14.09.2023

Kraftwerk-Sample: EuGH-Vorlage zum urheberrechtlichen Begriff des Pastiches

Der BGH hat dem EuGH vorliegend Fragen zur Klärung des urheberrechtlichen Begriffs des Pastiches vorgelegt (Metall auf Metall V). Die Vorlage betrifft den seit annähernd 20 Jahren andauernden Rechtsstreit, mit dem Mitglieder der Musikgruppe "Kraftwerk" gegen die Verwendung einer gesampelten zwei Sekunden langen Rhythmussequenz aus dem Titel "Metall auf Metall" in dem Titel "Nur mir" der Sängerin Sabrina Setlur vorgehen.

BGH v. 14.9.2023 - I ZR 74/22
Der Sachverhalt:
Der Kläger zu 1) und der am 21.4.2020 verstorbene frühere Kläger zu 2), dessen Rechtsnachfolgerin die jetzige Klägerin zu 2) ist, waren Mitglieder der Musikgruppe "Kraftwerk". Diese veröffentlichte im Jahr 1977 einen Tonträger, auf dem sich das Musikstück "Metall auf Metall" befindet. Die Beklagten zu 2) und 3) sind die Komponisten des Titels "Nur mir", den die Beklagte zu 1) mit der Sängerin Sabrina Setlur auf im Jahr 1997 erschienenen Tonträgern einspielte. Zur Herstellung des Titels hatten die Beklagten zwei Sekunden einer Rhythmussequenz aus dem Titel "Metall auf Metall" elektronisch kopiert ("gesampelt") und dem Titel "Nur mir" in fortlaufender Wiederholung unterlegt.

Die Kläger sehen dadurch ihre Rechte als Tonträgerhersteller und das Urheberrecht des Klägers zu 1) verletzt. Sie nahmen die Beklagten auf Unterlassung in Anspruch, Tonträger mit der Aufnahme "Nur mir" herzustellen und in Verkehr zu bringen. Außerdem verlangten sie die Feststellung der Schadensersatzpflicht der Beklagten, Auskunftserteilung und Herausgabe der Tonträger zum Zweck der Vernichtung.

LG und OLG gaben der Klage statt. Auf die Revision der Beklagten hob der BGH das Berufungsurteil auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück. Das OLG wies die Berufung der Beklagten wiederum zurück. Die erneute Revision der Beklagten hatte vor dem BGH keinen Erfolg. Auf die Verfassungsbeschwerde der Beklagten hob das BVerfG die Revisionsurteile und das zweite Berufungsurteil auf und verwies die Sache an den BGH zurück. Dieser legte daraufhin dem EuGH Fragen zur Auslegung der Richtlinie 2001/29/EG und der Richtlinie 2006/115/EG vor. Nachdem der EuGH diese Fragen beantwortet hatte, hob der BGH mit dem dritten Revisionsurteil die Entscheidung des OLG auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung dorthin zurück. Das OLG änderte das Urteil des LG daraufhin dahingehend ab, dass die Beklagten unter Abweisung der weitergehenden Klage zur Auskunft über die Anzahl der zwischen dem 22.12.2002 und dem 7.6.2021 hergestellten und/oder ausgelieferten Tonträger mit Schallaufnahmen des Titels "Nur mir" sowie zur Herausgabe von Vervielfältigungsstücken dieser Tonträger zum Zwecke der Vernichtung verurteilt werden und insoweit ihre Verpflichtung zum Schadensersatz festgestellt wird. Das Berufungsgericht hat die Revision zugelassen, soweit es hinsichtlich der geltend gemachten Ansprüche ab dem 7.6.2021 zum Nachteil der Kläger erkannt hat. Die Kläger verfolgen mit ihrer Revision, deren Zurückweisung die Beklagten beantragen, ihre mit der Klage ab dem 7.6.2021 geltend gemachten Ansprüche weiter.

Der BGH hat das Verfahren nunmehr erneut ausgesetzt und dem EuGH Union Fragen zur Auslegung der Richtlinie 2001/29/EG zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft vorgelegt.

Die Gründe:
Die Revision hat Erfolg, wenn das OLG zu Unrecht angenommen hat, dass die von den Klägern geltend gemachten Ansprüche ab dem 7.6.2021 ausgeschlossen sind, weil die Übernahme der Rhythmussequenz aus dem Titel "Metall auf Metall" im Wege des Sampling eine nach § 51a Satz 1 UrhG in der ab dem 7.6.2021 geltenden Fassung zulässige Nutzung zum Zwecke des Pastiches ist, so dass keine Verletzung der von den Klägern geltend gemachten Leistungsschutzrechte als Tonträgerhersteller oder ausübende Künstler sowie des Urheberrechts des Klägers zu 1) vorliegt. Hierauf kommt es im Streitfall an, weil das Musikstück "Nur mir" die Voraussetzungen einer Karikatur oder Parodie des Musikstücks "Metall auf Metall" mangels Ausdrucks von Humor oder einer Verspottung nicht erfüllt.

Nach Ansicht des BGH stellt sich zunächst die Frage, ob die Schrankenregelung der Nutzung zum Zwecke von Pastiches i.S.d. Art. 5 Abs. 3 Buchst. k der Richtlinie 2001/29/EG ein Auffangtatbestand jedenfalls für eine künstlerische Auseinandersetzung mit einem vorbestehenden Werk oder sonstigen Bezugsgegenstand einschließlich des Sampling ist und ob für den Begriff des Pastiches einschränkende Kriterien wie das Erfordernis von Humor, Stilnachahmung oder Hommage gelten. Die Pastiche-Schranke könnte als allgemeine Schranke für die Kunstfreiheit zu verstehen sein, die deshalb notwendig ist, weil der Kunstfreiheit allein durch die immanente Begrenzung des Schutzbereichs der Verwertungsrechte auf eine Nutzung der Werke und Leistungen in wiedererkennbarer Form und die übrigen Schrankenregelungen wie insbesondere Parodie, Karikatur und Zitat nicht in allen Fällen der gebotene Raum gegeben werden kann.

Die hier in Rede stehende Technik des "Elektronischen Kopierens von Audiofragmenten" (Sampling), bei der ein Nutzer einem Tonträger ein Audiofragment entnimmt und dieses zur Schaffung eines neuen Werks nutzt, ist eine künstlerische Ausdrucksform, die unter die durch Art. 13 EU-Grundrechtecharta geschützte Freiheit der Kunst fällt. Die Rechte der Urheber, Tonträgerhersteller und ausübenden Künstler gem. Art. 2 und 3 der Richtlinie 2001/29/EG genießen den Schutz des geistigen Eigentums gem. Art. 17 Abs. 2 EU-Grundrechtecharta. Dem Ziel des angemessenen Ausgleichs von Rechten und Interessen trägt der in Art. 5 Abs. 5 der Richtlinie 2001/29/EG vorgesehene "Drei-Stufen-Test" Rechnung, dessen Voraussetzungen nach den Feststellungen des OLG erfüllt sind.

Nach Ansicht des BGH stellt sich zudem die weitere Frage, ob die Nutzung "zum Zwecke" eines Pastiches i.S.d. Art. 5 Abs. 3 Buchst. k der Richtlinie 2001/29/EG die Feststellung einer Absicht des Nutzers erfordert, einen urheberrechtlichen Schutzgegenstand zum Zwecke eines Pastiches zu nutzen oder ob die Erkennbarkeit des Charakters als Pastiche für denjenigen genügt, dem der in Bezug genommene urheberrechtliche Schutzgegenstand bekannt ist und der das für die Wahrnehmung des Pastiches erforderliche intellektuelle Verständnis besitzt.

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Aufsatz:
Der schleichende Tod des Bearbeitungsrechts - Vervielfältigung, Bearbeitung, Pastiche und freie Benutzung im neuen Urheberrecht
Benjamin Raue, AfP 2022, 1

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BGH PM Nr. 157 vom 14.9.2023
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