13.11.2023

Nutzungsersatz betreffend die Rückabwicklung von Darlehensverträgen - Auslegung von § 357 BGB

Eine Auslegung des nationalen Rechts im Lichte des Unionsrechts dahin, dass einem Verbraucher aus einem nach erklärtem Widerruf rückabzuwickelnden im Fernabsatz im Sinne der Richtlinie 2002/65/EG geschlossenen Darlehensvertrag kein Anspruch aus § 357 Abs. 1 Satz 1 BGB aF i.V.m. § 346 Abs. 1 Halbsatz 2 BGB auf Nutzungsersatz hinsichtlich erbrachter Zins- und Tilgungsleistungen zusteht, kommt nicht in Betracht, da keine verdeckte Regelungslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes vorliegt (Fortführung von BGH v. 4.7.2023 - XI ZR 77/22).

BGH v. 17.10.2023 - XI ZR 160/22
Der Sachverhalt:
Der Kläger schloss mit der Beklagten im Jahr 2005 unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln zwei jeweils durch eine Grundschuld besicherte Verbraucherkreditverträge über nominal 122.000 € bzw. 214.800 € mit einer Zinsbindung jeweils bis zum 30.6.2022. Es handelte sich um Forward-Darlehen. Über das dem Kläger zukommende Widerrufsrecht belehrte die Beklagte den Kläger bei Abschluss beider Darlehensverträge unzureichend.

Die Darlehen wurden nach Abruf durch den Kläger im April und Juni 2007 vollständig zur Ablösung von Drittkrediten ausgezahlt. Der Kläger leistete die vereinbarten Ratenzahlungen. Im November 2015 widerrief der Kläger seine auf Abschluss der Darlehensverträge gerichteten Willenserklärungen.

Im Oktober 2016 erklärte der Kläger die Kündigung der Darlehensverträge gemäß § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB zum Ablauf der Zehnjahresfrist. Die Beklagte rechnete die Darlehen zum 30.11.2017 bzw. zum 31.10.2017 ab. Diese wurden zu den jeweiligen Daten vom Kläger vollständig abgelöst.

Der Kläger beansprucht Zahlung von Nutzungsersatz in Höhe von 9.210 € bzw. von 17.150 € sowie die Rückzahlung der auf die Darlehen gezahlten Zinsen in Höhe von 55.400 € und 106.600 €. Die Beklagte hat hilfsweise mit Wertersatzansprüchen und Ansprüchen auf Rückzahlung der Nettodarlehensvaluta aufgerechnet.

Das LG wies die Klage ab. Das OLG wies die Berufung zurück. Die Revision des Klägers vor dem BGH war erfolgreich.

Die Gründe:
Das Urteil des OLG hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung in einem wesentlichen Punkt nicht stand.

Das OLG ist noch zutreffend davon ausgegangen, dass sich die Rechtsfolgen nach dem wirksam erklärten Widerruf des Klägers in erster Linie nach § 357 Abs. 1 Satz 1 BGB aF richten. Nach dieser Vorschrift finden auf das Widerrufs- und Rückgaberecht, soweit nicht ein anderes bestimmt ist, die Vorschriften über den gesetzlichen Rücktritt (§§ 346 ff. BGB) entsprechende Anwendung. Danach ergibt sich aus § 346 Abs. 1 Halbsatz 2 BGB für den hier maßgebenden Zeitraum, dass die darlehensgebende Bank dem Darlehensnehmer die mutmaßlich gezogenen Nutzungen aus den erbrachten Zins- und Tilgungsleistungen erstatten muss.

Entgegen der Ansicht des OLG kommt eine Auslegung des nationalen Rechts im Lichte des Unionsrechts (vgl. EuGH v. 4.6.2020 - C-301/18, WM 2020, 1190) dahin, dass einem Verbraucher aus einem nach erklärtem Widerruf rückabzuwickelnden im Fernabsatz im Sinne der Richtlinie 2002/65/EG geschlossenen Darlehensvertrag kein Anspruch aus § 357 Abs. 1 Satz 1 BGB aF i.V.m. § 346 Abs. 1 Halbsatz 2 BGB auf Nutzungsersatz hinsichtlich erbrachter Zins- und Tilgungsleistungen zusteht, nicht in Betracht (dazu ausführlich BGH v. 4.7.2023 - XI ZR 77/22, WM 2023, 1463 Rn. 17 ff.).

Eine Rechtsfortbildung im Wege der teleologischen Reduktion setzt wie eine Analogie eine verdeckte Regelungslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes voraus. An einer solchen fehlt es hier, wie der Senat (BGH v. 12.1.2016 - XI ZR 366/15, WM 2016, 454 Rn. 19 ff.) bereits ausführlich begründet hat. Die bewusste Entscheidung des Gesetzgebers, die Geltung des neuen Rechts auf die Zukunft zu beschränken, kann der Senat nicht revidieren.

Das Urteil des EuGH vom 4.6.2020 (C-301/18, WM 2020, 1190), in dem der Gerichtshof entschieden hat, Art. 7 Abs. 4 der Richtlinie 2002/65/EG sei dahin auszulegen, dass ein Verbraucher, der sein Widerrufsrecht in Bezug auf einen im Fernabsatz mit einem Anbieter geschlossenen Darlehensvertrag ausübt, von dem Anbieter vorbehaltlich der Beträge, die er selbst unter den in Art. 7 Abs. 1 und 3 dieser Richtlinie genannten Bedingungen an ihn zahlen muss, die Erstattung der zur Erfüllung des Vertrags gezahlten Tilgungs- und Zinsbeträge verlangen kann, nicht aber Nutzungsersatz auf diese Beträge, ändert daran nichts. Der Senat kann § 357 Abs. 1 BGB aF nicht entgegen dem ausdrücklichen Willen des nationalen Gesetzgebers für im Fernabsatz geschlossene Verbraucherdarlehensverträge teleologisch reduzieren (BGH v. 4.7.2023 - XI ZR 77/22, WM 2023, 1463 Rn. 23 f.).


Keinen Erfolg hat die Revision demgegenüber, soweit sie sich gegen den Wertersatzanspruch der Beklagten wendet. Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerfrei erkannt, dass sich die Ansprüche der Beklagten auf Herausgabe der von dem Kläger erlangten Gebrauchsvorteile für die überlassene Darlehensvaluta nach § 312d Abs. 6 BGB aF i.V.m. § 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2 BGB und nach dem Vertragszins richten (BGH v. 4.7.2023 - XI ZR 77/22, WM 2023, 1463 Rn. 27 mwN).

Nach § 312d Abs. 6 BGB aF hat der Verbraucher bei Fernabsatzverträgen über Finanzdienstleistungen abweichend von § 357 Abs. 1 Satz 1 BGB aF Wertersatz für die erbrachte Dienstleistung nach den Vorschriften über den gesetzlichen Rücktritt nur zu leisten, wenn er vor Abgabe seiner Vertragserklärung auf diese Rechtsfolge hingewiesen worden ist und wenn er ausdrücklich zugestimmt hat, dass der Unternehmer vor Ende der Widerrufsfrist mit der Ausführung der Dienstleistung beginnt. Das Berufungsgericht hat zutreffend festgestellt, dass diese Voraussetzungen vorliegend gegeben sind.

Es hat zutreffend festgestellt, dass die Beklagte dem Kläger einen Hinweis im Sinne des § 312d Abs. 6 BGB aF erteilt hat. In der Widerrufsbelehrung heißt es, dass bei einer form- und fristgerechten Erklärung des Widerrufs die empfangenen Leistungen zurückzugewähren und gegebenenfalls gezogene Nutzungen (z.B. Zinsen) herauszugeben sind. Es wird angegeben, dass - wenn die empfangene Leistung ganz oder teilweise nicht zurückgewährt werden kann - insoweit gegebenenfalls Wertersatz zu leisten ist. Dieser Hinweis informiert ausreichend über die Rechtsfolge im Sinne des § 312d Abs. 6 BGB aF.


Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht weiter festgestellt, dass der Kläger gemäß § 312d Abs. 6 BGB aF ausdrücklich zugestimmt hat, dass die Beklagte vor Ende der Widerrufsfrist mit der Ausführung der Dienstleistung beginnt. Eine ausdrückliche Zustimmung in diesem Sinne liegt, wie das Berufungsgericht zu Recht angenommen hat, in dem Abruf des Darlehens durch den Darlehensnehmer.

Mehr zum Thema:

Rechtsprechung:
Zur Frage, ob § 357 Abs. 1 Satz 1 BGB in der bis zum 12. Juni 2014 geltenden Fassung sowie § 346 Abs. 1 Halbsatz 2 BGB in dem Sinne teleologisch zu reduzieren sind, dass dem Verbraucher aus einem nach erklärtem Widerruf rückabzuwickelnden im Fernabsatz geschlossenen Darlehensvertrag kein Anspruch auf Nutzungsersatz hinsichtlich der vom Verbraucher erbrachten Zins- und Tilgungsleistungen zusteht
BGH vom 4.7.2023 - XI ZR 77/22
WM 2023, 1463

Rechtsprechung:
Zur Wertberechnung der beabsichtigten Revision einer Bank, die sich gegen die Feststellung wendet, dass die vom Kläger mit ihr geschlossenen Verbraucherdarlehensverträge wirksam widerrufen worden sind
BGH vom 12.1.2016 - XI ZR 366/15
WM 2016, 454

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