 ihre Zulassung als Syndikusrechtsanwälte beantragt und einen Antrag auf rückwirkende Befreiung nach § 231 Abs. 4b S. 6 SGB VI gestellt. Aufgrund der in § 231 Abs. 4b S. 5 SGB VI getroffenen Regelung gingen sie jedoch davon aus, dass sie eine Rückwirkung ihrer Befreiungsanträge nur durch Fortsetzung des Verfassungsbeschwerdeverfahrens erreichen konnten.

Das BVerfG hat beide Verfassungsbeschwerden nicht zur Entscheidung angenommen, da die Voraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorlagen.

Die Gründe:
Nach Inkrafttreten der gesetzlichen Neuregelung kam den Verfassungsbeschwerden keine grundsätzliche Bedeutung mehr zu. Eine grundsätzliche Bedeutung kam auch nicht wegen einer möglicherweise für die Beschwerdeführer nachteilhaften Anwendung der Übergangsbestimmung des § 231 Abs. 4b S. 5 SGB VI in Betracht. Dies folgte zum einen daraus, dass die Auslegung dieser Vorschrift und ihre Verfassungsmäßigkeit nicht Gegenstand des Ausgangsverfahrens waren. Darüber hinaus handelte es sich um eine Norm des einfachen Rechts, dessen Auslegung und Anwendung zunächst den Fachgerichten obliegt.

Die Annahme der Verfassungsbeschwerden war auch nicht i.S.v. § 93a Abs. 2b, 1. Hs. BVerfGG zur Durchsetzung der Rechte des Beschwerdeführers angezeigt, da die Verfassungsbeschwerden unter Berücksichtigung der nunmehr geltenden Sach- und Rechtslage keine hinreichende Aussicht auf Erfolg mehr hatten. Sie waren schließlich mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig. Gründe für ein trotz Erledigung in der Hauptsache fortbestehendes Rechtsschutzbedürfnis waren insbesondere eine Wiederholungsgefahr, eine fortdauernde Beeinträchtigung oder eine tiefgreifende, anderweitig nicht zu beseitigende Grundrechtsbeeinträchtigung.

Wenn eine mit der Verfassungsbeschwerde mittelbar angegriffene Rechtsnorm gegenstandslos geworden oder ein für verfassungswidrig gehaltenes Gesetz aufgehoben wurde, ist eine fortdauernde Beschwer im Regelfall zu verneinen. Dies gilt insbesondere dann, wenn auf Grundlage der geänderten Rechtslage auch im Fall einer erfolgreichen Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführer aufgrund des nun geltenden Gesetzesrechts keinen Erfolg haben kann. Aus dem nunmehr von den Beschwerdeführern einzig noch verfolgten Ziel, einer in zeitlicher Hinsicht möglichst weitgehenden Anerkennung ihrer Befreiungsanträge, ergab sich jedoch kein fortbestehendes Rechtsschutzbedürfnis.

Vielmehr waren die Beschwerdeführer unter dem Gesichtspunkt der Subsidiarität gehalten, im fachgerichtlichen Verfahren eine rückwirkende Befreiung gem. § 231 Abs. 4b S. 1 u. 2 SGB VI geltend zu machen. Das war ihnen auch zuzumuten, obgleich sie nach dem Wortlaut der Norm unter den Ausschlusstatbestand des § 231 Abs. 4b S. 5 SGB VI fielen. Denn die Auslegung dieser Vorschrift wirft keine spezifisch verfassungsrechtlichen Fragen auf, die nur das BVerfG beantworten kann. Die vornehmlich veranlasste Prüfung des einfachen Rechts lässt eine verbesserte Entscheidungsgrundlage für eine später erneut zu erhebende Verfassungsbeschwerde mit hinreichender Wahrscheinlichkeit erwarten, so dass eine Vorabentscheidung durch das BVerfG nicht in Betracht kam. Die Sozialgerichte werden im Rahmen der Auslegung von § 231 Abs. 4b S. 5 SGB VI den vom Gesetzgeber mit dieser Ausnahmebestimmung verfolgten Zweck zu berücksichtigen haben, einer bestimmten Gruppe von Syndikusrechtsanwälten einen Vertrauens- und Bestandsschutz zu versagen.

Von der Rückwirkung ausgenommen werden sollen Beschäftigungszeiten, "in denen eine Befreiung von der Versicherungspflicht (auch) auf der Grundlage der vor der Rechtsprechung des BSG aus April 2014 geübten Rechtspraxis von der Verwaltung abgelehnt wurde und bestandskräftig geworden ist und in der Folge in der Regel Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung gezahlt werden mussten" (BTDrucks 18/5201, S. 47; BRDrucks 278/15, S. 55). Ein umfassender Vertrauens- und Bestandsschutz soll nur denjenigen zukommen, die über einen wirksamen Befreiungsbescheid verfügen oder auch nach den BSG-Urteilen weiterhin von der Rentenversicherung befreit waren. Dagegen wird er jenen "Alt-Syndizi" verwehrt, die ihre Ablehnungsbescheide nicht angefochten und stattdessen Beiträge in die Rentenkasse eingezahlt haben, weil sie damit zu erkennen gegeben haben, dass sie die von der Deutschen Rentenversicherung verfügte Eingruppierung in die gesetzliche Rentenversicherung hingenommen haben. Mit Blick auf diesen Schutzzweck wird zu erwägen sein, ob ein Ausschluss des Beschwerdeführers vom personellen Anwendungsbereich im Wege der teleologischen Reduktion in Betracht kommt.

Linkhinweis:

  • Der Volltext der Entscheidung ist auf der Homepage des BVerfG veröffentlicht.
  • Um direkt zu dem Volltext der Entscheidung 1 BvR 2534/14 zu kommen, klicken Sie bitte hier.
  • Um direkt zu dem Volltext der Entscheidung 1 BvR 2584/14 zu kommen, klicken Sie bitte hier.
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