05.12.2013

Rechtsanwalt darf potenzielle Mandanten mit Beratungsbedarf unter bestimmten Voraussetzungen anschreiben

Schreibt ein Rechtsanwalt einen potenziellen Mandanten in Kenntnis eines konkreten Beratungsbedarfs persönlich an und bietet ihm seine Dienste an, so verstößt er nicht zwingend gegen das Verbot der Werbung um Praxis (§ 43b BRAO). Ein Verstoß liegt zumindest dann nicht vor, wenn der Adressat durch das Schreiben weder belästigt, genötigt oder überrumpelt wird und er sich zudem in einer Lage befindet, in der er auf Rechtsrat angewiesen ist und ihm eine an seinem Bedarf ausgerichtete sachliche Werbung hilfreich sein kann.

BGH 13.11.2013, I ZR 15/12
Der Sachverhalt:
Die Parteien vertreten als Rechtsanwälte Anleger der in Insolvenz befindlichen Fondsgesellschaft G-KG. Deren Kommanditisten werden - teilweise schon im Klagewege - vom Insolvenzverwalter auf Rückzahlung von Ausschüttungen in Anspruch genommen. Im September 2010 versandte die Beklagte an zahlreiche von ihr nicht anwaltlich vertretene Kommanditisten der Fondsgesellschaft ein im Folgenden in Auszügen wiedergegebenes, an den jeweiligen Empfänger persönlich adressiertes Schreiben:
"In vorbezeichneter Angelegenheit zeigen wir an, dass wir mehrere Kommanditisten vertreten, die vom Insolvenzverwalter der G-KG vor dem Landgericht D aus Kommanditistenhaftung in Anspruch genommen werden.
Wir halten eine Verteidigung gegen die Klagen mindestens insoweit für erfolgversprechend, sofern und soweit die Kommanditisten nicht direkt an der G-KG, sondern nur mittelbar, und zwar als Treugeber über die Treunehmerin, die M, beteiligt waren. Es gibt darüber hinaus einige weitere aussichtsreiche Ansatzpunkte, wie z.B. eine mögliche Verjährung der Ansprüche.
Aus den uns vorliegenden Unterlagen ergibt sich weiter, dass sich der Insolvenzverwalter mit zwei größeren Anlegergruppen in Vergleichsgesprächen befindet. Gerne erörtern wir mit Ihnen diese diversen Aspekte der Angelegenheit ausführlich telefonisch oder in einem persönlichen Gespräch.
Wir weisen insbesondere darauf hin, dass es für Kommanditisten, die bereits in Anspruch genommen werden bzw. bei denen dies noch bevorsteht, sinnvoll sein kann, sich zum Zwecke gemeinsamer Interessenvertretung zusammenzuschließen, um gegenüber dem Insolvenzverwalter eine stärkere Verhandlungsposition aufzubauen.
Wir sind auch interessiert am Erfahrungs- und Gedankenaustausch mit Anwaltskollegen, die Sie eventuell in dieser Angelegenheit bereits vertreten."

Das Schreiben erreichte auch Mandanten des Klägers. Der Kläger ist der Ansicht, das Schreiben stelle eine gem. §§ 3, 4 Nr. 11 UWG i.V.m. § 43b BRAO unzulässige Werbung um die Erteilung eines Auftrags im Einzelfall dar. Mit seiner Klage nimmt er die Beklagte auf Unterlassung und Auskunft in Anspruch und begehrt die Feststellung der Schadensersatzpflicht.

Das LG wies die Klage ab; das OLG gab ihr statt. Auf die Revision der Beklagten hob der BGH das Berufungsurteil auf und wies die Berufung gegen das Urteil des LG zurück.

Die Gründe:
Das beanstandete Schreiben verstößt nicht gegen § 43b BRAO. Es ist auch nicht aus anderen Gründen wettbewerbswidrig.

Gem. § 43b BRAO ist Werbung einem Rechtsanwalt nur erlaubt, soweit sie über die berufliche Tätigkeit in Form und Inhalt sachlich unterrichtet und nicht auf die Erteilung eines Auftrags im Einzelfall gerichtet ist. Seit dem 28.12.2009 ist § 43b BRAO allerdings im Hinblick auf die Richtlinie 2006/123/EG vom 12.12.2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt anhand des Maßstabs des Art. 24 der Richtlinie richtlinienkonform auszulegen; ein Werbeverbot ist danach nur bei einer durch eine Abwägung der Umstände des Einzelfalls festzustellenden konkreten Gefährdung der unionsrechtlich geschützten Interessen gerechtfertigt.

Gem. Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie sind absolute Verbote der kommerziellen Kommunikation für reglementierte Berufe untersagt. Ein Werbeverbot kommt zwar in Betracht, wenn sich ein Verbotsgrund im Einzelfall aus der Form, aus dem Inhalt oder aus dem verwendeten Mittel der Werbung ergibt. Allein der Umstand, dass ein potenzieller Mandant in Kenntnis von dessen konkretem Beratungsbedarf angesprochen wird, genügt diesen Anforderungen aber nicht.

Ein Werbeverbot zum Schutz des potenziellen Mandanten vor einer Beeinträchtigung seiner Entscheidungsfreiheit durch Belästigung, Nötigung und Überrumpelung kann gerechtfertigt sein. Zu berücksichtigen sind neben der Beeinträchtigung der Unabhängigkeit, der Würde oder der Integrität der Rechtsanwaltschaft auch Art und Grad der Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit des Verbrauchers durch Form, Inhalt oder das verwendete Mittel der Werbung. Außerdem kommt es darauf an, ob und inwieweit die Interessen des Verbrauchers deshalb nicht beeinträchtigt sind, weil er sich in einer Situation befindet, in der er auf Rechtsrat angewiesen ist und ihm eine an seinem Bedarf ausgerichtete sachliche Werbung Nutzen bringen kann.

Nach alldem ist das Werbeschreiben der Beklagten nicht zu beanstanden. Für die angeschriebenen Anleger bestand ein der Beklagten bekannter aktueller Bedarf an anwaltlicher Beratung, weil der Insolvenzverwalter der Fondsgesellschaft bereits in der Vergangenheit an diese Anleger herangetreten war, sie zur Rückzahlung von Ausschüttungen aufgefordert und teilweise bereits Ansprüche klageweise geltend gemacht hatte. Für die Kommanditisten bestand auch keine Situation, der die Gefahr des Verlustes erheblicher Vermögenswerte derart unmittelbar gedroht hätte, dass eine überlegte und informationsgeleitete Entscheidung für oder gegen das Angebot der Beklagten erheblich erschwert gewesen wäre. Das beanstandete Schreiben war schließlich in Form und Inhalt sachlich abgefasst.

Linkhinweis:

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