10.01.2023

Präklusion von Vorbringen nach einer gem. § 264 ZPO privilegierten Antragsänderung in der Berufungsinstanz

Ist die mit der Klage des Versicherungsnehmers geltend gemachte Schadensersatzforderung nach Rechtshängigkeit entweder infolge einer Abtretung oder infolge einer Legalzession auf den Versicherer übergegangen und fällt der Versicherungsnehmer nach dem Forderungsübergang in Insolvenz, ist der Insolvenzverwalter befugt, den unterbrochenen Rechtsstreit aufzunehmen und die Forderung im eigenen Namen gerichtlich geltend zu machen. Auch wenn eine Änderung des Klageantrags in der Berufungsinstanz nicht den Beschränkungen des § 533 ZPO unterliegt, weil sie gem. § 264 Nr. 2 und 3 ZPO nicht als Klageänderung anzusehen ist, ist dazu gehaltener neuer Tatsachenvortrag in der Berufungsinstanz nur unter den Voraussetzungen des § 531 Abs. 2 ZPO zuzulassen. Die Zulassung setzt voraus, dass der Vortrag im ersten Rechtszug nicht geltend gemacht worden ist, ohne dass dies auf einer Nachlässigkeit der Partei beruht.

BGH v. 15.12.2022 - I ZR 135/21
Der Sachverhalt:
Das Unternehmen L. beauftragte die T. Logistik GmbH, die ursprüngliche Klägerin, im Dezember 2016 mit dem Transport von 18 großvolumigen Maschinen von G. nach E. in Russland. Die ursprüngliche Klägerin beauftragte die Beklagte am 14.12.2016 mit der Durchführung von zwei dieser Schwerlasttransporte zu einem Preis von jeweils 55.700 €. Die englischsprachigen AGB der ursprünglichen Klägerin sehen die Geltung der CMR vor und enthalten ein Verbot für den beauftragten Frachtführer, die Güter umzuschlagen, den Trailer auszutauschen, Fremdfracht hinzuzufügen oder den Auftrag an ein anderes Unternehmen weiterzugeben. Die Beklagte beauftragte gleichwohl mehrere Subunternehmer mit dem Transport per LKW von G. nach L., mit der Verschiffung über die Ostsee nach St. P. in Russland und mit dem daran anschließenden LKW-Transport. Nach der Ankunft der beiden Maschinen in St. P. fiel auf, dass die Verpackung einer der Maschinen defekt war. Die beiden Maschinen wurden am 16. und am 22.2.2017 beim Empfänger angeliefert.

Die ursprüngliche Klägerin nahm die Beklagte mit ihrer am 6.2.2018 bei Gericht eingegangenen und am 16.2.2018 zugestellten Klage auf Schadensersatz mit der Behauptung in Anspruch, die beiden Maschinen seien vor der Auslieferung durch den Absender in Folie luftdicht vakuumverpackt und verschweißt worden. Um die Folie sei ein Holzgestell errichtet und auf dem Tieflader verzurrt worden. Um das Holzgestell sei außen eine Überwurffolie gespannt und durch Bänderung fixiert worden. Die Überwurffolie sei beim abredewidrigen Umladen aufgeschnitten und nicht wieder ordnungsgemäß verschlossen und die Maschinen seien durch Eindringen von Schnee in die Verpackung erheblich beschädigt worden. Sie begehrte von der Beklagten zuletzt die Zahlung eines Betrags von rd. 150.000 € nebst Zinsen. Dabei handelt es sich um den Schadensersatzbetrag, auf dessen Zahlung sie sich nach ihrer Behauptung mit dem Unternehmen L. geeinigt hat.

Das LG gab der Klage ganz überwiegend statt. Mit ihrer Berufung machte die Beklagte geltend, die ursprüngliche Klägerin sei bereits in erster Instanz nicht mehr sachbefugt gewesen. Die ursprüngliche Klägerin habe sie, die Beklagte, nach Erlass des erstinstanzlichen Urteils unter Vorlage einer Abtretungserklärung vom 28.2.2018 aufgefordert, die ausgeurteilte Summe an die H. Versicherungen, ihre Verkehrshaftungsversicherung, zu zahlen, die den Schaden gegenüber der ursprünglichen Klägerin nach Rechtshängigkeit reguliert habe. Während laufender Berufungsbegründungsfrist wurde über das Vermögen der ursprünglichen Klägerin das Insolvenzverfahren eröffnet, der Kläger zum Insolvenzverwalter über ihr Vermögen bestellt und vom Kläger die Aufnahme des Rechtsstreits erklärt.

Das OLG wies die vom Kläger im Berufungsverfahren dahingehend modifizierte Klage, dass die Beklagte im Umfang der landgerichtlichen Verurteilung zur Zahlung an die H. verurteilt werden solle, ab. Die Revision des Klägers hatte vor dem BGH keinen Erfolg.

Die Gründe:
Die Befugnis des Klägers, die nach seinem schlüssigen Vorbringen zunächst der ursprünglichen Klägerin zustehende und sodann auf die H. als deren Verkehrshaftungsversicherer übergegangene Forderung gerichtlich geltend zu machen, beruht auf seiner Befugnis als Insolvenzverwalter über das Vermögen der ursprünglichen Klägerin aus § 85 Abs. 1 Satz 1 InsO, den Rechtsstreit aufzunehmen.

Rechtsstreitigkeiten über das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen, die zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens für den Schuldner anhängig sind, können in der Lage, in der sie sich befinden, vom Insolvenzverwalter aufgenommen werden (§ 85 Abs. 1 Satz 1 InsO). Nach § 35 Abs. 1 InsO ist die Insolvenzmasse das Vermögen, das dem Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehört und das er während des Verfahrens erlangt. Die Prozessführungsbefugnis des Insolvenzverwalters, die Unterbrechung des Rechtsstreits wegen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens und die Aufnahmebefugnis des Insolvenzverwalters setzen voraus, dass der für den Insolvenzschuldner anhängige Rechtsstreit Vermögen betrifft, das zur Insolvenzmasse gehört. Davon ist im Streitfall auszugehen.

Die Frage, ob sich der für die Prozessführungsbefugnis des Insolvenzverwalters erforderliche Massebezug einer bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf einen Dritten übergegangenen Forderung des Insolvenzschuldners bereits allein aus der Vorschrift des § 265 Abs. 2 Satz 1 ZPO ergibt, kann hier offenbleiben. Im Hinblick auf die Klageforderung besteht ein hinreichender Massebezug, der eine Prozessführungsbefugnis des Klägers begründet. Zwar kann wegen der vom Kläger vorgenommenen Umstellung des Klageantrags auf Zahlung an die H. eine unmittelbare Mehrung der Masse durch die Klageforderung nicht mehr erwartet werden. Ob der Kostenerstattungsanspruch im Fall des Erfolgs der Klage einen hinreichenden Massebezug herstellen kann, ist fraglich. Dies braucht jedoch nicht vertieft zu werden. Von einer hinreichenden Betroffenheit der Masse ist jedenfalls deshalb auszugehen, weil im Streitfall die Klageforderung nach dem Vortrag des Klägers auf den Verkehrshaftungsversicherer der ursprünglichen Klägerin - entweder im Wege der Abtretung oder im Wege der Legalzession gem. § 86 Abs. 1 Satz 1 VVG - übergegangen ist. Der für die Prozessführungsbefugnis des Insolvenzverwalters erforderliche Massebezug ergibt sich aus der in § 86 Abs. 2 VVG dem Versicherungsnehmer auferlegten Obliegenheit, die Interessen des Versicherers zu wahren.

Die Revision macht im Übrigen ohne Erfolg geltend, das OLG habe den im Berufungsverfahren gehaltenen Vortrag des Klägers zum Übergang des mit der Klage geltend gemachten Anspruchs auf die H. und zu deren Eigenschaft als Haftpflichtversicherer der ursprünglichen Klägerin nicht gem. § 531 Abs. 2 ZPO als verspätet zurückweisen dürfen. Unterliegt eine Änderung des Klageantrags in der Berufungsinstanz nicht den Beschränkungen des § 533 ZPO, ist das Berufungsgericht nicht gem. § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbsatz 1 ZPO an die von dem erstinstanzlichen Gericht zu dem ursprünglichen Klageantrag getroffenen Feststellungen gebunden, sondern darf auf den gesamten erstinstanzlichen Sachvortrag zurückgreifen. Neuer Tatsachenvortrag in der Berufungsinstanz ist jedoch, auch soweit er zur Begründung einer unter § 264 Nr. 2 und 3 ZPO fallenden Änderung des Klageantrags dient, nur unter den Voraussetzungen des § 531 Abs. 2 ZPO zuzulassen. In diesem Zusammenhang ist gem. § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO zu prüfen, ob neuer Vortrag der Partei im ersten Rechtszug nicht geltend gemacht worden ist, ohne dass dies auf einer Nachlässigkeit beruht.

Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe hat das OLG mit Recht geprüft, ob die ursprüngliche Klägerin im Hinblick darauf der Vorwurf der Nachlässigkeit trifft, dass sie zum erst vom Kläger zweitinstanzlich behaupteten Übergang der Klageforderung auf die H. erstinstanzlich nichts vorgetragen hat. Dies hat das Berufungsgericht ohne Rechtsfehler bejaht. Der ursprünglichen Klägerin waren sowohl ihre kurz nach Rechtshängigkeit der Klage erklärte Abtretung als auch die Regulierung ihres Schadens durch die H. bekannt. Die Bedeutung dieser Umstände für den Ausgang des Rechtsstreits bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem LG waren ihr ebenfalls bekannt oder hätten ihr bekannt sein müssen. Nach den vom OLG rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen kann deshalb nicht davon ausgegangen werden, dass die H. Inhaberin der mit der Klage geltend gemachten Forderung geworden ist.

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