25.02.2014

Lediglich positiver Effekt führt nicht zur Annahme einer erfinderischen Tätigkeit

Der Fachmann, der mit der Bereitstellung eines Stoffs für einen bestimmten Einsatzzweck betraut ist, hat Anlass, anhand der einschlägigen rechtlichen Bestimmungen abzuklären, welche Lösungswege unter rechtlichen Aspekten hinreichende Aussicht auf Erfolg haben. Ein zusätzlicher positiver Effekt, der bei Beschreiten eines Weges auftritt, vermag nicht zur Annahme erfinderischer Tätigkeit zu führen.

BGH 10.12.2013, X ZR 4/11
Der Sachverhalt:
Die Beklagte ist Inhaberin eines mit Wirkung für Deutschland erteilten europäischen Patents, das eine Zusammensetzung zum Färben von Lebensmitteln betrifft. Grund dafür war der Trend, synthetische Farbstoffe durch natürliche zu ersetzen. Im Stand der Technik habe es aber keinen natürlichen blauen Farbstoff gegeben, der für Lebensmittel in Europa und den USA zulassungsfähig sei. Natürliche blaue Farbstoffe wiesen zudem einen unangenehmen Geschmack oder Geruch auf und neigten wegen ihrer Wasserlöslichkeit zum Ausbluten, d.h. zum Austreten der Farbe aus dem gefärbten Lebensmittel.

Zur Lösung dieses Problems schlug das Streitpatent deshalb mit einem Aluminiumsalz behandelte Anthocyaninderivate als Lebensmittelfarbstoffe vor. Die Klägerinnen machten hingegen geltend, dass der Gegenstand des Streitpatents nicht patentfähig sei und die deutsche Übersetzung der Patentschrift eine andere Erfindung betreffe, weil darin alle Formeln unzutreffend wiedergegeben seien. Außerdem sei die Erfindung nicht so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen könne.

Das Patentgericht erklärte das Streitpatent in vollem Umfang für nichtig. Die objektive Aufgabe des Streitpatents bestehe darin, geeignete Gemüse- oder Obstsorten zur Herstellung eines blauen Pflanzenfarbstoffs für Lebensmittel zu finden. Der mit dieser Aufgabe befasste Fachmann habe der Veröffentlichung von Malien-Aubert et al. (Color Stability of Commercial Anthocyanin-Based Extracts in Relation to the Phenolic Composition; Protective Effects by Intra- and Intermolecular Copigmentation, J. Agric. Food Chem. 49 (2001), 170-176, E1) entnommen, dass Anthocyane als natürliche Farbstoffe für Lebensmittel geeignet seien, weil sie natürlichen Ursprungs, wasserlöslich und nicht-toxisch seien und eine Farbenbandbreite von orange bis blau aufwiesen. Nachteilig sei die geringe Farbstabilität. Diese könne durch Acylierung verbessert werden. Als Quellen dafür würden in E1 u.a. schwarze Karotte und Rotkohl genannt. Allerdings habe es hierfür keines erfinderischen Zutuns bedurft. Die Kombinationen mit Aluminiumverbindungen hätten bereits über die dabei gebildeten Aluminiumlacke Eingang in die gesetzlichen Verordnungen gefunden.

Die Berufung der Beklagten blieb vor dem BGH erfolglos.

Gründe:
Aus der Veröffentlichung von Malien-Aubert et al. (E1) ergaben sich für den Fachmann keine ausreichenden Hinweise auf eine Zusammensetzung, die das Merkmal " Verbindung ist kombiniert mit einer Aluminiumverbindung, um einen Aluminiumlack herzustellen" auswiesen. Die Hinweise gingen nicht über dasjenige hinaus, was dem Fachmann am Prioritätstag ohnehin bekannt war. Bei den in E1 geschilderten Versuchen wurden die Farbstoffe in verschiedene Lösungen gegeben. Die Ausbildung eines nicht wasserlöslichen Lacks wäre dafür zumindest hinderlich gewesen.

Zu Recht war das Patentgericht auch zu dem Ergebnis gelangt, dass der Fachmann Anlass hatte, bei der Suche nach stabileren Farbstoffen auch andere geläufige Stabilisierungsmethoden in Betracht zu ziehen und hierbei insbesondere diejenigen Ausgangsstoffe einzubeziehen, die auch in E1 als vielversprechend hervorgehoben wurden. Der Fachmann, der mit der Bereitstellung eines Stoffs für einen bestimmten Einsatzzweck betraut ist, hat Anlass, anhand der einschlägigen rechtlichen Bestimmungen abzuklären, welche Lösungswege unter rechtlichen Aspekten hinreichende Aussicht auf Erfolg haben.

Wird in den einschlägigen rechtlichen Vorschriften eine einzelne Maßnahme, die im Stand der Technik als stabilitätsfördernd bekannt war, ausdrücklich hervorgehoben und für zulässig erklärt, besteht grundsätzlich Veranlassung, diese Maßnahme bei der Suche nach Möglichkeiten zur Stabilitätsförderung auch für solche Ausgangsstoffe in Betracht zu ziehen, für die entsprechende Verbindungen im Stand der Technik noch nicht vorbeschrieben sind. Der Umstand, dass die hier im Streitpatent beanspruchte Stabilität über einen relativ breiten Bereich hinweg nicht ohne weiteres zu erwarten war, führte somit nicht zu einer abweichenden Beurteilung.

Angesichts dessen hatte der Fachmann Anlass, auch solche Lösungen in Betracht zu ziehen, die ein geringeres, aber dennoch praktisch brauchbares Maß an Stabilität versprachen. Dass die damit nahegelegten Lösungen überraschenderweise sogar eine besonders gute Stabilität zeigten, führte ebenfalls nicht zu einer abweichenden Beurteilung. Denn wenn der Fachmann schon aus anderen Gründen Anlass hat, eine bestimmte Lösung in Betracht zu ziehen, so vermag ein zusätzlicher positiver Effekt, der bei Beschreiten dieses Weges auftritt, nicht zur Annahme erfinderischer Tätigkeit zu führen. Insofern kam auch dem Umstand, dass die Bildung von Aluminiumlacken zugleich den üblicherweise auftretenden unangenehmen Geruch oder Geschmack überdeckte, keine ausschlaggebende Bedeutung zu. Auch insoweit handelte es sich um einen zusätzlichen positiven Effekt, den eine aus anderen Gründen nahegelegte Lösung mit sich brachte.

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