10.01.2023

Peer-to-Peer-Netzwerke: Darlegungs- und Beweislast bei Urheberrechtsverletzungen

Allein das mangelnde Einräumen der Rechtsverletzung durch den einzig in ernsthaft Betracht kommenden Täter der streitigen Rechtsverletzung, einen benannten Zeugen, lässt einen Rückschluss auf die zwingende Täterschaft des Beklagten als Anschlussinhaber nicht zu, wenn das Gericht gem. § 286 ZPO - im Gegenteil - davon überzeug ist, dass eine Täterschaft des Beklagten höchstwahrscheinlich ausscheidet.

AG Düsseldorf v. 15.12.2022 - 10 C 102/20
Der Sachverhalt:
Die Klägerin gehört zu den führenden deutschen Tonträgerherstellern. Der Beklagte ist Inhaber eines Internetanschlusses mit W-LAN-Verbindung in seinem Haus. Das WLAN war zum Tatzeitpunkt individuell passwortgeschützt.

Zum Zwecke der Verfolgung widerrechtlicher Verbreitung von geschützten Werken im Internet hat die Klägerin das Unternehmen "E-GmbH" mit der Überwachung bestimmter Peer-to-Peer-Netzwerke, wie z.B. Tauschbörsen, beauftragt. Die "E-GmbH" teilte der Klägerin im Rahmen ihrer Ermittlungen mit, dass streitgegenständliche Musikalbum mit 16 einzelnen Musiktiteln am 18.5.2010 um 11:53 Uhr und um 12:22 der Öffentlichkeit in einer Internettauschbörse zum Download angeboten worden war. Aufgrund der IP-Adresse wurde der Beklagte als Inhaber des fraglichen Internetanschlusses ermittelt.

Die Prozessbevollmächtigten der Klägerin mahnten den Beklagten aufgrund dieses  Vorgangs mit Schreiben vom 16.11.2010 erstmalig ab und forderten ihn zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung, zur Zahlung von Schadensersatz und zur Erstattung der Kosten außergerichtlicher Rechtsverfolgung auf. Hierauf und auf weitere fünf Anschreiben reagierte der Beklagte nicht. Daraufhin hat die Klägerin gerichtlich Schadensersatz von insgesamt nicht weniger als 1.000 € verlangt.

Das AG hat die Klage abgewiesen.

Die Gründe:
Die Klägerin hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Schadensersatz gem. § 97 Abs. 2 S. 1 UrhG oder auf Ersatz von Abmahnkosten gem. § 97a Abs. 3 UrhG. Der Beklagte haftet weder als Täter oder Teilnehmer noch als Störer für die behauptete Rechtsverletzung, denn es stand bis zuletzt nicht fest, dass der Beklagte die behauptete Rechtsverletzung begangen hatte.

Nach § 97 Abs. 2 S. 1 UrhG ist derjenige, der ein Urheberrecht, oder ein anderes nach diesem Gesetz geschütztes Recht, widerrechtlich verletzt, dem Verletzten zum Ersatz des aus der Verletzung entstehenden Schadens verpflichtet. Die Geltendmachung des Anspruchs gem. § 97 Abs. 2 S. 1 UrhG setzt voraus, dass feststeht, dass die Urheberrechtsverletzung vom Beklagten begangen wurde. Die Klägerin trug nach den allgemeinen Grundsätzen als Anspruchstellerin die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die Voraussetzungen des geltend gemachten Anspruchs auf Schadensersatz erfüllt waren. Nach BGH-Rechtsprechung besteht zwar die tatsächliche Vermutung, dass der Inhaber des Internetanschlusses die Tat begangen hat, wenn er der alleinige Anschlussnutzer ist. Überwiegend wird eine tatsächliche Vermutung aber dann nicht angenommen, bzw. eine solche "erschüttert", wenn der Anschluss zum konkreten Verletzungzeitpunkt nicht hinreichend gesichert war oder bewusst anderen Personen zur Nutzung überlassen wurde.

In einem solchen Fall trifft den Anschlussinhaber eine sekundäre Darlegungslast hinsichtlich der Einzelheiten der Nutzung seines Internetanschlusses. Der Anschlussinhaber genügt dieser Darlegungslast indem er vorträgt, ob andere Personen und gegebenenfalls welche anderen Personen selbständigen Zugang zu seinem Internetanschluss hatten und als Täter der Rechtsverletzung in Betracht kommen. Der Beklagte musste hier konkrete Anhaltspunkte vortragen, die ernsthaft darauf schließen ließen, dass allein ein Dritter für die Rechtsverletzung verantwortlich sein konnte. Eine mögliche Rechtsverletzung durch einen anderen Nutzer musste im Hinblick auf das Nutzerverhalten, die Kenntnisse und Fähigkeiten sowie den zeitlichen Zusammenhang plausibel erscheinen. Der Umfang der sekundären Darlegungslast hat sich daher auf diejenigen Informationen zu beschränken, die in der Sphäre des Anschlussinhabers zugänglich sind und zumutbar vorgetragen werden können.

Diese Darlegungslast führt aber weder zu einer Umkehr der Beweislast noch zu einer über die prozessuale Wahrheitspflicht und Erklärungslast (§ 138 ZPO) hinausgehenden Verpflichtung des Anschlussinhabers, dem Anspruchsteller alle für seinen Prozesserfolg benötigten Informationen zu verschaffen. Der Beklagte hat hier dargelegt, er habe die Rechtsverletzung nicht begangen und auch nach der Abmahnung auf seinem Computer weder eine Tauschbörsen-Software noch das streitgegenständliche Musikalbum entdecken können. Zur Tatzeit hätten seine Ehefrau, die Zeugin Z. sowie sein schon damals volljähriger Sohn mit dem Beklagten in einem Haushalt gelebt und unbegrenzten und unbeaufsichtigten Zugriff auf den Internetanschluss des Beklagten gehabt. Damit war der Beklagte der ihm obliegenden sekundären Darlegungslast nachgekommen, denn er hat vorliegend nicht nur die theoretische Möglichkeit der Nutzung durch seine Familienmitglieder vorgetragen, sondern dezidiert zu den Interessen, Kenntnissen und Fähigkeiten der Familienmitglieder, die unbeaufsichtigten Zugriff auf den Internetanschluss des Beklagten hatten, vorgetragen.

Somit oblag der Klägerin die volle Darlegungs- und Beweislast für die Täterschaft des Beklagten. Die Klägerin konnte das angerufene Gericht nicht nach den Anforderungen gem. §286 ZPO überzeugen. Allein das mangelnde Einräumen der Rechtsverletzung durch den einzig in ernsthaft Betracht kommenden Täter der streitigen Rechtsverletzung, einen benannten Zeugen, lässt einen Rückschluss auf die zwingende Täterschaft des Beklagten als Anschlussinhaber nicht zu, wenn das Gericht gem. § 286 ZPO - im Gegenteil - davon überzeug ist, dass eine Täterschaft des Beklagten höchstwahrscheinlich ausscheidet.

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