19.11.2024

Recht auf ein faires Verfahren - Rumänien: Strafverfahren gegen ehemaligen Europaabgeordneten nach Veröffentlichung eines Artikels in Wochenzeitung

Mangels Beteiligung des rumänischen Staates haben die involvierten Journalisten nicht als agents provocateurs gehandelt. (Severin gegen Rumänien)

EGMR v. 8.10.2024 - 20440/18
Der Sachverhalt:
Der Beschwerdeführer war zum beschwerdegegenständlichen Zeitpunkt Mitglied des Europäischen Parlaments (MdEP). Neben anderen MdEP war er Gegenstand eines im Jahr 2011 veröffentlichten Artikels in der britischen Wochenzeitung The Sunday Times, in dem Korruptionsvorwürfe gegen mehrere Europaabgeordnete erhoben wurden. Der Artikel war das Ergebnis einer Investigativrecherche zweier britischer Journalisten der Sunday Times. Dem Artikel zufolge hatten sie den Beschwerdeführer fünf Mal in Straßburg und Brüssel getroffen, wobei sie sich als Vertreter eines in London ansässigen Beratungsunternehmens ausgaben. Die Journalisten hatten ihm eine bezahlte Stelle als Mitglied des Beirats dieses Unternehmens angeboten, die der Beschwerdeführer angenommen hatte. Dem Artikel zufolge hatte er dann Schritte unternommen, um einen Legislativentwurf zu einer EU-Richtlinie im Einklang mit den Wünschen der Journalisten zu ändern, bevor er ihnen eine Rechnung für seine Dienste ausstellte. Die Journalisten hatten ihre persönlichen und telefonischen Gespräche mit dem Beschwerdeführer aufgezeichnet und die elektronischen Nachrichten, die sie mit ihm ausgetauscht hatten, gespeichert.

Kurz darauf wurden Ermittlungen gegen den Beschwerdeführer wegen des Verdachts des Amtsmissbrauchs als MdEP eingeleitet und im weiteren Verlauf auf Ersuchen der rumänischen Behörden dessen parlamentarische Immunität durch das Europäische Parlament aufgehoben. Der Beschwerdeführer wurde in einem innerstaatlichen Strafverfahren wegen Bestechlichkeit und Vorteilsnahme zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt, die im von der Staatsanwaltschaft eingeleiteten Rechtsmittelverfahren auf vier Jahre erhöht wurde. Rechtsmittel des Beschwerdeführers blieben erfolglos.

Die Gründe:
Mit Blick auf die Behauptung des Beschwerdeführers, die Journalisten hätten als agents provocateurs gehandelt, stellte der Gerichtshof fest, dass es im vorliegenden Fall keine Beweise für eine Beteiligung des rumänischen Staates gebe und dass die beiden Journalisten als Privatpersonen gehandelt hätten. Auf seine ständige Rechtsprechung Bezug nehmend, befand der EGMR, dass eine Beschwerde, in der die Anstiftung durch eine nicht auf Anweisung oder unter der Kontrolle von Behörden handelnde Privatperson behauptet wird, eher unter dem Gesichtspunkt der allgemeinen Beweisregeln als unter dem der Anstiftung betrachtet werden müsse.

In Bezug auf den Vortrag des Beschwerdeführers über die Verwendung der Aufzeichnungen der Journalisten im gerichtlichen Verfahren stellte der Gerichtshof fest, dass die vor den rumänischen Gerichten vorliegende Akte mehrere Beweismittel enthalten habe, die im Rahmen des Austauschs zwischen dem Beschwerdeführer und den beiden Journalisten erlangt wurden, insbesondere audiovisuelle Aufzeichnungen, die während ihrer Treffen angefertigt wurden. Nichts in der Akte deute darauf hin, dass die innerstaatlichen Gerichte bei der Zulassung dieser Beweise nicht die unter den gegebenen Umständen gebotene Vorsicht walten ließen. Zudem sei die Verwendung von Aufzeichnungen wie die der Journalisten zum maßgeblichen Zeitpunkt nach innerstaatlichem Recht in Strafverfahren zulässig gewesen. Die gegen die Verwendung vorgetragenen Argumente des Beschwerdeführers seien durch die rumänischen Gerichte gebührend geprüft worden. Überdies seien die Aufnahmen nicht der entscheidende Faktor für die Verurteilung des Beschwerdeführers gewesen, da es in der Akte des Falls noch andere Beweise gegeben habe und die Journalisten auch gegenüber den rumänischen Behörden Aussagen getätigt hätten.

Was das Argument des Beschwerdeführers betrifft, die Journalisten seien unter Bedingungen befragt worden, die für die Verteidigung ungünstig gewesen seien, so stellte der EGMR fest, dass sie zunächst von den britischen Behörden im Rahmen eines Rechtshilfeersuchens während der Ermittlungen der Staatsanwaltschaft vernommen worden waren. Anschließend seien sie von den rumänischen Richtern selbst per Videokonferenz angehört worden. Das Hauptargument des Beschwerdeführers, die Aussagen der Journalisten seien von den rumänischen Behörden beeinflusst worden, überzeuge nicht, da britische Behörden und nicht die rumänische Staatsanwaltschaft die Zeugen in der ersten Phase des Verfahrens vernommen hätten und sie die einzigen gewesen seien, die direkten Kontakt zu ihnen hatten. Im Rahmen der Videokonferenz wiederum hätten die Anwälte des Beschwerdeführers die Möglichkeit gehabt, die Zeugen zu befragen. Die Verwendung von Videokonferenzen zur Beweisaufnahme verstoße an sich nicht gegen die Konvention, habe im vorliegenden Fall dem legitimen Ziel einer ordnungsgemäßen Rechtspflege gedient und sei in konventionskonformer Art und Weise erfolgt.

Der EGMR verneinte einstimmig eine Verletzung von Art. 6 EMRK.
Sebastian Ramelli, LL.M. (Institut für Europäisches Medienrecht e.V. Saarbrücken)
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