07.01.2021

Nichtigkeit wegen ursprünglich nicht offenbarten einschränkenden Merkmalen

Von der Nichtigerklärung eines Patents ist abzusehen, wenn die Einfügung eines in den ursprünglich eingereichten Unterlagen nicht oder nicht als zur Erfindung gehörend offenbarten Merkmals zu einer bloßen Einschränkung des angemeldeten Gegenstands führt. Keine bloße Einschränkung in diesem Sinne, sondern ein Aliud liegt vor, wenn das hinzugefügte Merkmal einen technischen Aspekt betrifft, der den ursprünglich eingereichten Unterlagen weder in seiner konkreten Ausgestaltung noch zumindest in abstrakter Form als zur Erfindung gehörend zu entnehmen ist.

BGH v. 20.10.2020 - X ZR 158/18
Der Sachverhalt:
Die Beklagte ist Inhaberin des mit Wirkung für Deutschland erteilten europäischen Patents 942 880 (Streitpatents), das im November 1997 unter Inanspruchnahme britischer Prioritäten aus November 1996, August 1997 und Oktober 1997 angemeldet worden ist und eine Verpackung für Rauchwaren betrifft. Im Vordergrund steht das technische Problem, eine Verpackung für Rauchwaren bereitzustellen, die einen möglichst guten Schutz bietet und zugleich möglichst einfach und kostengünstig herzustellen ist.

Die Klägerin, die wegen Verletzung des Streitpatents gerichtlich in Anspruch genommen wird, hat das Streitpatent wegen unzulässiger Erweiterung und mangelnder Patentfähigkeit angegriffen. Die Beklagte hat das Schutzrecht in der erteilten Fassung und hilfsweise in zwanzig geänderten Fassungen verteidigt.

Das Patentgericht hat das Streitpatent für nichtig erklärt, soweit sein Gegenstand über die mit Hilfsantrag 3 verteidigte Fassung hinausgeht, und die weitergehende Klage mit der Maßgabe abgewiesen, dass aus dem Merkmal "that all of the sealed seams overlie at least partly a part of the frame" keine Rechte hergeleitet werden können. Es war der Ansicht, dass das Merkmal 1.E in den ursprünglich eingereichten Unterlagen nicht als zur Erfindung gehörend offenbart worden sei. Dies führe jedoch nicht zur Nichtigerklärung, sondern nur dazu, dass aus diesem Merkmal keine Rechte hergeleitet werden könnten. Der Gegenstand des Streitpatents stelle im Vergleich zur ursprünglich offenbarten Lehre kein Aliud dar, sondern nur eine Konkretisierung.

Auf die Berufung der Klägerin hat der BGH das Urteil des Bundespatentgerichts abgeändert und das Streitpatent mit Wirkung für das Hoheitsgebiet Deutschland für nichtig erklärt.

Gründe:
Im Ergebnis zu Recht hat das Patentgericht entschieden, dass Merkmal 1.E den ursprünglich eingereichten Unterlagen nicht unmittelbar und eindeutig als zur Erfindung gehörend zu entnehmen ist. Der Inhalt der Anmeldung ist nämlich anhand der Gesamtheit der ursprünglich eingereichten Unterlagen zu ermitteln. Entscheidend ist, was der Fachmann diesen Unterlagen als zur Erfindung gehörend entnehmen kann. Zu berücksichtigen ist allerdings nur das, was sich für den Fachmann unmittelbar und eindeutig aus der Anmeldung selbst ergibt, nicht hingegen weitergehende Erkenntnisse, zu denen der Fachmann aufgrund seines allgemeinen Fachwissens oder durch Abwandlung der offenbarten Lehre gelangen kann. Infolgedessen fehlte es im vorliegenden Fall an einer unmittelbaren und eindeutigen Offenbarung von Merkmal 1.E.

Entgegen der Auffassung des Patentgerichts hat die unzureichende ursprüngliche Offenbarung die Nichtigerklärung des Streitpatents zur Folge. Das Hinzufügen von Merkmal 1.E führte nicht lediglich zu einer Konkretisierung, sondern zu einem Aliud. Von der Nichtigerklärung eines Patents ist abzusehen, wenn die Einfügung eines in den ursprünglich eingereichten Unterlagen nicht oder nicht als zur Erfindung gehörend offenbarten Merkmals zu einer bloßen Einschränkung des angemeldeten Gegenstands führt. Keine bloße Einschränkung in diesem Sinne, sondern ein Aliud liegt vor, wenn das hinzugefügte Merkmal einen technischen Aspekt betrifft, der den ursprünglich eingereichten Unterlagen weder in seiner konkreten Ausgestaltung noch zumindest in abstrakter Form als zur Erfindung gehörend zu entnehmen ist (Bestätigung von BGH-Urteil X ZR 43/09 vom 21.6.2011 - Integrationselement; Beschluss vom 6.8.2013 - X ZB 2/12 - Tintenstrahldrucker; Urteil vom 17.2.2015 - X ZR 161/12 - Wundbehandlungsvorrichtung).
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